Organspenden:Eine Frage des Gewissens

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Automatisch Organspender sein, wenn man nicht ausdrücklich widerspricht? Auch in der CDU wächst die Sympathie für diese Idee. Um der Widerspruchslösung eine Chance zu geben, plädieren Politiker aller Lager für eine Gewissensfrage im Parlament.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Ob ein Mensch seine Organe spenden möchte, wenn er stirbt, ist eine hochemotionale Frage. Sie berührt den eigenen Tod, die innersten Überzeugungen und Ängste jedes Einzelnen und die einer ganzen Gesellschaft. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich diesem sensiblen Thema am vergangenen Montag auf seine eigene Art gewidmet - per Titelseite der Bild-Zeitung. "Organe spenden soll Pflicht werden", dröhnte das Blatt, im Interview forderte Spahn eine "doppelte Widerspruchslösung": Jedem Bürger, der sich nicht ausdrücklich gegen eine Spende entscheidet, dürften demnach Organe entnommen werden. Es sei denn, die Familie widerspricht nach seinem Tod.

Die Diskussion nach dieser Schlagzeile hat das Potenzial, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Gerade in der konservativen Union, die ihre ablehnende Haltung mit den Kirchen teilte, stellen sich immer mehr Abgeordnete hinter Spahns Widerspruchslösung. Am Mittwoch sagte sogar Kanzlerin Angela Merkel (CDU): "Ich persönlich habe große Sympathie für die Widerspruchslösung". So sei man gezwungen, einmal im Leben aktiv über eine Organspende nachzudenken, die Zahl der Spender sei ja "viel, viel zu gering".

Deutschland hat im vergangenen Jahr einen Tiefpunkt erreicht. Gerade einmal 797 Menschen spendeten Organe, so wenig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Im europäischen Vergleich das zweitschlechteste Ergebnis. Die geringe Zahl der Organentnahmen macht deutsche Patienten, die auf eine Operation warten, nicht nur abhängig von Importen aus den Nachbarländern. Sie sorgt auch dafür, dass viele Menschen vergeblich auf der Liste stehen.

Um der Widerspruchslösung eine Chance zu geben, plädieren Politiker aller Lager jetzt für eine Gewissensfrage im Parlament. Abgeordnete sollen bei diesem sensiblen Thema für sich persönlich entscheiden und nicht nach Parteiräson. Der Fraktionschef der Union, Volker Kauder, hat eine solche Abstimmung bereits befürwortet - und zugleich klar gemacht, dass er selbst, nach alter christlicher Überzeugung, in Spahns Widerspruchslösung einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht sieht. Im Gegensatz dazu versammelt sein Stellvertreter, Georg Nüßlein (CSU), mittlerweile Unionsabgeordnete hinter sich, die das anders sehen. "Die niedrigen Spenderzahlen beeindrucken viele Kollegen", sagt Nüßlein. Er wirbt seit Wochen für den Widerspruch und glaubt, bei Parteikollegen jetzt eine neue Stimmung festzustellen: "Es gibt eine große Gruppe in der Union, die es so sieht, wie ich", sagt er. Mehrere konservative Gesundheitspolitiker bestätigen: Die Union sei in der Organfrage längst nicht mehr komplett ablehnend, sondern geteilter Meinung.

Mit den Stimmen dieser neuen Befürworter könnte die lang bekämpfte Widerspruchslösung dieses Mal Gesetz werden. Denn in der SPD gibt es ebenfalls Zustimmung dafür. Fraktionsvize Karl Lauterbach lobte Spahns Initiative gleich am Montag, auch die gesundheitspolitische Sprecherin, Sabine Dittmar, berichtet von vielen positiven Reaktionen bei den Sozialdemokraten - neben wenigen skeptischen.

Bei Grünen und Linken ist das Bild gemischt, doch auch dort haben einzelne Abgeordnete bereits öffentlich Sympathie für ein neues Organspendeverfahren signalisiert. Anders als in der FDP, wo Parteichef Christian Linder unverzüglich eine "Deformation der Selbstbestimmung" geißelte. Bei einer Gewissensfrage wird die AfD wohl an Linders Seite stehen. Die Rechtspopulisten würden "eine Widerspruchslösung ganz überwiegend ablehnen", sagt deren Gesundheitsexperte Axel Gehrke.

Jens Spahn blickt unterdessen zufrieden auf die neue, alte Kontroverse: "Wer das Leid der vielen kennt, die auf die wenigen Spenderorgane hoffen, der muss die Debatte um die Widerspruchslösung erneut anstoßen", sagt er. "Genau das tue ich." Die Schlagzeilen haben allerdings auch dafür gesorgt, dass niemand mehr über einen anderen, aktuellen Gesetzentwurf aus seinem Ministerium spricht. Er handelt ebenfalls von Organspenden. In den Kliniken scheitert die Organentnahme nämlich oft schon daran, dass gar kein OP-Saal frei ist. Ärzte fragen deshalb überhaupt nicht nach, ob ein Verstorbener Organspender ist. Viele Experten sehen hier die Hauptursache der sinkenden Zahlen. Das Gesetz begegnet diesem Problem an vielen kleinen Stellschrauben. Diese neuen Klinikregeln könnten am Ende deutlich mehr bewirken als die Widerspruchslösung. Bloß für Titelseiten eignen sie sich nicht.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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