Österreichs Große Koalition:Mit Schrot und Bauernschnaps

Lesezeit: 4 min

In der neuen Koalition im Alpenland aus SPÖ und ÖVP regiert vor allem eines: die Zwietracht. Statt den Karren gemeinsam zu ziehen, beschuldigen beide einander der Abweichlerei und Destruktion.

Michael Frank

Eigentlich sind Josef Kalina und Hannes Missethon Kärrner in ein- und demselben Gespann, der Großen Koalition aus SPÖ und ÖVP nämlich, die Österreich seit Januar regiert. Missethon ist neuer Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Kalina Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ). Doch statt den Karren in die gleiche Richtung zu ziehen, zerren beide Partner oft an den entgegengesetzten Enden des gleichen Stricks und beschuldigen einander der Abweichlerei und Destruktion.

ÖVP-Mann Missethon tut etwa die Politik des sozialdemokratischen Verteidigungsministers Norbert Darabos als "Bauernschnapseln in einem burgenländischen Landgasthaus" ab und verbittet sich "irgendwelche krausen Ideen von multikulturellen Gesellschaften".

An den Problemen der inneren Sicherheit seien nur ausländische Zuwanderer schuld, erfährt man in einer Nationalratsrede. Den Vorwurf, er, Missethon, trete eigentlich auf wie ein Klon des Parteichefs der rechtsradikalen Freiheitlichen (FPÖ), Heinz-Christian Strache, würzt er mit dem fröhlichen Bekenntnis, dieser habe ihm bereits die Parteimitgliedschaft angetragen.

Seinem Gegenspieler von der SPÖ, Josef Kalina, bleibt da bei einer Diskussionsveranstaltung nur noch der lyrische Seufzer: "Ich stelle fest, die ÖVP schickt bunte Vögel in die Luft, und gleichzeitig kommt Kollege Missethon mit dem Schrotgewehr und feuert Strache-Munition."

Sozialdemokratische Spuren

Nun könnte man beiden zu Gute halten, als die Büchsenspanner der Parteien hätten sie auf scharfe Konturen, also auf den Kontrast im Bündnis zu achten. Aber die Missetöne auf der Sekretärsebene entsprechen der Stimmung im Bündnis zu Wien, das von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) geführt wird.

Gerade erst hat der christsoziale Vizekanzler und ÖVP-Chef Wilhelm Molterer in Interviews allerhand Gift über den Partner SPÖ versprüht. Bei jeder Gelegenheit reckt er seine hagere Gestalt und verkündet, die ÖVP sei mitnichten der Juniorpartner der SPÖ, sondern mindestens gleich stark.

Nicht wenige Kommentatoren in Österreichs Medien sehen das genau so: Dass nämlich die Volkspartei der neuen Regierung weit mehr ihren Stempel habe aufdrücken können als die SPÖ. Und wenn deren Fraktionsvorsitzende Josef Cap die "sozialdemokratischen Spuren" in Beschlüssen und Vereinbarungen preist, fehlt ihm das Sprachgefühl dafür, dass sich das wie "Spurenelemente" anhört.

Andererseits intoniert Bundeskanzler Gusenbauer vor Journalisten tiefes, tückisches Verständnis für die Verstörung der ÖVP angesichts einer parlamentarischen Untersuchung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter.

Für den Deal war die ÖVP hauptverantwortlich. Der Nation sind die Flieger aber zu teuer. Da wird der neue Kanzler für seine Verhältnisse schneidend: Auch wenn der Untersuchungsausschuss für die ÖVP ein Ärgernis sei, müsse sie doch vorsichtig sein: "Wenn der Eindruck entsteht, dass sie mehr die Interessen der Hersteller vertritt als die Österreichs, kann es gefährlich für sie werden."

