NSU-Prozess:Der Zeuge, der nichts wusste

Lesezeit: 3 Min.

  • Kaum war im November 2011 der NSU enttarnt worden, schrieb Bernd T. aus der Haft heraus einen Brief an den Verfassungsschutz in Hessen und bot Hintergrundinformationen zur Terrortruppe NSU an.
  • Vor dem Mord an Halit Yozgat, den der NSU am 6. April 2006 in Kassel verübte, will Bernd T. die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen haben.
  • Nun, vor Gericht, sagt Bernd T., er kenne Mundlos und Böhnhardt überhaupt nicht.
  • Vieles spricht dafür, dass der Zeuge bereit war, Märchen zu erzählen, um sich Vorteile zu verschaffen.

Von Tanjev Schultz

Bernd T. bot Ermittlern Hintergrundinfos an

Neonazis sind heutzutage äußerlich oft nicht so leicht zu erkennen. Bei Bernd T. ist das anders. Er trägt noch die alte Mode der Skinheads: schwarze Stiefel, Bomberjacke, Glatze. Als der Richter ihn im NSU-Prozess nach dem Beruf fragt, sagt Bernd T. in militärisch-strengem Ton: "Selbständiger Unternehmer!" Anschließend allerdings eiert der Zeuge ziemlich herum und will plötzlich nichts mehr von früheren Aussagen wissen, die Polizei und Staatsanwalt zu Protokoll genommen haben. Und diese Aussagen hatten es in sich.

Kaum war im November 2011 der NSU entdeckt worden, schrieb Bernd T. aus der Haft heraus einen Brief an den Verfassungsschutz in Hessen und bot Informationen an. In dem Schreiben vom Dezember 2011 klingt es so, als wüsste Bernd T. mehr über die Hintergründe der Terrorgruppe. Zunächst erschien das durchaus plausibel, denn der heute 40-Jährige ist Gründer und Chef des Kasseler Neonazi-Vereins "Sturm 18", einer brutalen Truppe (die Zahl steht in der Szene für die Buchstaben A.H. - Adolf Hitler). Das Vorstrafenregister von Bernd T. ist lang, er steckt seit Jahren tief drin im braunen Sumpf.

Bernd T. bekam Besuch von Beamten, die mehr über den NSU wissen wollten. Ausweislich der angefertigten Protokolle plauderte der Zeuge Brisantes aus: Vor dem Mord an Halit Yozgat, den der NSU am 6. April 2006 in Kassel verübte, will Bernd T. die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen haben. Angeblich holte er sie in Kassel am Bahnhof ab und fuhr mit ihnen zu einer Geburtstagsfeier eines Kameraden, bei der eine Neonazi-Band spielte. Außerdem will Bernd T. mehrmals in Zwickau seinen Bruder, der zeitweise dort lebte, besucht haben und auch dort Mundlos und Böhnhardt begegnet sein.

Den Ermittlern kommen Zweifel

Bei der Überprüfung dieser Angaben kamen den Ermittlern Zweifel, ob das alles so stimmen könnte. Nun, vor Gericht, sagt Bernd T., er kenne Mundlos und Böhnhardt überhaupt nicht. Er habe sie nie getroffen, nie gesehen - außer in den Medien. Der Zeuge bestreitet auch, jemals bei den Behörden solche Behauptungen gemacht zu haben. Das ist schon ziemlich dreist.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hakt immer wieder geschickt nach und arbeitet so die Widersprüche heraus. Der Zeuge sagt, er habe sich nur aus "hafttaktischen Gründen" an die Behörden gewandt und ihnen vorgespielt, dass er aus der rechten Szene habe aussteigen wollen. Anfangs behauptet er vor Gericht, er habe die Behörden nur "aus einem Spaß heraus" und "aus Langeweile" angeschrieben. "Ich wollte sehen was passiert." Tatsächlich verlangte er aber bereits im ersten Brief, dass man sich für eine schnelle Haftentlassung starkmache, wenn er Informationen liefere.

Vieles spricht dafür, dass Bernd T. bereit war, Märchen zu erzählen, um sich Vorteile zu verschaffen. Er stellt es anders da: Angeblich hätten die Polizisten ihm die Aussagen über Mundlos und Böhnhardt in den Mund gelegt.

Was wusste T. wirklich?

So unglaubwürdig Bernd T. auch ist: Könnte es nicht sein, dass er tatsächlich etwas über den NSU und über den Mord in Kassel wusste? Waren Mundlos und Böhnhardt vielleicht wirklich bei einem Konzert in Kassel? Bernd T. war nicht der Einzige, der so etwas behauptet haben soll.

Ein stimmiges Bild hat sich allerdings nicht ergeben. Die Behauptung, Mundlos und Böhnhardt seien mit dem Zug nach Kassel gefahren, steht zumindest für den Tag des Mordes an Halit Yozgat im Widerspruch zu anderen Erkenntnissen. Demnach waren die Mörder mit einem Mietwagen unterwegs und kamen aus Dortmund, wo sie zwei Tage zuvor einen Kioskbesitzer ermordet hatten. Vor Gericht sagt Bernd T. nun ohnehin: "Ich kenne die Personen nicht, ich hab' die nicht gesehen."

Für Bernd T. könnte es im Kreise seiner Kameraden unangenehm sein, dass er sich auf die Behörden eingelassen hatte. Er sagt: "Ich lehne generell den Kontakt zur Polizei ab."

Obmann vom hessischen NSU-Ausschuss im Publikum

Im Publikum verfolgt der Linken-Politiker Hermann Schaus den Auftritt des Zeugen. Schaus ist Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags. Er sagt, der Ausschuss müsse das Umfeld von Bernd T. und Bezüge nach Thüringen und Nordrhein-Westfalen aufklären. Schaus zeigte sich verärgert darüber, dass "durch die Blockadehaltung von Schwarz-Grün in Hessen dem Ausschuss noch nicht die Akten vorliegen, die heute wichtig wären".

In Hessen beginnt der Ausschuss in den kommenden Wochen mit der Anhörung von Sachverständigen. Später werden die Abgeordneten den Mord in Kassel untersuchen. Dabei wird es vor allem um die Haltung des früheren Innenministers und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) gehen, der nach dem Mord entschieden hatte, dass die Polizei keinen Zugang zu den V-Leuten des Verfassungsschutzes erhielt.

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