Pegida:"Wir haben das Rezept noch nicht gefunden"

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Gespräch mit Silvio Lang, der seit einem Jahr gegen die Ausländerfeinde demonstriert.

Interview von Paul Munzinger, Dresden

Vor einem Jahr formierten sich zum ersten Mal die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Am Montagabend wurden in Dresden wieder Zehntausende Teilnehmer erwartet.

SZ: Herr Lang, auch nach einem Jahr ist Pegida noch nicht die Luft ausgegangen. Bei den Gegendemonstranten scheint sich dagegen eine gewisse Resignation breitgemacht zu haben. Täuscht der Eindruck?

Silvio Lang: Wir haben das richtige Rezept, um langfristig gegen Pegida wirksam zu werden, noch nicht gefunden. Wir haben es mit Blockaden versucht, mit Protesten in Hör- und Sichtweite, mit Ignorieren. All diese Strategien haben - wenn überhaupt - nur zeitweise funktioniert, aber nicht auf Dauer. Dazu kommt, dass irgendwann alles Wichtige gesagt war: Die Leute waren mehrfach auf der Straße und haben deutlich gemacht, dass sie die rassistische Hetze von Pegida nicht teilen. Irgendwann ist dann eine Demo-Müdigkeit eingezogen. Deswegen gab es seit April keine Gegendemonstrationen mehr. Im Moment braucht es große Anlässe wie den ersten Jahrestag, um viele Leute zu mobilisieren.

Das heißt: Ein langfristiges Rezept gegen Pegida fehlt. Oder haben Sie eins?

Das ist die Schlüsselfrage, die wir für Dresden noch nicht beantworten konnten. Wie schaffen wir es, so gegen Pegida aufzutreten, dass wir die Teilnehmer nachhaltig demotivieren? Sie müssen merken, dass es keinen Sinn hat, auf die Straße zu gehen. Wir müssen ihnen die Erfolgserlebnisse wegnehmen. Das haben wir noch nicht geschafft. Und wir müssen es gleichzeitig schaffen, dass die Gegendemonstranten mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass sie tatsächlich etwas gegen Pegida erreicht haben: dass sie klargemacht haben, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Silvio Lang ist Mitglied der Linkspartei in Sachsen und Sprecher des Bündnisses Dresden Nazifrei. Seit einem Jahr nimmt er an Demonstrationen gegen Pegida teil. (Foto: privat)

Glauben Sie wirklich, dass sich die Pegida-Anhänger so davon abbringen lassen werden, auf die Straße zu gehen?

Zumindest kann man feststellen, dass sie ohne Widerstand nicht aufhören. Der Effekt ist vergleichbar mit großen Nazi-Demonstrationen: Wenn es keinen Widerstand gibt, dann fühlen sie sich ermuntert und in der Annahme bestärkt, dass sie die Vertreter der schweigenden Mehrheit seien. Man muss ihnen klarmachen, dass sie das nicht sind. Dass sie für eine Minderheitenposition stehen, die gesellschaftlich geächtet gehört, weil sie rassistische Hetze auf die Straße bringt.

Es gibt jetzt eine Kampagne auf Twitter und Facebook, in der sich unter anderem der Rektor der Technischen Universität dazu bekennt, einer der mehr als 500 000 Dresdner Bürger zu sein, die nicht zu Pegida gehen.

Wir würden uns das alles noch ein bisschen deutlicher wünschen, aber das sind kleine Schritte in die richtige Richtung. Auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat sich erstmals klar positioniert und dazu aufgerufen, zu den Gegendemos zu gehen. Das ist eine neue Qualität in Dresden: Es beginnt sich eine Protestkultur zu entwickeln, die es in den letzten 25 Jahren in der Stadt nicht gegeben hat.

Hilbert ist andererseits in den Urlaub gefahren, statt zu demonstrieren.

Wir hätten uns gewünscht, dass er seinen Urlaub um einen Tag verschiebt und mit auf die Straße geht. Er hat den Ernst der Lage erkannt, aber sein Urlaub scheint ihm wichtiger zu sein. Hilbert ist immer noch schwankend in seinen Positionen. Als 60 Bürger eine Turnhalle in Dresden-Übigau blockierten, damit dort keine Asylsuchenden einziehen können, hat er nicht wie beispielsweise bei Antifa-Blockaden gegen Nazidemos die Polizei anrücken lassen. Er ist hingegangen und hat mit den Leuten geredet. Das war das falsche Zeichen.

Hat der Ruf der Stadt gelitten?

Wir machen unser Engagement nicht davon abhängig, ob über Dresden gut oder schlecht geredet wird. Uns geht es darum, uns Rassismus in den Weg zu stellen. Aber wenn wir über den Ruf der Stadt reden: Man kann feststellen, dass weniger Touristen kommen, dass Menschen wegen Pegida Übernachtungen oder Veranstaltungen absagen. Es gibt einen messbaren negativen Effekt für die Stadt durch Pegida.

Stellt sich Dresden Pegida entschlossen genug entgegen?

Nein. Pegida hat die Stadt polarisiert. Es gibt die Sympathisanten und die entschiedenen Gegner, die sich zivilgesellschaftlich engagieren. Doch die Mehrheit der Dresdner hat sich noch gar nicht positioniert. Wir müssen ihnen diese Frage noch deutlicher, noch pointierter stellen. Soll von ihrer Stadt weiter das Bild von rassistischen Demonstrationen ausgehen, wo Journalisten und Schüler angegriffen und gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlingsheime provoziert werden? Oder stellen sich die 500 000 Dresdner, die bisher schweigen, offensiv und öffentlich gegen Pegida? Das ist der große Unterschied zu den Städten, in denen Pegida nicht funktioniert: Die Dresdner sind zum großen Teil noch nicht aufgestanden. Sie müssen sich endlich bekennen.

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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