Pflege:Kassen wollen selber kontrollieren

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Die Krankenkassen wollen stärker gegen Abrechnungsbetrug in der Pflege vorgehen und fordern eigene Kontrollrechte ein. Auch die Regierung hält mehr Prüfungen für sinnvoll.

Von Kim Björn Becker, München

Nachdem am Wochenende bekannt geworden ist, dass dem Bundeskriminalamt (BKA) Hinweise auf einen weitreichenden Abrechnungsbetrug in der Pflege vorliegen, wurden am Montag Forderungen nach strikteren Kontrollen laut. Insbesondere die Krankenkassen fordern nun, bei der häuslichen Krankenpflege selbst unangemeldete Prüfungen durchführen zu können. Gernot Kiefer, Vorstandsmitglied beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung, verwies in einer schriftlichen Stellungnahme auf Schäden "in Millionenhöhe", die den Kassen und Sozialhilfeträgern durch den vermuteten Abrechnungsbetrug entstünden. Er forderte ein "unangemeldetes Prüfrecht".

Bislang ist vor allem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) für Kontrollen bei der ambulanten und stationären Pflege zuständig. Darüber hinaus können die Landesverbände der Pflegekassen Gutachter mit der Kontrolle der Pflege beauftragen, bei Privatversicherten gibt es zudem einen eigenen Prüfdienst. Der Bayerische Rundfunk und die Welt am Sonntag hatten am Wochenende darüber berichtet, dass manche Pflegedienste nach BKA-Informationen umfangreich und systematisch betrügen sollen. Demnach würden sie mit den Kassen Leistungen abrechnen, die sie gar nicht erbracht haben. Vereinzelt sollen auch osteuropäische Banden an dem vermuteten Abrechnungsbetrug beteiligt gewesen sein.

Der MDK prüft derzeit jede Pflegeeinrichtung mindestens ein Mal pro Jahr auf ihre Qualität hin. Die Abrechnungen von ambulanten Hilfsdiensten würden derzeit nur im Rahmen eines Modellversuchs mit überprüft, sagte Peter Pick, Chef des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (MDS), der Süddeutschen Zeitung. Der MDS koordiniert den MDK und stellt eine einheitliche Arbeitsweise der Prüfer sicher. In der zweiten Jahreshälfte soll dieser Modellversuch nun ausgeweitet werden. Bei organisierter Kriminalität, so Pick, könnten aber selbst flächendeckende Überprüfungen Kriminelle nur in Teilen aufhalten. Stattdessen seien in diesen schweren Fällen von Abrechnungsbetrug vor allem die Staatsanwaltschaften gefragt.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schätzt den Schaden durch falsche Abrechnungen in der Intensivpflege auf etwa hundert Millionen Euro. Er sagte der Passauer Neuen Presse, es werde "zwar viel kontrolliert, aber oft das Falsche". Mehr unangemeldete Prüfungen seien erforderlich. Derweil verwies der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Lutz Stroppe, auf Twitter darauf hin, dass seit Jahresbeginn unangemeldete Prüfungen bei der ambulanten Pflege möglich seien. Bei Pflegeheimen, in denen die Patienten dauerhaft untergebracht werden, sind unangemeldete Kontrollen bereits seit längerer Zeit üblich. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums kündigte am Montag an, dass Abrechnungsbetrug in der Pflege in Zukunft schärfer geahndet werde. Darüber wolle man mit den Gesundheitsministern der Länder und dem Spitzenverband der Krankenkassen reden.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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