Palästinenser-Führung:Im Schatten der Eskalation

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Die verfeindeten Parteien Fatah und Hamas wollen Israel anerkennen. Damit könnte in den fest gefahrenen Nahost-Konflikt wieder Bewegung kommen. Und die brandgefährliche Auseinandersetzung zwischen den wichtigsten politischen Kräften der Palästinenser könnte sich entschärfen. Endlich.

Tomas Avenarius

Selten folgten schlechte und gute Nachrichten in so dichtem Wechsel aufeinander: Nach der Entführung eines israelischen Soldaten stehen Panzerverbände der Armee mit laufenden Motoren bereit, die Grenze nach Gaza zu überqueren. Sie sollen den israelischen Kanonier befreien und die Kidnapper im Lager der palästinensischen Militanten bestrafen. Zugleich verkünden aber die zerstrittenen Palästinenserparteien Fatah und Hamas, dass sie sich nach wochenlangem Gezerre nun doch auf ein zukunftsweisendes Strategie-Papier geeinigt haben. Auf ein Dokument, dass dem Vernehmen nach ausdrücklich die "Zwei-Staaten-Lösung" vorsieht - und damit indirekt auch die Anerkennung Israels durch die radikalen Hamas-Palästinenser.

Das wäre eine Sensation. Es könnte wieder Bewegung kommen in den fest gefahrenen Nahost-Konflikt. Das Papier, wenn es denn im Detail die Erwartungen erfüllt, könnte auch noch etwas anderes leisten. Es könnte als Programm einer Koalitionsregierung aus Hamas und Fatah dienen. Und damit den brandgefährlichen Konflikt zwischen den wichtigsten Kräften der Palästinenser entschärfen.

Die militanten Zirkel entscheiden weiter mit

Grund zur Friedenshoffnung also, obwohl die Bewaffneten auf beiden Seiten zum Angriff bereitstehen? Zwei Dinge bleiben abzuwarten. Hat Hamas in den Gesprächen mit der Fatah den Fehler begangen, den auf Versöhnung angelegten "Plan der Gefangenen" bis zur Unkenntlichkeit hin zu verwässern? Wenn ja, werden Israel, Amerika und die EU die Einigung als bedeutungslos zurückweisen; dem würden die wichtigen arabischen Staaten stillschweigend beipflichten.

Und wenn das von Palästinenserpräsident Machmud Abbas und Hamas-Premier Ismail Hanija ausgehandelte Papier doch trägt, wenn die von den Radikalen mit der Geiselnahme erreichte Eskalation die politischen Kontrahenten erst zur Übereinstimmung gebracht hat? Auch dann entscheiden kleine, überaus militante Zirkel weiter mit: Der israelische Soldat wird angeblich von einer Splittergruppe der Hamas-Militanten festgehalten, die mit anderen Kleingruppen agiert, und wie es aussieht, hat die im Exil in Damaskus sitzende Hamas-Auslandsführung auch die Hand im Spiel. Sie verfolgt womöglich andere Ziele als die halbwegs kompromissbereiten Hamas-Leute um Premier Hanija in Gaza.

Kommt nun der Soldat nicht rasch und vor allem unversehrt frei, wird Israels Regierung sich zum Handeln gezwungen sehen. Im Falle einer Militäraktion im Gaza-Streifen werden jedoch weder Abbas noch Hanija die Lage kontrollieren können. Wenn geschossen wird, findet ihr Friedenspapier seinen Platz wohl unausweichlich im Papierkorb. Dann würde ein altes Muster bestätigt, und das genau könnten die zynischen Absichten der Entführer sein. Alle neun Fälle, in denen bisher israelische Soldaten entführt worden waren, endeten tödlich für die Geiseln. Und führten jedes Mal zu einer neuen Eskalation des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern.

© SZ vom 28.06.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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