Partei und Finanzwelt:Im Land der Blütenträume

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Chinas Medien erzählen natürlich nur Erfolgsgeschichten. Und die Analysten reden alles schön. Doch die Kurse in Shanghai und Shenzhen sprechen eine ganz andere Sprache.

Von Marcel Grzanna

Es sind keine einfachen Zeiten für chinesische Börsen-Analysten. Ständig müssen sie aufpassen, dass sie sich nicht den Mund verbrennen. Denn wer schwarzmalt, muss mit Konsequenzen rechnen. "Es gibt zwar kein Gesetz, dass man die Entwicklung der Kurse nicht pessimistisch beurteilen darf. Aber wer laut davor warnt, dass die Aktien einbrechen werden, handelt sich ein Problem ein", sagt ein Mitarbeiter der Shanghaier Börse, der aus verständlichen Gründen lieber anonym bleiben will. Denn kritische Stimmen hört man dieser Tage nicht so gern in China.

Stabile Aktienkurse zählen sozusagen zur Grundausstattung für die Regierung in Peking, die um die Gesundheit der Wirtschaft bangt. Experten, die mit miesen Prognosen den von oben verordneten Heilungsprozess infrage stellen und Anlegern ihren Optimismus rauben, kann die chinesische Führung da nicht gebrauchen. Schließlich lassen hohe Aktienkurse Schuldenberge von staatlichen Unternehmen deutlich kleiner aussehen. Und sie sind Quell frischen Kapitals in Zeiten, da die Banken mal wieder mit Krediten geizen. "Wenn jemand Panik streut, kann er viele Leute dazu bewegen, ihre Papiere zu verkaufen. Das gilt besonders für so labile Börsenmärkte wie den chinesischen. Reife Märkte halten das vielleicht aus, aber hier können die Kurse ganz schnell einbrechen", so sagt der Mitarbeiter.

Darum gilt in der Branche offenkundig ein unausgesprochener Kodex: Immer positiv bleiben, wenn man seine Karriere nicht aufs Spiel setzen möchte. Das gilt auch - oder gerade - an Tagen wie diesem Montag, die in der Börsensprache gemeinhin als schwarz bezeichnet werden. 8,49 Prozent rauschten die Kurse in den Keller. Eine Katastrophe für viele Anleger. Noch eine, wohlgemerkt.

Seit Mitte Juni purzelte der Leitindex, unterbrochen von nur wenigen Erholungsphasen, von 5178 Zählern auf fast 3200 Punkte herab. Am Montag blieben an den Handelsplätzen Shanghai und Shenzhen nur 15 Aktien im Plus. 2200 verloren zehn Prozent ihres Wertes. Mehr geht kaum an einem Tag.

In Blogs klagen Kleinanleger über ihr Schicksal. Viele haben ihre Altersversorgung verloren

Für die autoritär regierende Kommunistische Partei ist der Einbruch der Kurse eine brisante Situation. Es kostet sie Glaubwürdigkeit bei den Millionen von Kleinanlegern, die gehofft hatten, ein Stück Wohlstand durch Finanzgeschäfte ergattern zu können. Zumal da der Staat sie durch eine anlegerfreundliche Politik an die Märkte gelockt hat, denn ihre Milliarden sind eine wichtige Stütze für stabile Werte. Nun macht sich Unmut breit. Unter dem Hashtag #ZhouyiGushi, Montagsbörse, schreibt der Nutzer Jing Yi beim Kurznachrichtendienst Weibo in Anspielung auf den Crash: "Jemand hat versucht, mich umzubringen." Ein anderer klagt, man habe ihm seine Altersvorsorge genommen. Die Wut richtet sich zunehmend gegen die Genossen, die es zuließen, dass eine neue Euphorie um chinesische Aktien entfacht wurde, obwohl sie wussten, dass die Kurse künstlich in die Höhe getrieben waren. Die wirtschaftlichen Daten sprachen nämlich eine komplett andere Sprache.

