NRW: Machtwechsel:Früchte des Zorns

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"Grausige Vorstellung": Ohne die schwarz-gelbe Mehrheit in Düsseldorf sind jetzt vor allem die FDP-Prestigeprojekte Steuersenkungen und Kopfpauschale bedroht.

S. Braun und G. Bohsem

Zwei zentrale Projekte der FDP stehen jetzt ernshaft auf der Kippe: Steuersenkungen und die Kopfpauschale im Gesundheitswesen. Zwar hat sich die Union diese Ziele im Koalitionsvertrag zu eigen gemacht, doch sind die christdemokratischen Absatzbewegungen unübersehbar. Wenn künftig in Berlin die ganz große Koalition regiert, weil die schwarz-gelbe Mehrheit in Nordrhein-Westfalen und damit auch im Bundesrat weg ist, dann dürften die Chancen auf Realisierung beider Projekte gen null sinken.

Frust nicht nur unter Parteifreunden: Auch vorm Koalitionspartner CDU stehen die Liberalen schlecht da. (Foto: Foto: dpa)

Wie groß der Ärger in der Union über die Freien Demokraten mittlerweile ist, zeigte sich bereits am vergangenen Donnerstag in der sächsischen Landesvertretung in Berlin. Wie immer am Vorabend einer Bundesratssitzung saß Kanzlerin Angela Merkel mit der Fraktionsspitze und den CDU-Ministerpräsidenten zusammen. Und dabei ging es neben der Griechenlandhilfe vor allem um das Verhältnis zu den Liberalen. Jenseits der Koalition in Berlin ist inzwischen der Zorn groß über die FDP-Führung, insbesondere über Parteichef Guido Westerwelle. Die nicht enden wollende Debatte über Steuersenkungen und Westerwelles Polemik in der Hartz-IV-Debatte hat viele CDU-Länderchefs in der Überzeugung bestärkt, dass am Niedergang von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen nicht nur, aber doch sehr stark die FDP schuld ist.

Das hat am Donnerstag in der Kaminrunde mit Merkel zu der harschen Aufforderung des Hessen Roland Koch geführt, die Kanzlerin müsse nach dem Wahltag klipp und klar sagen, dass angesichts der gigantischen Finanznöte von Ländern und Kommunen eine Steuersenkung in dieser Wahlperiode unmöglich geworden sei. Mehrere Länderkollegen unterstützten Koch in der Runde, der Hamburger Ole von Beust tat es am Wochenende sogar öffentlich: Im Moment wären Steuersenkungen "eine grausige Vorstellung", vor allem für Länder und Kommunen, sagte von Beust.

Zugleich wurden Kochs Worte auch als Mahnung an Angela Merkel verstanden, von ihrer Richtlinienkompetenz als Regierungschefin mehr Gebrauch zu machen und vor allem die Liberalen zur Räson zu bringen. Merkel freilich war nach Berichten von Teilnehmern bemüht, den Zorn ihrer CDU-Kollegen zu zügeln. Sie plädierte vehement dafür, die FDP in den nächsten Tagen eher zu schonen. Immerhin sei es, wenn auch unter großen Mühen, gelungen, den Liberalen Schritt für Schritt mehr Sinn für das Machbare einzugeben. Außerdem löse die drohende Niederlage in Nordrhein-Westfalen bei der FDP ,,Urängste" aus. Wenn angesichts anderer Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ihre Bedeutung als Juniorpartner in der Koalition schrumpfe, so wachse die Gefahr, dass die FDP sich noch mehr als bisher als Oppositionspartei aufführe.

Dies ist allerdings eine Rolle, die der FDP von der CSU streitig gemacht wird. Am Wochenende meldete sich erneut CSU-Chef Horst Seehofer mit der Forderung zu Wort, es müsse bei den versprochenen Steuersenkungen bleiben. Zugleich verlangte Seehofer feste Zusagen des Bundes für eine Beteiligung an den Kosten des ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarten Bildungspaktes. Wie das zusammen gehen soll, ließ er offen.

Ebenso unklar ist, wie der Streit über die sogenannte Kopfpauschale beigelegt werden soll. Die Konfliktlinien verlaufen da zwischen Schwarz-Gelb und der SPD, aber auch innerhalb der Koalition selbst. Fragte man Gesundheitsminister Philipp Rösler von der FDP, wie er denn seine Gesundheitsreform durch den Bundesrat bringen wolle, wenn Schwarz-Gelb dort keine Mehrheit mehr habe, erhielt man die stets gleiche Antwort: "Das geht schon." In seinem Haus laufen - nicht zuletzt wegen des Widerstands der CSU - schon seit Monaten Überlegungen, wie man eine Umstellung auf die Kopfpauschale auch ohne Bundesrat hinbekommen kann. Tatsächlich ist es nicht einmal die Pauschale selbst, die den Experten Probleme bereitet. Schwierigkeiten verursacht vor allem der Sozialausgleich, der die Pauschale abfedern soll.

Bei der Pauschale zahlt der gut verdienende Industriearbeiter den gleichen Beitrag wie eine Friseurin, die viel weniger Lohn bekommt. Damit die Belastung für die Friseurin nicht zu groß wird, soll sie aus Steuermitteln einen monatlichen Zuschuss erhalten, eben den Sozialausgleich. Dieser soll automatisch funktionieren, ohne dass die Betroffenen einen Antrag stellen müssen. Im Kopfpauschalen-Land Niederlande ist der Sozialausgleich Sache der Finanzämter.

In Deutschland ist die Finanzverwaltung aber Sache der Bundesländer. Ohne eine Zustimmung des Bundesrats kann da nichts geändert werden. Darum fahnden die Regierungsexperten nach Alternativen, etwa mit Hilfe der Wohngeldstellen oder der Krankenkassen. Beides ist aus vielerlei Gründen problematisch, weil missbrauchsanfällig. Die politische Debatte dürfte sich künftig im Klein-Klein verlieren. Doch daran führt auf absehbare Zeit kein Weg vorbei. Denn eine realistische Alternative zu Schwarz-Gelb im Bund gibt es für die Union vorerst nicht.

© SZ vom 10.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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