Nordkorea:Echt oder Attrappe

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Nordkoreas Gegner rätseln über die Behauptung des Regimes, über Atomraketen zu verfügen. Experten bezweifeln, dass der isolierte Staat dazu in der Lage ist.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Nordkorea soll über miniaturisierte Atomsprengköpfe und hochpräzise ballistische Langstreckenraketen verfügen, die von U-Booten aus abgeschossen werden können. So zitierte die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA am Mittwoch einen Regierungssprecher: "Wir verbergen das nicht."

Mit dieser bedrohlichen Meldung reagierte Pjöngjang auf US-Admiral James Winnefeld, der Nordkoreas Raketentests vom vorletzten Wochenende als Bluff entlarvt hatte. Jungdiktator Kim Jong Un, begleitet von seinen Staatsmedien, hatte am 9. Mai angeblich solche Raketen von einem U-Boot abschießen lassen. In Wirklichkeit seien die Geschosse von einem Floß aus gestartet, schreibt 38north.org, eine Website von Nordkorea-Experten mit Verbindungen zu Geheimdiensten. Die Seite stützt die These mit Satellitenbildern. Nordkorea brauche noch Jahre, bis es solche Technologien beherrsche, sagte Winnefeld in Washington. "Sie sind noch längst nicht so weit, wie ihre schlauen Video-Redakteure und Propagandisten uns weismachen wollen." Nordkorea hat schon mehrfach Raketenattrappen auffahren lassen.

Experten in Südkorea meinen überdies, der Norden verfüge gar nicht über die nötigen Devisen, um solche hochtechnischen Waffensysteme zu entwickeln, zumal die UN ein Embargo für Hightech-Exporte nach Nordkorea erlassen haben. Die UN-Resolution 1718 verbietet dem Norden auch jegliche Raketentests. Sie wurde nach dem ersten Atomtest 2006 beschlossen. Seither hat Pjöngjang noch zweimal getestet und mit einer weiteren Atomexplosion gedroht. Allerdings wird auf 38north.org bis heute diskutiert, ob der dritte Test 2010 tatsächlich eine Atomexplosion war.

Das nordkoreanische Regime ist überzeugt davon, dass sein Überleben von der nuklearen Abschreckung abhänge. Es meint, Libyens getöteter Diktator Muammar al-Gaddafi wäre noch an der Macht, hätte er sein Atomprogramm nicht aufgegeben. Daher klammert es sich an seine Drohungen, zum Teil offenbar auch mit Attrappen. Und vertraut darauf, dass schon der geringste Verdacht, es könnte tatsächlich Atomwaffen einsetzen, die USA davon abhalten wird, seinen gewaltsamen Sturz zu versuchen.

Indes wurde UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kurz vor einem für Donnerstag geplanten Besuch in Nordkorea wieder ausgeladen. Ban, einst Außenminister Südkoreas, bedauerte dies. Er hatte Pjöngjang am Dienstag wegen des neuen Raketentests vor einer Eskalation der militärischen Spannungen in der Region gewarnt. Sein Besuch in Nordkorea wäre der erste eines UN-Generalsekretärs in dem Land seit 1993 gewesen.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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