"Bitte leserlich liefern"

Vizekanzler Molterer ist auch Finanzminister und lässt als solcher Akten für den von seiner Partei bekämpften Eurofighter-Ausschuss schwärzen. Indessen wünscht sich Gusenbauers SPÖ dringlich, dass der Ausschuss so viel Unterschleif zu Tage fördere, dass Österreich aus dem Geschäft aussteigen kann. Der Bundeskanzler verlangt von seinem Finanzminister, alle Akten leserlich zu liefern. Die Kompetenz, das durchzusetzen hat er nicht. Dafür droht er: Alles, was man in diesem Lande verheimlichen wolle, komme sowieso ans Tageslicht.

Das also sind Koalitionspartner? Vizekanzler Molterer weist stets die Kanzlerpartei zurecht, nicht die SPÖ habe die Wahl am 1. Oktober gewonnen, sondern seine ÖVP sie verloren. Tatsächlich haben die "Roten" die Kanzlerschaft mit gelinden Verlusten errungen, die ÖVP sie mit großen Einbußen verspielt.

Dennoch mündete alles zunächst in einen seltsamen Triumph des Verlierers: In der Überzeugung, die Wähler hätten sich mit diesem Votum eigentlich geirrt, pokerten die Christsozialen unter Führung des rankünenreichen alten Kanzlers Wolfgang Schüssel so hoch, dass sie viele klassische Ressorts an sich reißen konnten. Lange hatte der neue Kanzler deshalb wie ein unglücklicher Spieler ausgesehen, der eine Niete als Gewinn ausgeben wolle. Doch dies wandelt sich langsam aber beharrlich in Souveränität, die er aus dem Amt schöpft.

Heute sagt er, bei Schlüsselressorts komme es darauf an, in welches Schloss man die Schlüssel stecken wolle. Da nun einmal Bildung und Soziales für Sozialdemokraten Schlüsselfragen seien, habe man sehr wohl Schlüsselressorts an sich gebracht. Gusenbauer fällt es dabei noch ziemlich schwer, eine seltsame Doppelrolle aufzulösen: Im privaten Kreis ein eloquenter, charmanter Geist mit spontanem Witz, verfällt er im öffentlichen Diskurs noch immer in funktionärstypische Formelhaftigkeit.

Die ÖVP will nichts hergeben

Dementgegen verkrampft sich Molterers anfangs strahlende Miene, die wohl auch mit dem Aufstieg an die Spitze der ÖVP zusammenhing, mehr und mehr in eine gequälte Pose: Nur ja nicht in den Schatten hinter dem auch körperlich fülligeren Kanzler geraten! Die ÖVP will nichts von dem hergeben, was sie in sieben Regierungsjahren zusammen mit den Rechtsradikalen durchgesetzt hat.

Der SPÖ ist es dennoch gelungen, erste grundsätzliche Sozialbeschlüsse anzugehen: Mindestlohn und Grundsicherung, intensivere Kinderbetreuung und Korrekturen an der Rentenreform. Die ÖVP hat die Abschaffung der Erbschaftssteuer durchgesetzt und hat besonders auf dem exzessiven Ausländer- und Asylrecht beharren können, das von der chauvinistischen FPÖ Jörg Haiders und dem Nachfolger BZÖ inspiriert worden war.

Die SPÖ hatte sogar als Oppositionspartei dafür gestimmt, "um schlimmeres zu verhüten", wie Gusenbauer heute versichert. Es folgten vage Versprechungen, wenigstens beim Asyl bald Besserung zu schaffen. Hier steht Österreich unausgesetzt am Pranger aller nennenswerten Menschrechtsorganisationen.

Mit einer gründlichen Aufarbeitung der jüngsten inneren Vergangenheit Österreichs ist unter diesen Umständen nicht zu rechnen. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass die vorherige Regierung einem rechtsradikalen Populismus die Weihen offizieller Regierungspolitik und dessen Vorstellungen Gesetzesrahmen verlieh.

Außenpolitik gab es irgendwie nicht in den letzten sieben Jahren. Heute will Wien die routinierte, aber halbherzige Europarhetorik überwinden. Gusenbauer lässt beiläufig aber vielsagend durchblicken, dass dies ausdrücklich auf sein Geheiß hin geschehe. Immerhin ist Ex-Kanzler Schüssels Intima Ursula Plassnik noch Außenministerin.

© SZ vom 11.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: