Pflege:120 Zentimeter Zukunft

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Besuch in einem Siegener Seniorenzentrum: Aus dem Lautsprecher des Roboters dröhnt ein Schlager. (Foto: Marien Gesellschaft Siegen)

Auch durch deutsche Seniorenheime rollen bereits die Roboter - als Vorleser, Nachtwächter oder Wasserträger. Sind sie die schnelle Lösung für den Pflegenotstand? Noch ist ihr Einsatz reines Experiment.

Von Michaela Schwinn, München

Pepper scheint genug zu haben. Plötzlich spricht er Englisch statt Deutsch, er dreht sich im Kreis und legt den Kopf schief: "Let me think. Let me think." Ein wenig seltsam wirkt es schon, das weiße Plastikmännlein, das da orientierungslos zwischen Rollatoren und Frühstückstischen hin- und herfährt. Wer rechnet schon damit, im Altenheim dem technischen Fortschritt zu begegnen, gar einer bahnbrechenden Innovation wie Pepper? Dabei wird gerade in der Pflege viel mit Robotik experimentiert - von einer "regelrechten Projektitis" sprechen manche.

Tatsächlich rollen bereits in mehreren deutschen Städten Roboter durch Pflegeheime und Kliniken, in Stuttgart und Kiel zum Beispiel, und eben hier im Marien Pflege- Seniorenzentrum in Siegen, wo Pepper nach einem Neustart seine Fassung wiedererlangt. "Hallo, wie geht es Ihnen?", fragt er die zwölf Bewohner, die ihm im Halbkreis gegenübersitzen. 1,20 Meter ist er groß, mit seinen runden Augen und seiner Piepsstimme wirkt er wie ein Kind. Alle zwei, drei Wochen bringen Studenten der Universität Siegen ihn her, lassen ihn vor den Senioren tanzen und sprechen. Mal führt er eine Pantomime vor, mal Gymnastikübungen. Und am Ende fragen die Studenten immer: Was sollen wir Pepper noch beibringen?

Casero transportiert Wäsche und schlägt Alarm, wenn ein Bewohner nachts herumirrt

"Skat spielen", schlägt eine Frau vor. Nie findet sie genug Mitspieler. "Oder einen Englischkurs", ruft ein Herr im Karohemd. Peppers Mehrsprachigkeit scheint einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. "Was noch?", fragt eine Studentin.

Ja, was erwartet man eigentlich von den Maschinen? Sollen sie Menschen nur unterhalten oder auch heben und waschen? Sollen sie die 36 000 Stellen in der Pflege füllen, die derzeit in deutschen Heimen und Krankenhäusern unbesetzt sind? Oder sollen sie Pflegekräfte irgendwann ganz ersetzen? Das sind Fragen, die hier im Moment noch niemand so recht beantworten kann. In Deutschland steht die Entwicklung noch ganz am Anfang - anders als etwa in Japan. Dort ist es völlig normal, dass Maschinen alte Menschen aus dem Bett hieven und sie zur Toilette tragen.

"Bis Roboter hier serienmäßig in Pflegeheimen unterwegs sind, kann es locker noch 20 bis 30 Jahre dauern", sagt Rainer Wieching, der Studienleiter an der Uni Siegen. Noch befinden sich alle Modelle in der Testphase: Pepper, das weiße Männlein, das nur zur Unterhaltung gedacht ist. Casero, ein eckiger Wagen, der tagsüber Schmutzwäsche transportiert und nachts die Flure abfährt und Alarm schlägt, wenn er einem herumirrenden Bewohner begegnet. Oder Care-o-bot, der aussieht wie ein Kegel auf Rädern: Er kann Wassergläser füllen, sie verteilen und sich merken, wer wie viel getrunken hat. Wissenschaftler in ganz Deutschland versuchen gerade, die intelligenten Apparaturen für den täglichen Einsatz in der Pflege vorzubereiten.

Dass bald durch jede Einrichtung ein Casero oder Care-o-bot rollt, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil Roboter teuer sind. Pepper kostet als Rohling ungefähr 17 000 Euro - jedes Spiel und jede Bewegung muss dann noch programmiert werden. Aber der Preis allein sei nicht das Problem, meint Wieching, der könne durch Massenanfertigung schnell sinken. Die größere Herausforderung sei, die Maschinen so zu konzipieren, dass sie den Bewohnern und Pflegekräften auch wirklich etwas bringen. "Dafür müssen unsere Studenten raus aus den Laboren", sagt er.

