Petitionen:Das schafft sogar Lisa Müller

Lesezeit: 3 min

Auch ohne Geld und Apparat konnten sich Schüler viel Aufmerksamkeit verschaffen und Empörung organisieren.

Von Christian Endt

Petitionen sind ein populäres Mittel des Protests im Netz, aber natürlich sehr viel älter als das Internet. Die Verfasser des Grundgesetzes widmeten ihnen einen eigenen Artikel, den 17.: "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden." Auch in einigen Landesverfassungen ist das Petitionsrecht festgeschrieben.

Der Deutsche Bundestag und manche Landtage haben eigene Ausschüsse, die Petitionen annehmen und bearbeiten. Initiatoren, die für eine bundesweite Petition mindestens 50 000 Unterstützer gewinnen können, bekommen Gelegenheit, ihr Anliegen bei einer Anhörung im Parlament öffentlich vorzutragen.

Diese Schwelle hätte etwa die Petition zur bayerischen Abiturprüfung in Mathematik bereits überschritten. Bis Dienstagnachmittag haben sie mehr als 64 000 Menschen unterzeichnet (zum Vergleich: An der Abiturprüfung nahmen in Bayern 37 000 Schülerinnen und Schüler teil). Allerdings richtet sich diese Petition nicht an den Bundestag, und sie ist auch nicht auf offiziellem Wege eingereicht worden. Stattdessen ist sie an das bayerische Kultusministerium adressiert und auf der Plattform Change.org angelegt. Als Initiatorin zeichnet eine Nutzerin mit dem Namen "Lisa Müller". Dabei handelt es sich offenbar um ein Pseudonym. Die SZ sprach mit einer Schülerin aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, die sich als Initiatorin der Petition ausgibt, aber anonym bleiben möchte. Deshalb kann ihre Darstellung nicht überprüft werden. Change.org ist nach eigenen Angaben die "weltweit größte Kampagnenplattform". Dahinter steht ein Sozialunternehmen aus Kalifornien, der deutsche Ableger wird von einem gemeinnützigen Verein mit Sitz in Berlin betrieben. "Wir glauben, dass Menschen durch gemeinsames Handeln beginnen, ihren eigenen Möglichkeiten wieder stärker zu vertrauen und die Gesellschaft voranzubringen", schreibt der Verein auf seiner Website.

Das Portal ermöglicht es jedem, eine Online-Petition innerhalb weniger Minuten zu erstellen. Neben Change.org gibt es etwa die Plattform OpenPetition, auf der aktuell ebenfalls mehrere Kampagnen zu Abituraufgaben in verschiedenen Bundesländern laufen. Abgefragt werden eine Überschrift, ein Adressat (etwa eine Behörde oder ein Minister) und ein Beschreibungstext. Der Initiator muss Name und E-Mail-Adresse angeben. Die persönlichen Daten werden nicht überprüft, lediglich die Mailadresse muss der Initiator durch einen Klick auf eine Bestätigungsmail verizifieren. Ein Sprecher von Change.org teilte mit, die Identität von "Lisa Müller" sei dem Verein ebenfalls nicht bekannt.

Zum Unterstützen einer Petition ist nicht viel mehr nötig als eine E-Mail-Adresse

Zum Unterstützen einer laufenden Petition ist ebenfalls nicht viel mehr nötig als eine E-Mail-Adresse. Auch hier findet keine Überprüfung der Identität statt. Ohne Weiteres ist es möglich, eine Petition mit verschiedenen Mailadressen mehrmals zu unterzeichnen. Unklar ist somit auch, wie viele der Unterzeichner selbst an den Prüfungen teilgenommen haben und ob sie im jeweiligen Bundesland leben.

Über Whatsapp-Gruppen und soziale Netzwerke wie Instagram lässt sich eine Kampagne schnell verbreiten und eine große Reichweite aufbauen. Darin liegt die Stärke dieses Instruments. Mit ihm lässt sich einer politischen Position Gehör verschaffen und öffentlicher Druck aufbauen. Auch ohne Geld und Ressourcen, ohne aufwendigen Apparat. Eine sehr demokratische Angelegenheit also.

So kann aber auch schnell eine Empörungswelle entstehen, die nicht unbedingt auf dem Fundament von Fakten stehen muss. Die Petitionen gegen das Mathe-Abi sind bald nach Ende der Prüfung erstellt worden, nachdem sich die Schüler über die Aufgaben ausgetauscht hatten. Verständlicherweise hielten sie ihren Unmut nicht zurück, bis Wochen später die Noten kommen. Doch daraufhin meldeten sich in den Medien auch Vertreter von Lehrerverbänden und Politiker zu Wort, bis hin zum bayerischen Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler), der eine "sorgfältige Überprüfung" der Aufgaben zusagte. Da hatten die Lehrer gerade erst mit der Korrektur der Aufgaben begonnen. Es war somit überhaupt nicht klar, ob die Noten wirklich schlechter ausfallen als in den Vorjahren.

Zu den erfolgreichsten Kampagnen der Vergangenheit zählt der Protest gegen das Handelsabkommen Acta, das zwischen der EU, den USA und weiteren Staaten geschlossen werden sollte und das Kritiker als Gefahr für den Rechtsstaat ansahen. Auf der Plattform Avaaz unterstützten 2012 mehr als zwei Millionen Nutzer eine Petition gegen Acta an das Europäische Parlament. Dazu kamen Demonstrationen in vielen europäischen Städten mit mehr als hunderttausend Teilnehmern. Das EU-Parlament stimmte danach mit großer Mehrheit gegen Acta, das Abkommen trat nie in Kraft.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: