Personalie:Tränen und ein Schrei

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Ralf Stegner tritt als SPD-Chef in Schleswig-Holstein ab. Serpil Midyatli ist seine Nachfolgerin. Mit ihr dürfte sich der Stil in Kiel ändern.

Von Peter Burghardt, Norderstedt

Serpil Midyatli, neue SPD-Landeschefin, und ihr Vorgänger Ralf Stegner. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Ein paar Fotos haben sie Ralf Stegner dann auch noch gewidmet, als seine Ära als SPD-Chef im Norden zu Ende ging. Die Bildershow auf dem Monitor beim Landesparteitag in Norderstedt zeigte ihn am Samstag mit Fliege und Gefährten: Schmidt, Engholm, Gabriel, Steinmeier, Schulz - sozialdemokratische Geschichte, Stegner gehört ja dazu. Der gerade schwer angesagte Grüne Robert Habeck leuchtete ebenfalls auf, und Stegners politischer Ziehvater Günther Jansen erklärte die Ablösung in einem Video so: Der Ralf sei solidarisch und habe nicht länger Landesvorsitzender sein wollen als er, Jansen, zwölf Jahre. Charmant.

"Danke, Ralf!", war zu lesen, es gab beim Parteiabend dann auch Marken mit diesem Aufdruck, alternativ "100 Jahre Frauenwahlrecht". Stegners Stimme wurde brüchig, die Augen tränten - die Abteilung Attacke der SPD ist nicht immer so grimmig wie Zuschauer meinen. Dann wurde die strahlende Serpil Midyatli ohne Gegenkandidatur von 90 Prozent der Delegierten zur Landesvorsitzenden der SPD in Schleswig-Holstein gewählt, als erste Frau. Sie hatte sich 2018 beworben, bevor er verzichtete. Stegner nimmt die Sache nun sportlich, hilft ja nix, zwei Spitzenämter hat er noch.

Stegner bleibt Fraktionsvorsitzender im Kieler Landtag, also Oppositionsführer und Widerpart des smarten CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und seines Jamaika-Trios. Und er ist wie gehabt einer der Stellvertreter von SPD-Gesamtchefin Andrea Nahles, jedenfalls bis auf Weiteres. "Und glaubt mir, da ist auch noch genug Feuer da. Also, Rückzug ist nicht. Ganz im Gegenteil." So sprach Stegner, ehe seine Abschiedsrede in Melancholie ausklang.

Der Stil in Kiel dürfte sich ändern. Ralf Stegner ist 59 und hat seinen Master of Public Administration in Harvard gemacht, in Deutschland kennt ihn fast jeder. Er gilt als mürrisch, dabei hat Stegner äußerst feinen Humor. Serpil Midyatli ist 43, Tochter türkischer Eltern, sie kam 2000 als Gastronomin und Unternehmerin in die Politik, entdeckt von Heide Simonis, gefördert von ihm, Stegner. Sie hat Temperament, lacht viel. "Eine starke, jüngere Genossin" lobte er, sie werde "wie eine Löwin mit Herz und Verstand" für die SPD kämpfen.

Zur linken SPD zählen sie beide, sprechen von Sozialstaat und Gerechtigkeit. "Ich bin links, dickschädelig und frei", das Motto der rebellischen Sozialdemokraten zwischen den Meeren. Ihre Themen sind Kitas, Mieten, Solidarität, Integration. Sie führt nun 17 000 Mitglieder, Altersdurchschnitt 60. Stegner erinnerte daran, dass die SPD seit 2005 die Hälfte ihrer Wähler verloren habe, mehr als zehn Millionen Stimmen, und ein Viertel ihrer Genossinnen und Genossen. Wahlniederlagen in Serie und eine mutige Erbin kosteten ihn diesen Posten, Motivator will er bleiben, "ein robuster Wahlkämpfer bin ich ja schon". Serpil Midyatli plant eine Denkfabrik, sie hat Ideen und erfrischende Energie. "Ich stehe hier, denn ich kann nicht anders", rief sie, und als sie gefragt wurde, ob sie die Wahl annehme, da sprang sie auf und schrie: "Ja!"

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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