Paris:Der Fuchs in der Falle

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Die Festnahme des Ludwig-Holger Pfahls und die geheimnisvollen Dokumente über sein Leben im Untergrund: Nicht weit vom Eiffelturm entfernt hat der frühere Staatssekretär jahrelang incognito gelebt - ein kranker Mann mit einem weißen Bart.

Von Rudolph Chimelli und Hans Leyendecker

Paris, 14. Juli - Das letzte, was Ludwig-Holger Pfahls in Freiheit erblickte, war der Eiffelturm, riesengroß, nur 200 Meter von seiner Haustür entfernt, wo ihn die Polizei am Dienstag erwartet hatte.

Die Straße in Paris, in der Pfahls lebte (Foto: Foto: AP)

Noch immer ist nicht sicher, wie lange er sich in dem großbürgerlichen Wohnhaus an der Avenue de Suffren aufgehalten hat, ob ein paar Tage, Wochen oder Jahre lang. Auch ob er hier eine eigene Wohnung hatte oder bei einem Freund untergekommen war, ist nicht bekannt.

Die Pariser und ihre Häuser sind diskret: Es stehen keine Namen an den Wohnungstüren. Die Bewohner gehen ein und aus, grüßen sich höflich, aber kennen einander nur selten. Schon gar nicht stellen sie Fragen.

Ein Ausländer fällt hier nicht auf. Der Eiffelturm bringt täglich Zehntausende in die Gegend. Auch das Hilton und andere Hotels liegen gleich um die Ecke.

Mit dem 14. Juli hat in Frankreich die große Sommerpause begonnen. Da der Nationalfeiertag diesmal auf einen Dienstag fällt, haben viele einen "Pont", eine Brücke, geschlagen und sind schon am Wochenende in die Ferien gegangen.

Zahlreiche Fenster sind bereits mit eisernen Klappläden verschlossen, auch in dem siebenstöckigen Haus aus hellgrauem Naturstein, in dem der Gesuchte sich verbarg.

An drei Balkonen welken Geranien. Nebenan im Restaurant "La Giberne" (Die Patronentasche) hätte Pfahls - wäre er noch da gewesen - als Tagesgericht zum 14. Juli Schweinsfuß, knusprig gebraten, essen können.

Aber man kennt ihn dort nicht: "Non Monsieur!", heißt es nur lapidar. Ein Gast mit weißem Haar und Bart ist niemandem aufgefallen. Wie Pfahls früher aussah, wissen die Franzosen ohnehin nicht.

Müde und erschöpft

Der Mann, der an diesem 14. Juli gegen 10Uhr einem Pariser Haftrichter vorgeführt wurde, sah nicht wie ein früherer Topmanager aus und auch nicht wie ein ehemaliger Staatssekretär. Ludwig-Holger Pfahls, einst ein Ausbund an Korrektheit, der früher viel Wert auf sein Äußeres legte, trug einen Vollbart und wirkte sehr erschöpft.´

Fünf lange Jahre hatte er sich 24 Stunden am Tag mit seiner Flucht beschäftigt, und er soll fast erleichtert gewirkt haben, dass es endlich vorbei war. Er war gezeichnet, ein Häufchen Elend.

Pfahls wollte, am Mittwoch zumindest, keinen Anwalt. Er will angeblich so schnell wie möglich nach Deutschland zurück, wo Gefängnis und Gerichtssaal auf ihn warten. Als Beamte seine Wohnung im 7. Pariser Arrondissement durchsuchten, stießen sie auf eine Riesenapotheke und stellten auch brisante Unterlagen sicher.

Kriminalistische Kleinarbeit

Auf 22 Seiten soll Pfahls festgehalten haben, wer ihm in den letzten Jahren behilflich war.

Durch kriminalistische Kleinarbeit, so heißt es beim Bundeskriminalamt, seien deutsche Fahnder auf eine Spur zu dem so lange Gesuchten gestoßen. Was das übersetzt heißt, ist nicht ganz klar.

Version 1: Die Polizei hat einen Kontaktmann von Pfahls in Deutschland ausfindig gemacht und zunächst dessen Apparat abgehört und dann mit einem Beschluss nach Paragraf 12 des Fernmeldegesetzes die so genannten Verbindungsdaten von der Telekom beschafft.

Die Beamten haben dann herausbekommen, mit wem der Kontaktmann in Verbindung stand. Die Franzosen klinkten sich ein, und die Spur führte zu Ludwig-Holger Pfahls.

