Nordkorea:Der Markt ruft

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Sichtbare Schritte in Richtung Moderne: Eine Frau trägt einen Flachbild-Fernseher über eine Straße in der Hauptstadt Pjöngjang. (Foto: Ed Jones/AFP)

Dem diplomatischen Tauwetter dürfte eine wirtschaftliche Öffnung folgen. Experten entwerfen Szenarien für einen Übergang von der Kommando- zur Marktwirtschaft.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Nordkorea ist ein Sanierungsfall. Ein großer Teil seiner Infrastruktur, so seine Bahnlinien, stammt noch aus der japanischen Kolonialzeit vor 1945. Das isolierte Land mit einer Fläche etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen verfügt über nur 2000 Kilometer asphaltierte Straßen. Es ist reich an Bodenschätzen, aber seine Bergbau-Technik ist veraltet. Bisher lenkt der Staat die Wirtschaft zentral, Ministerien in Pjöngjang entscheiden, welcher Betrieb was und wie viel produziert. Offiziell gilt der Grundsatz, der Staat versorge alle Nordkoreaner mit den Notwendigkeiten des täglichen Lebens, Geld spiele keine Rolle. Der Staat bestimmt auch, was ein Nordkoreaner lesen, hören und sehen darf. Nordkorea-Experte Andrei Lankov von der Kokumin-Uni in Seoul nennt dies ein "Orwellsches Paradies".

Doch dieses "Paradies" hat spätestens seit der großen Hungersnot in den 1990er-Jahren tiefe Risse. Damals brach die Versorgung zusammen. Inzwischen ernähren sich zwei Drittel aller Nordkoreaner von den Jangmadang, den freien, in ihren Anfängen illegalen Märkten, die die Regierung von Diktator Kim Jong-un inzwischen duldet. Ohne sie ginge Nordkorea unter. Auf den Jangmadang erhalten auch immer mehr Nordkoreaner Informationen über das Ausland; Fernsehserien aus Südkorea etwa, die der Staat ihnen eigentlich verbietet.

Kims Regierung hat ihrerseits begonnen, die Kommandowirtschaft zu lockern. Sie hat die Bauern aus dem Plan entlassen, manchen Industriebetrieben gesteht sie mehr Eigenverantwortung zu. Damit wird die Wirtschaft effizienter. Sie wächst trotz Sanktionen. Geld ist wichtig geworden. Zu Beginn zahlte man auf den Jangmadang mit chinesischen RMB, Euro, Dollar oder Yen. Nun auch mit nordkoreanischen Won. Der Regierung ist es bisher gelungen, eine Inflation zu vermeiden und den Won zu stabilisieren - ein im Ausland kaum beachteter Erfolg, der die weitere Transformation zur Marktwirtschaft erleichtern kann.

Der Status Quo ist ohnehin ein Provisorium ohne Dauer. Die Märkte wecken neue Begehrlichkeiten; die sogenannte Jangmadang-Generation, die mit ihnen aufgewachsen ist, lässt sich von Pjöngjangs martialischer Propaganda nicht mehr mobilisieren. Um seine Macht künftig legitimieren zu können, braucht Kim ein rasches Wirtschaftswachstum. Das geht nur mit einem radikalen Umbau nach dem Modell Chinas, das Kim dann "Sozialismus mit koreanischen Charakteristika" nennen wird.

Die Generäle würden sich wehren, wenn Kim ihnen ihre Parallelwirtschaft wegnähme

Das diplomatische Tauwetter hat viele Experten auf den Plan gerufen, Szenarien des Übergangs zum Markt zu entwerfen. Naoyuki Yoshino, der Rektor des Forschungsinstituts der "Asian Development Bank", der 1991 China beriet, hat eine fertige Blaupause zur Transformation einer Kommando- zur Marktwirtschaft aus der Schublade gezogen. Auf Pjöngjangs spezifische Probleme geht er allerdings nicht ein: auf die Armee etwa, die in Nordkorea als Staat im Staat funktioniert. Sie unterhält eigene Fabriken, Bau- und Dienstleistungsunternehmen, die oft effizienter sind als staatseigene Betriebe. Die Generäle würden sich wehren, wenn Kim ihnen diese Parallelwirtschaft, diese Privilegien wegnähme. "Es braucht deshalb eine rasch wachsende privatisierte oder private Wirtschaft als Konkurrenz zu jener der Militärs, damit sich deren Einfluss verringert", sagt Christopher Green, der Nordkorea-Berater der "International Crisis Group".

Yoshino erwartet, die Umstellung zur Marktwirtschaft Nordkoreas werde, ähnlich wie in China und in Südkorea bis 1987, keine Demokratisierung nach sich ziehen. Das Land bleibe eine Diktatur - was einer Transformation zum Markt sogar helfen könnte.

Der Wirtschaftsanalytiker Jesper Koll in Tokio vergleicht Nordkorea mit der früheren DDR. Wirtschaftlich gesehen war die deutsche Wiedervereinigung eine innerdeutsche Angelegenheit, so Koll. Nur sechs Prozent der durch die Treuhand privatisierten Industrieanlagen gingen in ausländische Hände, 74 Prozent wurden von Westdeutschen übernommen, 20 Prozent von Ostdeutschen. "Das ist in Korea nicht möglich, die Bürde für Südkorea wäre viel zu groß." Auf einen DDR-Bürger kamen vier Westdeutsche, in Korea leben im Süden nur doppelt so viele Menschen wie im Norden. Zudem lag die Wirtschaftsleistung der DDR pro Kopf bei etwa 40 Prozent jener des Westens. "Die Ostdeutschen waren die Stars der sozialistischen Ökonomie, 55 Prozent hatten ein Auto, 98 Prozent ein Bankkonto." Nordkorea dagegen ist verarmt, Südkoreas Bruttoprodukt pro Kopf beträgt etwa das 20-fache jenes von Nordkorea. In den ersten zehn Jahren nach der Wende flossen Gesamt-Investitionen in der Höhe von etwa zwei Jahreswirtschaftsleistungen der alten Bundesrepublik in die neuen Länder, rechnet Koll vor. Südkorea müsste in den ersten zehn Jahren allein als Privatinvestitionen das Vierfache seines Bruttoprodukts im Norden investieren. Dazu kämen auch noch Staatshilfen. "Das übersteigt Südkoreas Kapazität bei weitem", so Koll. "Deshalb sollte die Modernisierung Nordkoreas zu einem Gemeinschaftsprojekt von China, Japan, Südkorea und den USA werden."

Tokio müsste dabei die Führungsrolle übernehmen, so Koll, zumal Japans Wirtschaft an Nordkorea gesunden könnte: "Nordkorea hat Leute, aber keine Ersparnisse und keine Technologie." Japan brauche Arbeitskräfte, sitze auf hohen Ersparnissen und habe Technologie. Nordkorea biete Japan eine ideale Gelegenheit. "Was will Japans staatlicher Pensionsfonds? Hohe langfristige Erträge", so Koll. Zudem hätten China und Japan vereinbart, künftig für große Infrastrukturprojekte zu kooperieren. "Wenn sie Nordkoreas Infrastruktur zusammen modernisieren, könnte daraus ein vereinigtes Ostasien entstehen", so Koll, der den Ruf eines Berufsoptimisten hat. "Und die Amerikaner wären auch zufrieden. Sie könnten schon sehr bald Landwirtschaftsprodukte ins karge Nordkorea verkaufen."

© SZ vom 03.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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