Personalmangel:Arbeitsurlaub

Lesezeit: 2 min

Wie Touristen als Kellner und Handwerker angeworben werden.

Von Thomas Hahn

Als Geschäftsführer des Bündnisses "Wachstumsregion Ems-Achse" würde Dirk Lüerßen die Spezies Tourist nie unterschätzen. Ostfriesland, das Emsland und die Grafschaft Bentheim gehören zum Tätigkeitsgebiet der Lobby-Organisation, viele dort leben vom Fremdenverkehr. Aber Lüerßen sieht den Touristen nicht nur als zahlenden Gast, sondern auch als potenziellen Arbeitnehmer. Am Wochenende haben er und seine Mitarbeiter deshalb die Aktion "Hier bleib ich!" an den Fähranlegern von Norddeich und Norderney veranstaltet. Und zwar mit Erfolg, wie Lüerßen berichtet. Schon am Samstag meldete er mehr als 10 000 Kontakte. "Wir wurden völlig überrannt."

Der Fachkräftemangel ist in vielen Branchen ein ernstes Problem. Für 60 Prozent der Unternehmen ist er das größte Geschäftsrisiko, sagen Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Vier von zehn Unternehmen müssen wegen Personalmangels schon jetzt Aufträge ablehnen. Jedes zweite Unternehmen kann offene Stellen langfristig nicht mehr besetzen. Und Lüerßen bekam am Wochenende eine besonders unerfreuliche Zahl der Agentur für Arbeit: Allein im Bezirk Emden-Leer sind im neuen Anfängerjahrgang 1100 Auszubildenden-Stellen unbesetzt.

Der beträchtliche Abschiebe-Ehrgeiz konservativer Politiker in manchen Bundesländern ist nicht gerade hilfreich beim Versuch, das Problem anzugehen. Aber selbst wenn es den Unternehmen leichter gemacht würde, Geflüchtete zu beschäftigen und auszubilden - es würde nicht reichen. Neue Ideen braucht das Land, um die Jobs etwa im Handwerk, in der Gastronomie oder der Pflege zu besetzen. Daher präsentiert das Bündnis Ems-Achse nun also die besagte Touristenaktion. Es wirbt auch auf Jobmessen, schickt Botschafter an Hochschulen und arbeitet an einer besseren Frauenerwerbsquote. Den Standortvorteil der Urlaubsregion ließ es lange ungenutzt. Jetzt erfahren die Gäste, dass man an Ems und Nordsee auch eine Zukunft haben kann.

Studien belegen, dass es vor allem zwei Zeiten gibt, in denen Menschen sich für einen Orts- oder Jobwechsel entscheiden. Über Weihnachten und im Urlaub. Wenn sich die Hektik des Alltags legt, kommen neue Gedanken. Das wollen Lüerßen und seine Leute nutzen. Um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, legten sie ihre Werbeaktion auf das Wochenende mit dem Summertime-Festival auf Norderney, bei dem unter anderen die US-Sängerin Anastacia auftrat. Vergangenes Jahr hatten sie die Aktion als Pilotprojekt erprobt. Dieses Jahr übertraf sie die Erwartungen. Neben diversen Werbe-Gimmicks hatte das Team auch 4000 Postkarten dabei. "Die waren am Samstagmittag weg", sagt Lüerßen.

Die Werber der Ems-Achse haben vielen Familien die Vorzüge der Region geschildert, etwa die günstigen Lebenshaltungskosten. Lüerßen hat dabei festgestellt, dass man Urlauber besonders gut aufs Arbeiten ansprechen kann. Entspannt und gut gelaunt habe er sie erlebt. "Von hundert Gesprächspartnern waren vielleicht zwei genervt. Das kennen wir von anderen Aktionen ganz anders." Nächstes Jahr will er die Aktion ausbauen, denn: "Wir haben ja noch andere touristische Hotspots."

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: