Online-Durchsuchungen:Digitale Chuzpe

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Zwei Jahre lang hat der Inlandsgeheimdienst private Computer in unbekannter Zahl gehackt, ohne dass es eine auch nur ansatzweise rechtsstaatliche Kontrolle gab - ein unerhörter Vorgang.

Heribert Prantl

Das Wort hat sich abgenutzt. Es ist so oft gebraucht worden, dass man es eigentlich nicht mehr gebrauchen kann. Man hat es sich daher angewöhnt, beim Wort "Skandal" abzuwinken. Es gibt zu viele Skandale, die in Wahrheit nicht Skandale sind, sondern Fehler oder Missstände; die Überskandalisierung hat den Skandal zum Spektakel gemacht.

Die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble jetzt eingeräumten Online-Razzien des Verfassungsschutzes in privaten Computern sollte man nicht so billig davon kommen lassen. Sie sind unerhört.

Sie sind unerhört, weil der Verfassungsschutz, vom Bundesinnenministerium dazu angestiftet, verfassungswidrig gehandelt hat und weil das Ministerium den Bundestag nicht nur in seinen Kontrollrechten missachtet, sondern ihn mehrfach genasführt und getäuscht hat.

Missbrauch des Geheimdienstes

Der gesamte Vorgang zeigt exemplarisch eine hochgefährliche Entwicklung: Dem Geheimdienst werden Polizeiaufgaben übertragen, ohne dass er wie die Polizei kontrolliert wird. Die Politik missbraucht den Geheimdienst dazu, an den geltenden Rechtsregeln vorbei Grundrechtseingriffe alltäglich und banal zu machen - und sie schaltet dabei die ohnehin unzulängliche Geheimdienstkontrolle durch den Bundestag aus.

Der Reihe nach: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gab dem Verfassungsschutz im Jahr 2005 die Anweisung, private Computer zu überwachen. Für eine solche Online-Razzia gab und gibt es keine Rechtsgrundlage.

Die allgemeinen Geheimbefugnisse, die das Verfassungsschutzgesetz dem Geheimdienst gewährt, reichen für einen solchen grundrechtsspektakulären Eingriff nicht aus. Und selbst nach den Vorschriften, auf die sich der Bundesinnenminister berief, hätte er von seiner Durchsuchungsanweisung umgehend das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) unterrichten müssen; das ist die Instanz des Bundestages, welche, anstelle der Gerichte, die rechtsstaatliche Kontrolle der Geheimdienste gewährleisten soll.

Die Unterrichtung wurde verabsäumt; Begründung: keine Zeit. Zwei Jahre lang hat der Inlandsgeheimdienst private Computer in unbekannter Zahl gehackt, ohne dass es irgendeine auch nur ansatzweise rechtsstaatliche Kontrolle gegeben hätte.

Vor einigen Monaten wurde der Bundestag unruhig, als bekannt wurde, dass die Strafverfolgungsbehörden etliche Privatcomputer durchsucht haben - bis dies der Bundesgerichtshof wegen fehlender Rechtsgrundlage verbot. Aus dem Parlament wurden Anfragen an die Bundesregierung gerichtet, die qualifizierte Auskunft über die Durchsuchungen verlangten. Die Anfragen bezogen sich ausdrücklich auch auf den Verfassungsschutz.

Erste Hilfe für die Geheimdienstkontrolle

Die Bundesregierung hat darauf zum Teil ausweichend, zum Teil irreführend geantwortet. Es musste so der Eindruck entstehen, dass es mit den wenigen Durchsuchungen der Strafverfolgungsbehörden (die mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs eingestellt worden waren), sein Bewenden hatte.

Die Dienstanweisung Schilys aus dem Jahr 2005 wurde vom Ministerium Schäuble weiterhin verschwiegen, die Online-Durchsuchungen durch den Verfassungsschutz weitergeführt - und auch diese dem Kontrollgremium weiterhin verschwiegen.

Es handelt sich bei alledem um ein antiparlamentarisches und ein antirechtsstaatliches Dauerdelikt. Es ist Chuzpe, so etwas als Verfassungsschutz zu deklarieren. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Geheimdienstaufsicht nicht funktioniert. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist ein zwergenhaftes Organ - es tagt ein dutzendmal im Jahr jeweils ein paar Stunden und soll so einen gewaltigen Apparat beaufsichtigen.

Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens ist bewiesen. Das heißt: Die Geheimdienstkontrolle braucht Erste Hilfe. Sie muss in die Lage versetzt werden, eine Kontrolle auszuüben, die diesen Namen verdient. Einen unkontrollierten Geheimdienst kann sich ein Rechtsstaat nicht leisten.

© SZ vom 28.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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