Nordkorea:Väterchen Kim

Lesezeit: 2 min

Das Interesse am Norden ist groß: In einem Elektronik-Geschäft in Seoul laufen die Berichte über den ermordeten Kim Jong-nam. (Foto: Ahn Young-joon/AP)

Befahl der nordkoreanische Diktator einen Brudermord? Es entspräche seiner Strategie der Verbreitung von Angst, die viele mit der Stalins vergleichen: Es kann jeden treffen.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Südkoreas Geheimdienstchef Lee Byong-ho ist sich sicher: Die beiden Frauen, die am Montag in Kuala Lumpur Kim Jong-nam ermordeten, den Halbbruder von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, waren nordkoreanische Agentinnen. Kim Jong-un habe den Mord befohlen. Schon 2012 sei ein Attentat auf Kim Jong-nam verübt worden, das allerdings gescheitert sei, sagte Lee am Mittwoch im Parlament.

Der 46-jährige Kim Jong-nam wurde am Montagmorgen auf dem Flughafen von Kuala Lumpur von zwei jungen Frauen vergiftet. Er wartete auf seinen Flug nach Macao; dort besaß er eine Wohnung, in der seine Familie lebt. Unklar sei nur noch, ob der Anschlag mit infizierten Nadeln oder mit einem giftigen Spray verübt wurde, sagte der Geheimdienstchef. Kim starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die malayische Polizei meldet, sie habe eine der Täterinnen verhaftet und suche nun die zweite sowie vier Männer. Sie seien vermutlich noch in Malaysia. Japanische Medien dagegen behaupten, die Mörderinnen seien tot.

Kim Jong-nam kritisierte seinen Bruder einige Male, hatte aber keine Machtambitionen. Nach Nordkorea reiste er kaum. China gewährte ihm Personenschutz. Der Brudermord erscheint umso rätselhafter, als Kim, sollte er tatsächlich dahinter stecken, damit Peking verärgert, von dem sein Land doch abhängt.

Geheimdienstchef Lee begründete die Tat mit Kims Jong-uns "wahnhafter Störung". Nach dem gescheiterten Attentat 2012 habe Kim Jong-nam seinen Bruder brieflich gebeten, ihn und seine Familie zu verschonen. Von Leuten, die den Diktator Kim Jong-un getroffen haben, wird der 33-Jährige als "zivilisiert und intelligent" beschrieben. Er behalte "Ruhe, einen klaren Kopf und habe starke politische Instinkte", so die Website North Korea Leadership Watch, die von westlichen Nordkorea-Experten betrieben wird. Jenseits seiner Selbstüberschätzung passen diese Charakterisierungen kaum zu einer "wahnhaften Störung" Kims. Eher scheint sich der Jungdiktator an Stalin zu orientieren.

In der Sowjetunion der Dreißigerjahre herrschten Hunger, Chaos und Angst. Der Kommunismus spielte keine Rolle, Stalins Formel vom "Sozialismus in einem Land" diente bloß als Rechtfertigung für die Abschottung des Landes. Stalin beutete die Arbeiter und Bauern aus, in deren Namen er regierte. Seine engsten Mitstreiter der Revolution "entlarvte" er als ausländische Spione und ließ sie in Schauprozessen zum Tode verurteilen. Sie gestanden Taten, die sie nie begangen hatten, weil man ihnen versprach, ihre Familien würden verschont. "Väterchen Stalin" ließ sich als leutselig darstellen. Dabei verfolgte er nur ein Ziel: die Mehrung seiner Macht.

Auch im abgeschotteten Nordkorea, das sich von der sogenannten Juche-Ideologie leiten lässt, die selbst die Ideologen des Regimes nicht formulieren können, herrschen Hunger, Chaos und Angst. Kim hat bisher 150 obere Kader hinrichten lassen, allen voran seinen Onkel und Mentor Jang Song-thaek, der seine Verbrechen wie einst Stalins Opfer gestand. Andererseits badet Kim häufiger als Stalin in der Menge, er lässt sich von Kindern umarmen, fährt Karussell und inspiziert Fabriken.

Stalins Säuberungen richteten sich nicht gegen Dissidenten, oder nur nebenbei. Seine Schergen hatten Quoten. Sie mussten eine bestimmte Anzahl von Menschen verhaften, auch wenn sich diese nie gegen das Regime gewendet hatten. Stalins Ziel war nicht, die Gesellschaft zu "säubern", sondern Angst zu sähen. Sein langer Arm reichte bis nach Mexiko, wo er seinen exilierten einstigen Rivalen Leo Trotski ermorden ließ, der ihm längst nicht mehr gefährlich werden konnte oder wollte.

Schreckte Kim Jong-un nun nicht einmal vor Mord am eigenen Bruder zurück? Sollte sich dies bestätigen, lautete die Botschaft wohl: Es kann jeden treffen, auch im Ausland - und insbesondere hochrangige Diplomaten wie Thae Yong-ho, Nordkoreas Ex-Vize-Botschafter in London, der sich nach Südkorea abgesetzt hat. Nach Angaben eines Parlamentariers in Seoul sollen auch in Südkorea Tötungskommandos des Nordens unterwegs sein. Unberechenbarkeit gehört zu Kims Programm der Einschüchterung.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: