Pandemie-Urlaub:Corona duldet kein Sommerloch

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Die Politik entlässt die Bürger in die Ferienflieger - mit Unbehagen und nicht immer klar formulierten Mahnungen.

Von Boris Herrmann, Berlin

Kurz bevor sich der Bundestag Ende vergangener Woche mit einem Hammelsprung in die Sommerpause verabschiedete, beantwortete Bundeskanzlerin Angela Merkel noch einige der dringendsten Fragen der Abgeordneten. Unter anderem ging es da natürlich um die Mutter aller Sorgen der deutschen Reiseweltmeister: die um den Urlaub. Wohin kann man dieses Jahr reisen? Soll man überhaupt reisen? Nach einigen rhetorischen Schleifchen über den Schengenraum als gemeinsamen Reiseraum sowie die damit verbundenen epidemiologischen Risiken, sagte Merkel den sehr merkelschen Satz: "Bis jetzt sind wir so hingekommen, dass ich sagen kann, es ist verantwortbar."

Eine Reise, so der Schriftsteller Franz Grillparzer, ist ein vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände. Jedwede Urlaubsreise aber, die im Sommer 2020 unternommen wird, dürfte wohl eher zum Ausdruck verworrener Zustände werden. Eine der Grundideen des Urlaubens besteht ja darin, anderen Menschen an anderen Orten zu begegnen, ohne etwas befürchten zu müssen und im günstigsten Fall sogar mit ein paar schöne Erinnerungen heimzukehren. Im diesem Jahr muss es vor allem darum gehen, keine Aerosole zu verteilen und keinen Trockenhusten mitzubringen. Oder wie es der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Montag ausdrückte: "Corona macht keine Ferien."

Der Tonfall von Merkel und Ziemiak entspricht dem eines Kabinettsbeschlusses von Anfang Juni mit dem Titel: "Kriterien zur Ermöglichung des innereuropäischen Tourismus". Aus dem Papier lässt sich in keiner Zeile eine Einladung zum Reisen herauslesen. Es ist eher ein Beipackzettel zu den Risiken und Nebenwirkungen einer Reisetolerierung. Auch die jüngsten Hinweise von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) an alle Urlaubswilligen lassen sich auf den Punkt bringen: Wenn ihr unbedingt meint, dann fahrt halt.

Dabei hätten sich die Deutschen und nicht zuletzt auch die deutschen Politiker ihre Sommerurlaubsreisen redlich verdient. Hinter dem Land liegen vier Monate voller nerven- und kräftezehrender Umwälzungen, und was der Deutsche Bundestag seit März alles beschlossen hat, hätte in seuchenfreien Zeiten locker für vier Jahre gereicht. Traditionell brächen jetzt die Sommerloch-Tage an, an denen entlaufene Kängurus oder in Baggerseen planschende Kaimane die Nachrichtenlage bestimmen müssten. Aber Corona macht nicht nur keine Ferien, es duldet auch kein Sommerloch. Dem Unbehagen der Politik, das Volk in die Strandkörbe und Ferienflieger zu entlassen, steht ja auch die Frage gegenüber, ob es dem Volk so gut gefiele, wenn es bis September sturmfrei von seinen Politikern hätte. Irgendwie tragen diese regelmäßigen Nachtragshaushalte, die Merkel- und Söder-PKs ja doch zur Beruhigung der Gemüts "in diesen Zeiten" bei.

Auf Merkels Präsenz wird man schon wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht verzichten müssen, es dürfte ja ihr letzter großer Sommer werden, im nächsten wird sich schon alles um die Wahl für ihre Nachfolge drehen - klar, immer vorausgesetzt, es gibt bis dahin einen Impfstoff. Aber auch andere Spitzenpolitiker verabschieden sich nun allenfalls halbherzig in die Ferien. In Anlehnung an das Urlaubsmotto Markus Söders ("Mein Platz ist in Bayern") wollen sich auch Armin Laschet (Bodensee), Jens Spahn (Tegernsee) und Horst Seehofer (Altmühltal) heimatnah erholen, also höchstens einen Kurzstreckenflug entfernt, um wieder ins Infektionsgeschehen eingreifen zu können.

Angesichts all dieser Vorbehalte drängt sich der Gedanke auf: Sollte man es in diesem Jahr nicht einfach mal ganz sein lassen? Aber was sicherlich gut für den R-Faktor, für die Luft und für Venedig wäre, ist nun einmal fatal für die Lufthansa und für das Hotelgewerbe. Die Befürworter eines regen Reisebetriebs argumentieren deshalb auch weniger mit dem Erholungsfaktor als mit der Rettung der Tourismusbranche. Der Spiegel forderte gerade sinngemäß: Zerstört das coronabedingte Paradies auf Malle, damit es weiterlebt!

Für das große Umdenken, das allenthalben gefordert wurde, scheint es ohnehin schon wieder zu spät zu sein. Und es wäre viel erreicht, wenn zumindest der Wunsch des Gesundheitsministers in Erfüllung ginge, "dass aus dem Ballermann jetzt kein zweites Ischgl wird".

© SZ vom 08.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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