Version 2: Es gibt keinen Kontaktmann. Pfahls hat von sich aus die Verbindung zu einem deutschen Anwalt gesucht, der ihn beraten sollte: zum Beispiel darüber, wann die Verjährung vorbei sei und wann er sich ohne Risiko wieder in seiner Heimat aufhalten könnte.

Der Anwalt soll dann das 22-Seiten-Papier von Pfahls erhalten haben. Die Beamten sollen sich anschließend die Verbindungsdaten des Anwalts beschafft haben.

Denn vor ein paar Wochen habe Pfahls dem Anwalt ein Fax geschickt. Absender: ein Schreibwarengeschäft in einer großen Buchhandlung in der Nähe des Eiffelturms.

"Es kommen so viele"

Die Festnahme von Ludwig-Holger Pfahls hatte in den französischen Medien kaum ein Echo. Zeugen der Ergreifung finden sich nicht mehr. Hinter der Kasse in dem Zeitungs- und Bücherladen des Ecole-Militaire-Viertels steht noch das Fax-Gerät, von dem Pfahls jene Botschaft an seinen Anwalt in Deutschland schickte, welche die Fahnder auf seine Spur brachte.

Eine Erinnerung an ihn besteht hier allerdings nicht. "Es kommen so viele", lautet die plausible Auskunft. Mehr als ein Dutzend Restaurants sind in der Nähe, fast ebenso viele Banken.

Es gibt von einer Apotheke über eine Weinhandlung und ein feines Käsegeschäft bis hin zu einer VW-Agentur und einem persischen Teppichhändler alles, was ein betuchter Pariser zu einem angenehmen Leben braucht. Niemand muss seine Anonymität verlassen, wenn er nicht will.

Ein Sonderkommando der Pariser Kriminalpolizei soll, unterstützt von einem deutschen Beamten, Pfahls in diesem Ambiente während der vergangenen Wochen observiert haben.

Pfahls habe einige Tage lang seine Wohnung nicht verlassen. Die Beamten glaubten schon, er sei ausgeflogen. Doch dann wurde er wieder gesichtet. Das Spezialkommando, das nach Verschwundenen und Gesuchten forscht, bekam den Auftrag, Pfahls am Dienstag festzunehmen.

Die Spezialeinheit wurde dabei von einem französischen Fernsehteam begleitet, das seit Wochen Einsätze des Kommandos filmte. Vor dem Einsatz soll einer der Beamten den Fernsehleuten gesagt haben, die Festnahme eines großen Fischs stünde an.

Phänotypischer Manager

Auch wenn den Leuten vom Fernsehen der Name Pfahls nichts sagte - sie waren dabei. Als die strenge Pariser Polizei allerdings erfuhr, dass dieser Film Fernsehsendern in Deutschland angeboten wurde, soll sie die Ausstrahlung verhindert haben.

Dabei wäre es interessant zu sehen, wie Pfahls heute aussieht: Sein Steckbrief hing in Hunderten Polizeirevieren. Wer im Internet nach seinem Foto suchte, sah einen phänotypischen Manager im Maßanzug mit Designerbrille. Das Bild stammte aus dem Jahr 1998.

Auf Bildmontagen war der im Dezember 1942 im brandenburgischen Luckenwalde geborene Pfahls auch mit Schnurrbart, Toupet oder Glatze zu sehen. An einen Vollbart hatten die BKA-Tüftler nicht gedacht.

Der Festgenommene hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Gesuchten, so viel ist klar. Pfahls hat auf der Flucht weiße Haare bekommen. Ein bisschen verwildert sah er aus, wie Saddam Hussein bei seiner Festnahme in dem Erdloch im Dezember 2003. Er sei ein kranker Mann, hat der 61-Jährige den Fahndern gesagt. Einige leichte Schlaganfälle habe er in den vergangenen Jahren gehabt.

Heimlich abgesetzt

Pfahls gesundheitlicher Zustand ist auch Teil der Ermittlungsakte im Verfahren 502 Js 127135/95. Stets hatte er das für ihn lebensnotwendige Medikament "Marcumar", ein Blutverdünnungsmittel, bei sich.

Kurz nachdem ihn die Augsburger Staatsanwaltschaft im April 1999 zur Festnahme ausgeschrieben hatte, war Pfahls in Taipeh in das "Veterans General Hospital" eingeliefert worden. Er hatte einen leichten Gehirnschlag erlitten, sprach verzerrt, und im Arztbericht war von "Schwindelgefühlen und Taubheit der rechten Gliedmaßen" die Rede.

Dennoch verließ er damals heimlich das Krankenhaus und setzte sich nach Hongkong ab.

