Online-Hetze:Hilfe gegen die Hasser

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Anna-Lena von Hodenberg, 39, ist Gründerin und Vorsitzende von Hate Aid. Der Verein berät Menschen, die im Netz angefeindet werden. (Foto: Hate Aid)

Eine Berliner Firma unterstützt Opfer dabei, juristisch gegen die Täter vorzugehen - denn das ist oft noch sehr schwierig.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Wenn es um Hetze und Beleidigungen in den sozialen Medien geht - da hat die junge Wissenschaftlerin Madita Oeming schon einiges erlebt. Das bringt das Sujet mit sich, das sie in ihrer Amerikanistikforschung gewählt hat: eine Kulturgeschichte der Pornografie. "Dafür habe ich schon immer Gegenwind bekommen, vereinzelte Anfeindungen", sagt Oeming, die im Netz vor allem über Twitter kommuniziert. Doch diese 48 Stunden im August, darauf war sie weder vorbereitet, noch möchte sie das jemals wieder erleben. Bis heute bleibe ihr "ein bitterer Nachgeschmack", sagt Oeming. "Ich öffne Twitter jetzt oft mit einem flauen Gefühl."

Die meisten Online-Täter sind Männer, quer durch alle sozialen Klassen

Oeming hatte im vergangenen Semester einen Lehrauftrag an der Freien Universität Berlin, "Porn in the USA" lautete der Titel ihres Seminars. Im August postete Oeming dies auf Twitter, was Beatrix von Storch, heute stellvertretende Vorsitzende der AfD, zu einem Retweet samt abschätzigem Kommentar veranlasste. Bald nachdem die Rechtspopulistin Oemings Tweet geteilt hatte, erreichte er auch die Kreise rechtsextremer Amerikaner, ein Shitstorm brach los. In nur zwei Tagen hatten 250 000 Menschen Oemings Tweet gesehen. "Das hatte eine erschreckende Reichweite", es hagelte Retweets voller Beleidigungen und Diffamierungen. "Mein erstes Gefühl war, wie gelähmt zu sein", sagt Oeming. "Man fühlt sich im wahrsten Sinne des Wortes überrollt."

Die Wissenschaftlerin wusste nicht, wie sie auf die Angriffe über Twitter oder Mail reagieren sollte. Sie wollte die Sache nicht dramatisieren. Doch die 48 Stunden hatten sich in sie hineingefressen. "Es ist sehr schwer, sich davon emotional zu distanzieren. Wenn man tausend Mal hört, man sei ein schlechter Mensch und man gehöre in die Hölle, dann glaubt man es irgendwann selbst ein bisschen", sagt Oeming. Schließlich suchte sie sich Unterstützung bei Hate Aid. Die Organisation hilft Menschen, die Hasspostings und Shitstorms, sogenannte digitale Gewalt, aus rechten Kreisen erleben.

"Es hilft total, mit jemandem zu sprechen. Ernst genommen zu werden", sagt Oeming. Hate Aid half auch ganz praktisch: Die Organisation schrieb einen Brief an die Universitätsleitung. Der Wissenschaftlerin wurde daraufhin Sicherheitspersonal zur Seite gestellt. Gegen besonders harte Beleidigungen geht Hate Aid juristisch vor.

Anna-Lena von Hodenberg hat gerade Mittagspause, sie besucht ein Seminar am Potsdamer Platz. Es geht um Personalführung, Controlling, Steuerfragen. Als Geschäftsführerin von Hate Aid muss sich die frühere Journalistin inzwischen auch mit solchen Fragen herumschlagen. Sie hat Hate Aid 2018 mit Unterstützung der Kampagnenorganisation Campact gegründet. Noch vor einem Jahr hatte sie nur eine Angestellte. Dann, als sie im vergangenen Juli mit der Webseite hateaid.org online gingen, explodierten die Anfragen. Jetzt arbeiten mehr als zehn Angestellte bei Hate Aid, gut 170 Verfahren führen die Anwälte der Organisation derzeit.