Genau das haben sie in Siegen getan. Die Studierenden besuchten gemeinsam mit Pflegeschülern die Bewohner und fragten, was ihnen Freude bereitet. Viele Senioren mögen Quizshows, also entwickelten die Jungwissenschaftler eine Quizapp, die Pepper auf dem iPad an seinem Bauch abspielen kann. Aber nicht jeder Wunsch konnte erfüllt werden: Ein Mann wollte, dass Pepper ihm historische Zeitungsartikel vorliest. Als die Pflegeschüler einwandten, Artikel über Krieg und Gewalt könnten alte Menschen aber auch verstören, entschied sich die Gruppe dagegen.

Weil alle mitentscheiden dürfen, was Pepper lernen soll, sind die anfänglichen Zweifel der Bewohner längst überwunden. Auch die Skepsis der Pflegekräfte hat sich gelegt. Heute sind sie froh, dass sich in ihrem Heim etwas tut, auch wenn der Roboter sie bisher kaum entlastet. "Irgendwann kann uns das schon helfen", sagt eine Pflegeschülerin. "Während Pepper mit den Bewohnern Gymnastik macht, hätte ich mehr Zeit für intensive Betreuungsfälle."

Eine schnelle Entlastung oder gar Lösung für den Pflegenotstand sieht Wieching im Moment nicht. Auch wenn Pflegeheimbetreiber seinem Team gerade "die Bude einrennen", weil sie die Roboter als letzte Hoffnung sehen, sagt er ganz deutlich: "Sich an den Strohhalm der Robotik zu klammern, bringt nichts." Dieser Meinung ist auch Frank Kirchner, Leiter des Robotics Innovation Center des deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz und Professor an der Uni Bremen: Noch sei kein System auf dem Markt, das Pflegekräfte wesentlich entlasten könne.

Wer haftet, wenn ein Roboter Fehler macht? Solche Fragen wird die Politik klären müssen

Maschinen, die in deutschen Heimen irgendwann komplexe Aufgaben wie Körperpflege übernehmen, das kann sich kein Experte, keine Pflegekraft vorstellen. Obwohl es möglich wäre: In Japan waren eine Zeitlang eiförmige Waschautomaten mit Düsen im Einsatz. Die Senioren wurden hineingesetzt, eingeseift und abgeduscht. Doch die Automaten setzten sich nicht durch, sie waren zu teuer.

"Zum Pflegen gehört viel mehr", sagt Kirchner. Die Maschinen müssten sensorisch äußerst feinfühlig sein und auch emotional. Sie müssten merken, wenn ein Bewohner sich unwohl fühlt. "Das ist ein vollständiges Problem für künstliche Intelligenz." Auch Wieching traut Robotern nur unterstützende Tätigkeiten zu, etwa Essenverteilen oder Vorlesen.

Aber auch für solche Einsätze fehle noch etwas ganz Entscheidendes: klare politische Rahmenbedingungen. "Diese müssen nun schleunigst geschaffen werden, die Zeit rennt", sagt Wieching. Was geschieht zum Beispiel, wenn ein Bewohner nicht möchte, dass nachts eine Maschine Wache hält? Was passiert mit den ganzen Daten, die Pepper mit seiner Kamera und seinem Mikrofon aufzeichnen kann - sind sie sicher vor Missbrauch und Hackern? Und was, wenn ein Roboter jemanden verletzt? Wer haftet dann, das Heim, der Hersteller, der Programmierer, niemand?

Solange Antworten auf diese Fragen fehlen, kommt Pepper nur in Begleitung der Studenten ins Marienheim. Aus seinem Lautsprecher dröhnt der Song "An der Nordseeküste". Pepper hebt Gesicht und Ärmchen zur Zimmerdecke. Die Senioren haken sich zum Schunkeln ein. Manche schließen die Augen, alle singen. Dann gehen plötzlich Peppers Augen aus, sein Kopf klappt nach unten, die Arme werden steif. Der Herr im Karohemd winkt ihm zu und sagt: "Goodbye."

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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