Pfahls Amtsführung ist vielen seiner früheren Mitarbeiter noch in guter Erinnerung. Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes legte er sehr großen Wert auf die persönliche Ausstattung. Als Dienstwagen fuhr er zum Beispiel einen Porsche.

Ansonsten hinterließ er in seinem Amt kaum Spuren, zu sehr war er mit sich selbst beschäftigt. Er habe eine Di-Mi-Do-Amtsführung betrieben, heißt es bei ehemaligen Mitarbeitern.

In einem offiziellen Buch des Bundesverfassungsschutzes zum 50-jährigen Bestehen des Amts im Jahr 2000 werden alle Amtsleiter gewürdigt. Über Pfahls steht dort ein kurzer Absatz von bestechender Klarheit: "Pfahls war in seiner Amtszeit ausreichend damit beschäftigt, mit Hilfe seiner Partei, die für ihn Maßstab und Grundlage aller Entscheidungen war, seine Karriere zu pflegen. Seine Amtsführung war vor allem geprägt von seiner Entschlossenheit, seine kurze Amtszeit unbeschadet zu überstehen und seinen Willen durchzusetzen. Er beschränkte seine Pressekontakte im Wesentlichen auf einige ihm aus seiner Münchner Zeit in der Bayerischen Staatskanzlei bekannte Journalisten, die er offenbar im Griff zu haben glaubte und mit denen er kein Risiko einging."

Das Risiko, das er einging, war ein anderes. Die Ermittler werden in den nächsten Wochen versuchen, lückenlos zu rekonstruieren, wo sich Pfahls wann versteckt hat und wer die schützende Hand über ihn hielt.

Es gibt Hinweise, dass er sich - anders als bislang vermutet wurde- nicht lange in Asien aufgehalten hat. Möglicherweise ist er am 3. Juli 1999 von Hongkong gleich mit der Fluglinie Virgin Atlantic nach London geflogen und hat sich dann auf den Weg nach Frankreich gemacht.

Die Fahnder hatten damals festgestellt, dass er unter dem Namen "Falls" in Taipeh ein halbes Dutzend Tickets für Flüge in verschiedene Richtungen gekauft hatte. Am 4. Juli 1999 war, wie später festgestellt wurde, von London aus mit Pfahls Handy telefoniert worden. Eine Spur? Eine Fehlspur?

Begegnung in Alpe-d'Huez

Es gibt wieder zwei Theorien. Nach der ersten war tatsächlich Pfahls in die britische Hauptstadt gereist und hatte dann von dort seine Flucht fortgesetzt. Nach der zweiten Theorie hatte er das Handy einem Bekannten gegeben, um so seine Spur zu verwischen.

Der Geheimdienstler a.D. war ein Fuchs, er verstand sich ebenso wie sein früherer Chef Franz Josef Strauß auf Konspiration. Als Pfahls Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden sollte, hatte Strauß zum Beispiel die geheime Botschaft persönlich dem damaligen DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski übermitteln lassen, und der hielt dicht.

Pfahls soll in Paris in Begleitung einer rund 30 Jahre jüngeren Frau aus Moldawien gewesen sein, mit der er schon ein paar Jahre zusammenlebte. Seine zweite Ehe mit Frau Birgit war durch die Geldaffäre kaputtgegangen. Birgit Pfahls war 15 Jahre jünger als er gewesen, der Mountainbiker Pfahls hatte die Radsportlerin 1994 bei einem Anstieg nach Alpe-d'Huez kennen gelernt. Eine Athletin - wie auch die Moldawierin.

Bei den ersten Vernehmungen soll Pfahls erklärt haben, dass er die vergangenen fünf Jahre nahezu ausschließlich in Paris verbracht habe. Der Einser-Jurist spricht fast akzentfrei französisch.

Irrtum

Er hat einst bei Daimler-Benz in Brüssel als Repräsentant gearbeitet und auch die Chef-Manager des französischen Ölmultis Elf Aquitaine beraten. Seine junge Freundin, die er am Dienstag dieser Woche zum Flugplatz bringen wollte, soll bei einer Vernehmung gesagt haben, dass sie ihn in Österreich kennen gelernt habe. Von da an seien sie zusammengeblieben.

Im österreichischen Lech war im August 2001 auch der Lobbyist Dieter Holzer festgenommen worden, der ein enger Freund von Pfahls ist. Die Fahnder hatten damals einen Anruf von Holzer in seinem Büro im saarländischen Quierschied abgefangen und hatten daraus geschlossen, dass sich Pfahls mit Holzer in Österreich treffen wollte. Dass war ein Irrtum. Dauerhaft hat dieser Irrtum dem Gesuchten nicht helfen können.

© SZ vom 15.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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