Päpstliche Diplomatie:Byzantinische Wendungen

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Der Besuch von Benedikt XVI. hat nicht allein seelsorgerische, sondern auch klare politische Gründe. Der Vatikan stützt die EU-Ambitionen der Türkei, weil er die Annäherung an die orthodoxe Ostkirche sucht.

Christiane Schlötzer

Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, misstraute den Religionen und vor allem jeder Macht im Namen des Islam. Seine Republik schaffte in Istanbul das Kalifat ab, dazu die Gerichte, die nach der Scharia urteilten, und die Medresen, die Schülern statt Mathematik nur den Koran lehrten.

Benedikt XVI. am Mittwoch Abend in Istanbul. (Foto: Foto: dpa)

Kemal Atatürks Erben schufen dann eine Staatsdoktrin, die einen handfesten Nationalismus zu einer Art Ersatzreligion erhob. Die bedrängten Christen im Land spüren das bis heute. Papst Benedikt XVI. erwies Atatürk jetzt die Ehre und besuchte in Ankara dessen pompöses Grabmal.

Keine andere Geste hätte besser beweisen können, dass die vatikanische Visite nicht allein ein seelsorgerisches, sondern auch ein politisches Unterfangen ist.

"Bereicherung für alle"

Nun hat die Türkei heute in Tayyip Erdogan einen Regierungschef, der zwar an Nationalfeiertagen auch Kränze am Atatürk-Mausoleum ablegt. Aber zur Religion pflegt der Premier ein ganz anderes Verhältnis als der Schöpfer der Republik. Erdogan hörte daher gewiss gerne, dass der Papst auf türkischem Boden eine "aktive Präsenz von Religionen in der Gesellschaft" als "Bereicherung für alle" pries.

Mehr Raum für den Islam, das ist genau das, was sich der Regierungschef wünscht. Beispielsweise durch eine Aufhebung des strikten staatlichen Kopftuchverbots an Universitäten. Auch die seit mehr als drei Jahrzehnten geschlossene griechisch-orthodoxe Priesterschule in Istanbul dürfte wieder öffnen, ginge es nach Erdogan. Geht es aber nicht.

In fast allen Fragen, die den Stellenwert des Spirituellen betreffen, entscheidet der von nationalistischen Bedenkenträgern durchsetzte Staatsapparat, mit steter Rückendeckung von Militär und Gerichten. Auch deshalb ist es für die griechisch-orthodoxe und für die armenische Kirche in der Türkei so schwer, ihren vom Staat erbeuteten Besitz an Kirchen, Klöstern und Friedhöfen zurückzuerhalten.

Erdogan als Partner für den Papst

Der größte Widerstand gegen eine EU-Mitgliedschaft des Landes findet sich in denselben Kreisen, die für sich in Anspruch nehmen, Atatürks Erbe zu verteidigen, dabei aber vergessen, was der radikale Reformer und Religionsstürmer wollte: die Westbindung der Türkei.

Partner für den Papst, so seltsam dies klingen mag, sind damit in der Türkei allenfalls die geläuterten Islamisten um Erdogan. Wie es scheint, sind dem Vatikan solche Überlegungen nicht mehr fremd. Auch wenn Erdogan die Äußerungen Benedikts zu einem künftigen EU-Beitritt der Türkei etwas geschönt haben dürfte, die neue Linie ist unverkennbar.

Als Kurienkardinal hatte Joseph Ratzinger Ankara noch empfohlen, sich mit den arabischen Nachbarn zu verbünden, wegen angeblich "gemeinsamer Identität". Jetzt nennt Benedikt XVI. die Türkei "ein gesegnetes Land" und spricht in Ephesus von einer "natürlichen Brücke der Kontinente". So viel unerwartete Schwärmerei dürfte viele Kritiker des Papstes in der Türkei entwaffnen.

Und sie stärkt eine Regierung, die ihr Land in Europa beständig als Brücke der Kulturen anpreist. Der Papst stützt so die EU-Ambitionen der Türkei - egal, was exakt er nun in Ankara zu Erdogan gesagt hat.

Letztlich ist die überraschende Kehrtwende des Kirchenoberhaupts nichts anderes als geschickte vatikanische Diplomatie. Der Papst sucht die Annäherung an die orthodoxe Ostkirche. Und Patriarch Bartholomäus sitzt nun mal in Istanbul und ist ein entschiedener Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei.

Verbale Abrüstung

Denn der Patriarch fürchtet, wenn Ankara den Weg der EU-Reformen wieder verlässt, wird es bald gar keine Christen im Land mehr geben. Die türkischen Nationalisten werden das Patriarchat am Goldenen Horn gewiss nicht überleben lassen.

Konservativen Kritikern der Türkei in der EU hat Benedikt jetzt gleichermaßen Sturmwind aus den Segeln genommen. Dazu passt, dass während des Papst-Besuchs in Anatolien auch die EU-Kommission in Brüssel zur Entspannung blies.

Sie empfahl den EU-Regierungschefs, bei ihrem Gipfeltreffen Mitte Dezember die Beitrittsgespräche mit der Türkei wegen des leidigen Zypern-Zwists nur in Teilen auszusetzen, aber nicht völlig abzubrechen. Es spricht vieles dafür, dass die EU-Spitzen diesem Vorschlag folgen werden. An einer schroffen Abweisung Ankaras hat die Mehrheit der EU-Regierungen derzeit kein Interesse.

Hinter der verbalen Abrüstung nach den Aufgeregtheiten der vergangenen Wochen steckt politischer Pragmatismus. EU und USA suchen nach einer neuen Nahost-Politik, ihre Politiker drängen sich gerade in den Hauptstädten der Region. Dabei die Türkei zu ignorieren, wäre sträflicher Leichtsinn.

Erdogan wird am Wochenende in Teheran erwartet und plant einen Trip nach Damaskus, um Syrien zur Anerkennung der Souveränität des Libanon zu drängen. Das Innenleben der Türkei mag höchst kompliziert sein, aber ihre Außenpolitik kann Europas Handlungsspielraum erweitern.

Der 11. September 2001 brachte den Islam im Westen in den falschen Generalverdacht, dem Terror die Hand zu reichen. Dies warf auch auf das Bild der Türkei in Europa einen dunklen Schatten. Wenn nun ausgerechnet der Papst wieder Licht in die Düsternis wirft, dann ist dies ein bedeutendes Signal der Entspannung. Es wirkt weit über Atatürks Republik hinaus.

© SZ vom 30.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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