Pipeline-Politik:Brüssel, übernehmen Sie

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Die Nord-Stream-Röhre zwischen Russland und Deutschland ist nicht nur bei östlichen Mitgliedern der EU Anlass für Sorge. Auch die Energiepolitik der Union ist gefährdet. Berlin sollte das akzeptieren - und die Kommission verhandeln lassen.

Von Daniel Brössler

In vielen anderen Ländern wäre der Wahlkampf nicht möglich, den gerade die Deutschen erleben. Mit einer Ausnahme bekennen sich die aussichtsreichen Parteien nicht nur zur Europäischen Union, sondern auch zu verstärkter Integration. Im neuen Bundestag wird sich, zumindest zahlreichen Plakaten nach zu urteilen, ein Megabündnis für mehr Europa versammeln. Das entspricht auch ganz der Selbstwahrnehmung eines Landes, das sich der europäischen Solidarität verschrieben hat. Doch es gibt Grenzen dieser Solidarität. Eine davon verläuft durch die Ostsee.

Die Ukraine, östliche EU-Staaten und die EU-Kommission sind alarmiert wegen des Pipeline-Projekts Nord Stream 2, das ab 2019 noch mehr Gas von Russland nach Deutschland transportieren soll. Nach Schätzung der Kommission würden durch die schon bestehenden und die neu zu errichtenden Ostsee-Röhren dann 80 Prozent aller russischen Gaslieferungen in die EU fließen. Geschaffen würde so nicht nur eine neue Leitung, sondern eine völlig neue Situation.

Bislang reagiert die deutsche Politik darauf sehr unbekümmert. Letztlich argumentiert die Bundesregierung mit der doch sehr einfachen Gleichung: mehr Gas gleich Versorgungssicherheit. In der Gleichung gibt es aber auch einige Faktoren, die keine Unbekannten sind.

Deutschland muss EU-Interessen beim Gasgeschäft akzeptieren

Ernst zu nehmen ist die Warnung der EU-Kommission, dass die Ostsee-Route die bestehenden Trassen über die Ukraine und Weißrussland nahezu überflüssig machen könnte. Das ändert das ohnehin schon problematische Kräftegleichgewicht in der Region noch einmal zu Ungunsten dieser Länder. Russland hatte schon in der Vergangenheit keine Skrupel, die Ukraine und Weißrussland ihre Abhängigkeit von russischen Lieferungen spüren zu lassen. Wenn sie nicht einmal mehr als Transitländer benötigt werden, dürfte der Ton noch rauer werden.

Nord Stream verändert aber auch die Lage in der EU selbst. Eigentlich hat sich die Union eine Diversifizierung ihrer Energieimporte vorgenommen. Es ist nicht ersichtlich, wie dieses Ziel erreicht werden soll, wenn der ohnehin schon mit Abstand größte Gaslieferant den allergrößten Teil seiner Lieferungen über eine einzige Trasse abwickeln kann. Liegen die Rohre erst einmal am Meeresboden, sind Fakten geschaffen. Der Marktmacht des russischen Gazprom-Konzerns haben die Europäer dann nicht mehr viel entgegenzusetzen.

Das ist auch, aber eben nicht nur, eine Frage des fairen Wettbewerbs. Die russische Energiewirtschaft ist Teil des Machtapparats, und sie hat selbstverständlich auch den außenpolitischen Zielen des Staates zu dienen. Die Deutschen mögen darauf verweisen, dass sie Russland und zuvor die Sowjetunion stets als verlässlichen Lieferanten erlebt haben. Sie können aber nicht ignorieren, dass einige ihrer Partner in der EU begründete Ängste haben. Solidarität besteht auch darin, solche Ängste ernst zu nehmen. Die EU muss eben gelegentlich auch dort eingreifen, wo es den unmittelbaren nationalen Interessen zuwiderzulaufen scheint. Im Streit über die Verteilung von Flüchtlingen haben die Osteuropäer das oft von den Deutschen gehört. Bei Nord Stream gilt es umgekehrt.

Deutschland sollte sich nicht dagegen wehren, dass die EU-Kommission mit Russland über die Bedingungen für die Ostsee-Pipeline verhandelt. Womöglich können diese Verhandlungen zumindest die schwersten Bedenken zerstreuen. Dann müsste die Pipeline auch von jenen im Osten der EU akzeptiert werden, die sie jetzt noch ablehnen. Natürlich besteht auch das Risiko, dass es keine Einigung gibt oder Russland gar nicht erst verhandelt - dann aber voraussichtlich deshalb, weil Nord Stream 2 nicht in Einklang mit europäischen Interessen zu bringen war.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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