"Die Leute müssen das Gefühl bekommen, dass sie dem Rechtsstaat wieder vertrauen können", sagt Hodenberg. Und das gelinge am besten, indem man die Täter verfolge - meist seien das Männer, quer durch alle sozialen Klassen. Aber es gebe auch die Lehrerin in Nordrhein-Westfalen und die Hundesalonbesitzerin in Süddeutschland, die in den sozialen Medien keine Grenzen mehr kennen. "Man muss nicht alle Täter verurteilen, sondern nur einen Teil. Und das dann auch laut erzählen."

Wie schwierig allein das schon ist, zeigt der bekannteste Fall von Hate Aid, Renate Künast. Die Grünen-Politikerin war wegen eines sinnentstellt wiedergegebenen Zitats in den sozialen Medien aufs Unangenehmste beleidigt worden. Künast wollte sich das nicht gefallen lassen, die Täter ermitteln und verklagen. Doch Facebook weigerte sich, die Identitäten preiszugeben, und das Berliner Landgericht weigerte sich, das Unternehmen dazu zu zwingen. Gemeinsam mit Hate Aid legte Künast Beschwerde ein. Im Januar änderten die Richter ihre Meinung, stuften sechs von 22 Fällen als Beleidigung ein und drängten auf Preisgabe der Identität der Absender. Doch warum genau bei diesen sechs Fällen und bei den übrigen 16 nicht, das bleibt reichlich nebulös.

"Irgendwann wird es uns dann hoffentlich nicht mehr geben", sagt die Hate-Aid-Gründerin

Der Fall Künast zeige, dass Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte noch keinen richtigen Umgang mit der digitalen Gewalt gefunden hätten, meint Hodenberg. Inzwischen gebe es immerhin einige Staatsanwaltschaften, die sich auf das Phänomen konzentrierten. Darunter die "Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime" (ZAC) in Köln mit ihrem Projekt "Verfolgen statt nur Löschen" und die "Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität" (ZIT) der Generalstaatsanwaltschaft in Hessen.

Immer noch sei aber die Hürde zu hoch, die verhindere, dass der Staat Beleidigungen verfolge. Doch bliebe all die Hetze so stehen, hätten die Rechten gewonnen: "Denen geht es nicht um Frau Künast oder andere, sondern darum, zu zeigen, was man alles so machen darf", findet Hodenberg.

Hate Aid geht deshalb einen anderen Weg, den der Zivilklage: Nicht der Staat, sondern der Betroffene verklagt den Täter. Das kann dazu führen, dass der seine Diffamierungen nicht wiederholen darf, im besten Fall gibt es Schmerzensgeld und Schadenersatz. So musste der Büroleiter eines AfD-Abgeordneten jetzt 3000 Euro an Künast zahlen, weil er ein Zitat von ihr sinnentstellt verbreitet hatte.

Doch die Verfahren kosten Geld, schon bei nur einer Klage kommen schnell 4000 Euro zusammen. Hate Aid übernimmt die Prozesskosten für die Betroffenen, dafür verpflichten die sich wiederum, eventuelle Schmerzensgeldzahlungen oder Schadenersatz an die Organisation abzutreten. Damit werden dann die nächsten Fälle vorfinanziert.

Mit dieser Unterstützung der Opfer hofft Hodenberg, den Hetzern im Internet Stück für Stück den Boden wieder zu entziehen. Denn die ständigen Beleidigungen und Diffamierungen schädigten nicht nur den Einzelnen. Sie hätten "eine enorme Strahlkraft auf die Gesellschaft", ständig würden von den Rechten Grenzen verschoben, was sagbar ist. "So wird Zivilcourage erstickt."

Das müssten die Strafverfolgungsbehörden verstehen und deshalb bereits bei Beleidigungen klagen, meint Hodenberg. "Irgendwann wird es uns dann hoffentlich nicht mehr geben", sagt die Hate-Aid-Gründerin. Danach sieht es erst einmal nicht aus. Hodenberg muss jetzt zurück zu ihrem Seminar, Controlling, Personalführung. Demnächst stellt Hate Aid zwei weitere Mitarbeiter ein.

© SZ vom 04.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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