Opposition in Russland:"Nur in der Küche wird kritisch geredet"

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Wladimir Ryschkow gehört zu den wenigen Duma-Abgeordneten, die den Kremlchef offen kritisieren. Er spricht über die Passivität von Volk und Opposition und warum es sich um die Imitation einer Wahl handelt.

Frank Nienhuysen

Es ist Wahlkampfzeit in Russland, aber kaum einer kämpft: Die kremltreue Partei Einiges Russland muss um den Sieg nicht bangen, weil Wladimir Putin ihre Liste anführt. Und für die Opposition ist der Kampf ohnehin fast aussichtslos. Kurz vor der Parlamentswahl am 2. Dezember und der Abstimmung über den neuen Präsidenten im März scheint allein Putin die Machtfrage zu regeln.

Wladimir Ryschkow, 41, gehört zu den wenigen Duma-Abgeordneten, die den Kremlchef offen kritisieren. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Ryschkow in München, wo er wegen seines Einsatzes für Meinungsfreiheit und Demokratie den Thomas-Dehler-Preis erhielt.

SZ: Russlands Politik scheint derzeit allein aus Präsident Putin zu bestehen. Wie oft zeigen Sie sich der Bevölkerung?

Ryschkow: Im ersten Fernsehkanal bin ich vor sieben Jahren zuletzt aufgetreten, im zweiten vor sechs Jahren. Bei NTW vor drei Jahren. Sie alle sind für die Opposition gesperrt. Der einzige mehr oder weniger liberale Sender ist Ren-TV, aber er erreicht nur zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung. Ich hatte dort erst vor einigen Tagen einen Auftritt, aber bei der Ausstrahlung der Sendung waren 70 Prozent meiner Beiträge herausgeschnitten - die interessantesten Aussagen. Es ist nicht so schlecht wie in Sowjetzeiten, aber wir haben einfach keine demokratische Medienlandschaft.

SZ: Was hat Putin vor? Lässt er sich für kurze Zeit zum Premier wählen, um dann zurückzutreten und am 26. März doch wieder Präsident zu werden?

Ryschkow: Keiner weiß es. Alles ist in Wolken gehüllt, und Putin produziert immer mehr Wolken. Alle Macht ist in seinen Händen, er kontrolliert beide Parlamentskammern, die regierende Partei, das Fernsehen, Gazprom, die Ölleitungen. Es gibt viele Szenarien. In jedem Fall wird er an der Macht bleiben.

SZ: Und die Opposition schaut zu. Hat sie überhaupt noch irgendeinen Einfluss?

Ryschkow: Die Opposition ist draußen. Erstmals in der postsowjetischen Zeit findet die Wahl ohne echte Opposition statt. Es ist nur die Imitation einer Wahl. Ich selber kann ja diesmal auch nicht antreten, weil die Verfassung Direktkandidaten nicht mehr erlaubt, nur noch Parteilisten. Aber meine Republikanische Partei darf nicht mitmachen, weil wir angeblich nicht 50.000 Mitglieder haben. Obwohl es sogar 60.000 sind.

SZ: Sie könnten sich anderen oppositionellen Parteien anschließen.

Ryschkow: Das habe ich versucht. Ich habe Grigorij Jawlinskij von Jabloko vorgeschlagen, dass die Republikanische Partei und Jabloko fusionieren. Er lehnte ab. Mit der Union rechter Kräfte hatte ich gute Gespräche. Aber dann wurde ihr gesagt: Wenn ihr Ryschkow aufnehmt, werdet ihr auch nicht zugelassen. Der Kreml hat Angst, dass sich die Demokraten zusammenschließen.

SZ: Selbst wenn sich alle Liberalen zusammenschlössen, hätten sie wohl derzeit keine Chance.

Ryschkow: Immerhin wäre es dann eine starke Fraktion, eine richtige Opposition. Aber für diesmal ist schon alles vorbei. Wir müssen jetzt eine wirklich starke demokratische Partei schaffen. Wenn uns das in den nächsten vier Jahren nicht gelingt, wird es eine Katastrophe sein für die Demokratie in Russland.

SZ: Vielen Russen gefällt die Kombination: in der Welt neue Macht zu haben und daheim mehr Wohlstand. Hat Putin vielleicht doch einiges richtig gemacht und ist deshalb konkurrenzlos beliebt?

Ryschkow: Russland ist mächtiger geworden wegen der Wirtschaft. Der Ölpreis liegt bei 90 Dollar, unter Jelzin lag er bei 19. Unsere Währungsreserven sind die drittgrößten in der Welt. Aber ich bezweifle, dass Russland wettbewerbsfähiger geworden ist. Die Landwirtschaft produziert nicht genug für die Bevölkerung. Der Staat ist stark, aber die Wirtschaft als solche ist schwach.

SZ: Warum protestieren dann nicht mehr Russen? Ist das Volk entpolitisiert?

Ryschkow: Derzeit konzentrieren sich die Menschen auf das private Leben. Aber es gibt viele Bereiche, Korruption, Bildung, Gesundheitspolitik, über die sie frustriert sind. Die russische Bevölkerung hat jedoch immer schon wenig verlangt. Und dann die Propaganda. In den letzten sieben Jahren gab es kaum ein kritisches Wort im Fernsehen gegen Putin. Immer wurde von Erfolgen berichtet. In Sowjetzeiten verbreitete das Fernsehen ein positives Bild, während daheim in der Küche sehr kritisch geredet wurde. So ist es auch jetzt. Doch insgesamt ist die Bevölkerung im Augenblick passiv.

SZ: Die meisten dieser passiven Menschen aber werden am 2. Dezember vermutlich zur Wahl gehen, weil sie nicht wollen, dass sich Putin zur Ruhe setzt.

Ryschkow: Putin will legitimer Führer sein, dazu braucht er eine Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent. Das halte ich für unmöglich. Die Menschen verstehen sehr gut, dass die Wahlen nur vorgespiegelt sind, dass es keinen echten Wettbewerb gibt. Glauben Sie im Dezember nicht den offiziellen Zahlen.

© SZ vom 24.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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