"Jemand hat versucht, mich umzubringen": Vor allem die kleinen Anleger in China haben jedes Vertrauen in die Börse verloren. (Foto: Rolex Dela Pena/dpa)

Hektisch versucht Peking seit Monaten, weitere Einbrüche zu vermeiden. Doch der Regierung gelingt es einfach nicht, neue, langfristige Zuversicht bei Investoren zu erzeugen. Erst am Sonntag gab sie ihre Zustimmung für künftige Investitionen von Rentenfonds am Aktienmarkt. Die Fonds dürfen von sofort an mit bis zu 30 Prozent ihres Kapitals spekulieren. Das setzt theoretisch 600 Milliarden Yuan frei, umgerechnet 82 Milliarden Euro. Aber selbst diese Ankündigung verpuffte am Montag. Die Kleinanleger haben ihren Optimismus verloren, nachdem sie vor zwei Monaten von dem ersten Absturz überrascht worden waren.

Es hilft auch nicht, dass Chinas Medien reihenweise Erfolgsgeschichten von den Börsen erzählen. Anlegermagazine stemmen sich gegen die schlechte Stimmung und verkaufen die staatlichen Gegenmaßnahmen als Heilmittel. Nötige Distanz und Skepsis lassen sie vermissen. Das staatliche Finanzmagazin Caijing postet am Montag zwar ein trauriges Gesicht an die Abonnenten seines Miniblogs, mehr aber nicht. Ein typisch chinesisches Phänomen in Krisensituationen: Trauer ist erlaubt, weitergehende Fragen stellt man jedoch besser nicht, schon gar nicht die nach den Verantwortlichen.

Trauer ist erlaubt - weitergehende Fragen aber stellt man besser nicht

Die Macher von Mjpress, einem chinesischen Blog, der die heimischen Medien aufmerksam verfolgt, erinnern im Kurznachrichtendienst Weibo daran, dass das Parteiblatt Volkszeitung und die Abendnachrichten im Staatsfernsehen noch vor vier Monaten einen Aufwärtstrend der Börse ausgerufen hatten und Kleinanleger zum Einstieg bewegten. "Das ist schwer zu ertragen für Leute, die aufgrund dieser Berichte Aktien gekauft haben", merkt Mjpress süffisant an. Die staatlichen Leitmedien selbst reagierten sachlich auf den Absturz. Zahlen, Fakten, keine Meinungen. Und vor allem keine negativen Prognosen.

Aber wie geht es nun weiter? "Wenn überhaupt, dann ist eine Wende nur auf technischer Ebene möglich", sagt Analyst Alex Kwok von China Investment Securities in Hongkong. Er meint erneute Eingriffe des Staates, um das Vertrauen in den Handel zu stärken. Zurzeit genügen offenbar wenige Großinvestoren, die ein paar Gewinne einfahren wollen, um unter den übrigen Anlegern Panik zu verursachen.

Angesichts der anhaltenden Talfahrt wird die Zentralbank vielleicht früher eingreifen, als zuletzt berichtet wurde. Für Ende August war eine Senkung der Mindestreserve für Banken um einen halben Prozentpunkt geplant, hieß es. Das könnte nun vorgezogen werden. So eine Kürzung würde Kapital im Wert von 678 Milliarden Yuan, fast 93 Milliarden Euro, freisetzen. Die Gelder würden vermutlich sowohl als Kredite in die Wirtschaft fließen, wo sie der stockenden Konjunktur als Anschub dienen können, als auch als Investitionen auf dem Aktienmarkt landen. Das wiederum soll die Kurse stützen. Doch ob das ausreicht, um wieder Vertrauen aufzubauen, ist nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen fraglich. Es sei schwierig festzustellen, ob der Markt bereits am Tiefpunkt angekommen sei, sagt Analyst Kwok. Nur eines sei ziemlich sicher: Chinas erlebt gerade "ein kleines Börsen-Desaster".

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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