Nordkorea:Drei Wochen später

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Kim Jong-un ist wieder aufgetaucht. Kurz darauf melden Behörden in Südkorea einen Schusswechsel an der schwer bewachten Grenze.

Von Christoph Giesen, Peking

Lebenszeichen: Machthaber Kim Jong-un besuchte nach staatlichen Angaben eine Düngemittelfabrik. (Foto: Reuters)

Da war er wieder; als wäre nichts gewesen, eröffnete der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un am 1. Mai eine Düngemittelfabrik etwa 50 Kilometer außerhalb von Pjöngjang. Die amtliche Zeitung Rodong Sinmu n veröffentlichte am Samstag entsprechende Fotos, die Kim dabei zeigen, wie er ein rotes Band zerschneidet. Man sieht ihn lachen im Kreise seiner Funktionäre.

Drei Wochen lang hatte es keine Aufnahmen von Kim gegeben. Am 15. April fehlte er bei den Feierlichkeiten zum Tag der Sonne, dem Geburtstag seines Großvaters Kim Il-sung. 108 Jahre wäre der Staatsgründer alt geworden. Es ist der höchste Feiertag in Nordkorea. Am 25. April, beim Jahrestag der Koreanischen Volksarmee, war er wieder nicht anwesend. Mutmaßungen und Gerüchte machten da die Runde.

Zunächst hieß es, Kim habe sich einer Operation unterziehen müssen. Wenig später erklärte ein Hongkonger Fernsehsender den Diktator gar für tot. Japanische Zeitungen meldeten, dass er nach einem Herzinfarkt im Koma liege, weil dem behandelnden Arzt vor Aufregung die Hände so sehr gezittert hätten, dass der notwendige Eingriff fehlschlug.

Auch in Nordkorea selbst verbreitete sich in den vergangenen Tagen die vermeintliche Nachricht von Kims Tod. Auf geschmuggelten USB-Sticks aus China hatten Aktivsten einen filmischen Nachruf aufgespielt, der von vielen Nordkoreanern heimlich gesehen wurde. Gut möglich, dass sich der Apparat vor allem deshalb genötigt sah, den Spekulationen mit einem inszenierten Auftritt vorerst ein Ende zu setzen.

Bereits 2014 war Kim für mehrere Wochen verschollen gewesen. Damals wurde über einen Staatsstreich gemutmaßt, jedoch nur im Ausland. In Nordkorea war Kims Fehlen vor knapp sechs Jahren kein Thema gewesen.

Auf den nun veröffentlichten Fotos sieht man Hunderte Menschen, die Mundschutz tragen (obwohl Nordkorea offiziell coronafrei ist) und euphorisch klatschen. Alle Anwesenden hätten "Hurra" gerufen, heißt es in dem amtlichen Bericht. Ein Grund dafür, warum Kim wochenlang von der Bildfläche verschwunden war, wurde nicht genannt.

US-Präsident Donald Trump schrieb auf Twitter: "Ich für meinen Teil freue mich, dass er wieder da ist und es ihm gut geht!" Die Regierung in Südkorea erklärte am Sonntag, dass Kim nicht operiert worden sei und sich auch keiner anderen medizinischen Behandlung unterzogen habe. Worauf sie diese Einschätzung stützte, teilte das Präsidialamt in Seoul nicht mit.

Unterdessen ereignete sich nur einen Tag nachdem Nordkoreas Staatsmedien über Kims ersten öffentlichen Auftritt berichtet hatten, ein Schusswechsel an der schwer bewachten Grenze. Nordkoreanische Soldaten hätten Schüsse auf einen südkoreanischen Kontrollposten innerhalb der vier Kilometer breiten militärischen Pufferzone abgegeben, teilte der Generalstab in Südkorea am Sonntag mit. Die Demilitarisierte Zone (DMZ) trennt die beiden Länder seit dem Koreakrieg auf vier Kilometern Breite und etwa 250 Kilometern Länge. Südkoreanische Soldaten hätten das Feuer erwidert, nachdem sie Warnungen ausgesendet hätten. Es lägen auf südkoreanischer Seite keine Informationen über Opfer oder Schäden vor.

Ob es auf nordkoreanischem Boden Verletzte gab, war zunächst unklar. Über die innerkoreanischen Kommunikationskanäle solle versucht werden, sich ein genaueres Bild von der Situation zu verschaffen und weitere Zwischenfälle zu vermeiden, hieß es. Südkoreas Militär sei unterdessen in der nötigen Bereitschaftsstellung.

In der Vergangenheit ist es zwischen den beiden Ländern häufig zu Zwischenfällen an der Grenze gekommen. Vor zwei Jahren hatten sich Süd- und Nordkorea jedoch auf neue Maßnahmen zur militärischen Entspannung geeinigt. Als Teil der Abmachungen hatten sie im Grenzgebiet mehrere Kontrollposten aufgelöst.

Nun also wieder ein Zwischenfall an der Grenze. Ein Versehen? Oder vielleicht ein Signal: Kim Jong-un ist wieder da.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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