Pakistan:Der Kampf nach dem Krieg

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Pakistans Armee vermeldet einen Sieg über die Taliban im Swat-Tal. In Wasiristan verschleppen mutmaßliche Islamisten zahlreiche Studenten.

Oliver Meiler

Die Schlacht ist vorbei, die Taliban sind vertrieben - und Mingora liegt in Schutt. Alle Stromleitungen in der Stadt sind unterbrochen, die Telefonnetze auch, sogar das Trinkwasser fließt nicht mehr. Eine Woche lang hat der Häuserkampf zwischen der Armee und den Taliban in der größten Stadt im einst pittoresken nordpakistanischen Swat-Tal gedauert. Fernsehkameras und Journalisten waren keine dabei.

Ein Mädchen auf der Flucht - Pakistan meldet einen Sieg über die Taliban im Swat-Tal. (Foto: Foto: Reuters)

Die einzigen Berichte aus der Stadt, die vor der Massenflucht mehr als eine Viertelmillion Einwohner zählte, stammten von der Armee. Und die meldete regelmäßig Erfolge. Am Ende sollen 1271 Taliban getötet worden sein, 79 verhaftet. Von den Soldaten sollen nur 81 gefallen sein.

Überprüfbar sind diese Zahlen nicht. Sie könnten auch der Propaganda dienen. Denn im Westen galt die Schlacht um Mingora und um das Swat-Tal als wichtiger Test für die Fähigkeit und für den Willen der pakistanischen Streitkräfte in ihrem Kampf gegen die islamistischen Extremisten.

Viel prekärer noch als in Swat ist die Sicherheitslage in den Stammesgebieten etwas weiter südlich: in Nord- und Süd-Wasiristan - zentrale Rückzugsgebiete der Taliban im Grenzgebiet zu Afghanistan. In Süd-Wasiristan kamen nach Militärangaben am Wochenende mindestens 25 Aufständische und sieben Soldaten bei Kämpfen ums Leben.

Doch die Radikalen schlugen am Montag zurück und verdeutlichten, wie mächtig sie in dem Gebiet sind. Wie die Nachrichtenagentur AP meldete, verschleppten mutmaßliche Islamisten etwa 400 Studenten und Dozenten einer Militär-Schule. Dies habe die Polizei bestätigt. Zu der Tat bekannte sich zunächst niemand. Beobachter gingen aber davon aus, dass es sich um eine Vergeltungsaktion der Taliban für die Angriffe der pakistanischen Armee handelte.

Die Menschen seien auf der Flucht von dem Hochschulgelände in Nord-Wasiristan überfallen worden. Ein Anrufer hatte ihnen zuvor nahegelegt, zu fliehen und sich dabei offenbar als Behördenvertreter ausgegeben. Etliche Radikale stoppten dann etwa 30 Busse und Autos und verschleppten sie, hieß es weiter. Nach Angaben der Agentur dpa sollen nur 50 Studenten entführt worden sein, die meisten seien kurze Zeit später wieder freigelassen worden, wird der stellvertretende Leiter der Schule zitiert.

Dabei hatte sich das pakistanische Militär zuvor optimistisch gegeben: "Nur fünf bis zehn Prozent des Jobs im Swat-Tal bleiben nun noch zu verrichten", sagte Syed Athar Ali, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur, "nun beginnt hoffentlich bald der Wiederaufbau, der es den Flüchtlingen erlauben wird, in ihre Heimat zurückzukehren."

Ungefähr drei Millionen Menschen sind im vergangenen Monat, seit dem Beginn der bislang größten Militäroffensive gegen Pakistans Taliban, aus dem Nordwesten des Landes geflohen. Viele von ihnen leben nun in überfüllten Lagern nahe der Hauptstadt Islamabad. Internationale Hilfsorganisationen warnen vor einer Katastrophe. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari sagte Soforthilfe in Höhe von umgerechnet 4,3 Millionen Euro zu.

In Mingora selber waren nach Schätzungen der Regierung nur etwa 10.000 Bewohner zurückgeblieben, als die Schlacht begann. Die meisten von ihnen wollten ihre Häuser und Habseligkeiten beschützen. Doch dann griff die Armee aus allen Lagen an und beschoss die mutmaßlichen Verstecke der Extremisten auch mit schwerer Artillerie. Die Zerstörung ist überwältigend. Das pakistanische Fernsehen zeigte ganze Straßenzüge in Ruinen, ausgebrannte Läden und Häuser. Und Menschen, die sich zum ersten Mal nach dem Ende der Gefechte wieder aus ihren Häusern wagten und verzweifelt nach Nahrung suchten. Ein Bewohner berichtete der pakistanischen Zeitung Daily Times, er habe sich mehr als eine Woche lang verschanzt. In dieser Zeit habe er Blätter von Bäumen gepflückt, geröstet und gegessen.

Das Internationale Rote Kreuz berichtete, dass es in weiten Teilen des Swat-Tals kein Trinkwasser mehr gebe, kein Benzin für Generatoren, kaum mehr medizinische Versorgung und auch fast keine Nahrungsmittel. Alle Hilfsorganisationen, die in Pakistan aktiv sind, zeigen sich alarmiert und riefen zu Spenden auf.

Militärexperten geben zu bedenken, dass die pakistanische Armee Mühe haben werde, das zurückeroberte Territorium dauerhaft unter ihre Kontrolle zu bringen und zu sichern. Es bräuchte dafür viel mehr Truppen. Außerdem ist der gesamte zivile Sicherheitsapparat des Staates in den vergangenen zwei Jahren zusammengebrochen. Und mit der Polizei alle anderen öffentlichen Institutionen auch. Die US-Armee teilte am Sonntag mit, sie werde 4000 Einsatzkräfte nach Pakistan entsenden, um einheimische Polizeikräfte auszubilden.

© SZ vom 02.06.2009/bica/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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