Pauschalreisen:Organisierte Freiheit

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Selbst in Zeiten von Social Media und Individualismus sind Urlaubspakete mit vorgebuchter Reise und Unterbringung ungebrochen populär.

Von Jochen Temsch

Wenn Freizeitforscher Statistiken zum Urlaubsverhalten der Deutschen veröffentlichen, hält sich, zugegebenermaßen, die Überraschung in Grenzen. Zwei Erkenntnisse sind Jahr für Jahr gleich. Erstens: Die meisten Touristen zieht es an den Strand. Und zweitens: Die meisten Urlaube sind Pauschalreisen. Das eine bedingt das andere. Weil der Wunsch nach Sonne und Meer immer wieder ähnlich ist, lässt er sich gut mit standardisierten Angeboten befriedigen. Im vergangenen Jahr wurden 40 Prozent aller mehr als fünf Tage dauernden Urlaubsreisen pauschal gebucht. Dazu kam eine geringe Anzahl Bausteinreisen mit zusammen gebuchten Elementen verschiedener Anbieter. Dagegen haben die Urlauber nur bei 36 Prozent ihrer Reisen die Unterkunft und bei 16 Prozent das Flugticket selbst eingekauft. Das zeigt eine Langzeitstudie, mit der die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) seit 50 Jahren das Fernweh hierzulande beobachtet. Der Leiter der Studie, Martin Lohmann, sagt mit Blick auf die Pleite von Thomas Cook: "Davon abzuleiten, die Pauschalreise sei am Ende, wäre in etwa so, als würde man sagen, wegen des Abgas-Skandals bei VW kauft keiner mehr Autos."

1963 bot Neckermann zwei Wochen Mallorca mit Vollpension für 338 Mark an - der erste Ferienkatalog des Unternehmens. (Foto: SZ)

Die anhaltende Popularität der Pauschalreise mag auf den ersten Blick verwundern. In Zeiten von Social Media könnte man leicht den Eindruck gewinnen, nur noch von Abenteurern umgeben zu sein, deren Reisen so individuell sind wie sie selbst vermeintlich auch. Tatsächlich wünschen junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren unterwegs zunehmend persönliche, auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Erlebnisse. Tatsächlich steigt auch der Anteil der online getätigten Buchungen. 2018 wurden erstmals mehr Reiseverträge übers Internet abgeschlossen als im Reisebüro. Aber was gebucht wird, entspricht immer noch zumeist dem Paketprinzip der Pauschalreise. Eine EU-Richtlinie definiert es als im Voraus festgelegte Verbindung von mindestens zwei Dienstleistungen, sprich Beförderung und Unterbringung. Laut FUR greifen in der preisbewussten Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen besonders viele darauf zurück. Dann wird diese Urlaubsform wieder für Reisende interessant, die 50 und älter sind.

Der scheinbare Widerspruch zwischen individuellem Anspruch und Pauschalbuchung erklärt sich nach Meinung von Experten vor allem durch den Wandel der Pauschalreise. Sie fühlt sich heute individuell an. Man ist zwischen Benidorm und Bodrum nicht mehr unbedingt an Bettenwechsel-Tage oder Essenszeiten gebunden, sondern wählt seine Reisetermine, die Flugzeugsitze, Unterkunft, Verpflegung und Zusatzangebote relativ flexibel aus. Mit den Bettenburgen von einst haben viele Hotels heute wenig gemein. Ihr Imageproblem ist den Urlaubsmanagern dennoch bewusst. Friedrich Joussen, Vorstandschef von Tui, Europas größtem Reisekonzern, sagte in einem Interview, das Wort "Pauschalreise" gehöre eigentlich verboten. Auch Thomas Cook kündigte Anfang des Jahres noch eine Offensive in Sachen Individualisierung an - zu spät.

Urlaub zum Festpreis - das Prinzip führte Thomas Cook ein

Am wichtigsten Prinzip der Pauschalreise hat sich seit seiner Erfindung vor 178 Jahren durch den englischen Baptisten Thomas Cook nichts geändert. Bei der ersten von ihm organisierten Reise aufs europäische Festland waren Transport, Unterkunft, Verpflegung und Eintrittsgelder im Festpreis inbegriffen. So ist die Planung bequem, die Kosten bleiben durch Mengenrabatte gering. Das trieb seit den 1950er-Jahren auch in Deutschland die Demokratisierung des Reisens voran. 1963 bot Neckermann zwei Wochen Mallorca mit Vollpension für 338 Mark an. Dank der Sicherheit, die das Reisen in einer Gruppe versprach, machten sich die Deutschen bald pauschal zu exotischeren Zielen wie Ägypten und Thailand auf. Heute ist der Schutz des Pauschalurlaubers gesetzlich geregelt. Er hat im Notfall Anspruch auf Ersatz. Die beste Werbung dafür war der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull, der im Jahr 2010 wochenlang den Flugverkehr lahmlegte. Pauschalurlauber hatten es dabei besser als Individualreisende.

© SZ vom 24.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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