Nordkorea:Der Diktator war nicht amüsiert

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Die Geschichte des koreanischen Volkes in der Auslegung von Pjöngjang: Szene der nun abgesetzten Arirang-Spiele 2019. (Foto: dpa)

Kim hat das Massenspektakel der Arirang-Spiele in Pjöngjang gestoppt.

Von Christoph Neidhart, Tokio

"Land des Volkes" ist das Motto der Arirang-Spiele dieses Jahr, doch nach nur einer Woche wurden die Spiele am Montag abgesetzt. Dabei waren Vorstellungen von Nordkoreas berühmtem Massenspektakel in der Hauptstadt Pjöngjang bis Oktober geplant, Reiseveranstalter Koryo-Tours hatte bereits Tickets verkauft. Doch Machthaber Kim Jong-un hatte die Vorstellung nach der Premiere kritisiert. Sie vermittle einen "falschen Geist ihres Schaffens" und spiegle eine "unverantwortliche Haltung zur Arbeit", soll Kim gesagt haben. Dabei sollten die Kunstschaffenden "eine wichtige Rolle im Aufbau des Sozialismus" übernehmen.

Ob die Arirang-Mischung aus Gymnastik, Tanz, Musik und Lichteffekten im 1.-Mai-Stadion auf der Rungra-Insel modifiziert vielleicht wieder aufgenommen wird, ist bisher nicht bekannt. Besucher der Premiere vergangene Woche berichteten, die Massen-Show dieses Jahres habe sich wenig unterschieden von jener des Vorjahres, die "Das prächtige Land" hieß. Man weiß auch nicht, was genau Kim missfiel. Möglicherweise wollte er in dem Spektakel einen Kurswechsel gespiegelt sehen, nachdem er in seinen jüngsten Auftritten betont hatte, Nordkorea müsse so autark wie möglich werden, um sich ausländischem Druck entziehen zu können. Dass sich die Kims direkt in die Propaganda einmischen, ist jedoch nicht neu. So leitete Kims Vater Kim Jong-il einige Jahre die Propaganda-Abteilung der Partei. Er war ein Film-Freak und führte sogar Regie in einigen Propaganda-Filmen. 1973 wurde in Pjöngjang eine Filmtheorie veröffentlicht, die angeblich aus seiner Feder stammte.

Bis zu 100 000 Menschen wirken mit, um die Ideologie wortlos in Bilder zu fassen

Die bunten Arirang-Spiele wurden von 2002 bis 2013 jeden Sommer aufgeführt, dann war bis 2018 Pause - warum, auch das ist im Ausland nicht bekannt. Am Spektakel wirken jeweils Zehntausende Menschen mit, im August 2007 sollen es laut Guinness-Rekordbuch 100 090 gewesen sein. Den Kern der Truppe bilden 30 000 Schulkinder. Sie werden im Kindergartenalter für die Show rekrutiert und spielen dann einige Jahre mit, verpassen also jeweils ein halbes Jahr Schule.

Massenspektakel sind natürlich keine koreanische Erfindung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ehe es Radio und Fernsehen gab, wurden sie auch in Westeuropa zur staatlichen Propaganda aufgezogen. Wagners "Gesamtkunstwerk" entwuchs diesem Denken. Das Zarenreich in seinen letzten und die Sowjetmacht in ihren ersten Jahren manipulierten das Geschichtsbild der Menschen mit solchen Mega-Inszenierungen, deren berühmteste - und nachhaltigst wirkende - "Der Sturm des Winterpalasts" 1920 in Petrograd war. Nordkorea hat diese Idee, anachronistisch wie so vieles in der isolierten Diktatur, ein Jahrhundert später wieder aufgenommen. So sollte sein Ideologie-Mix aus Versatzstücken des japanischen Kaiserkults, der Bibel und einer sozialrealistischen Ikonografie in gigantische Bilder ohne Worte gefasst werden.

Auch Südkoreas frühere Diktatur setzte - in viel kleinerem Maßstab - auf eine Propaganda mit tanzenden Schülerinnen. Diktator Park Chung-hee unterhielt eine Tanztruppe kleiner Mädchen, die keine normale Schule besuchen konnten und die er auf seine Staatsbesuche mitnahm.

Arirang ist eigentlich ein besonders beliebtes Volkslied, das beide Koreas hochhalten. Wenn sie an internationale Wettkämpfe gemeinsame Sportmannschaften schicken, wird Arirang als gemeinsame Hymne gespielt. Die Arirang-Spiele erzählen die leidvolle Geschichte des koreanischen Volkes - in der Auslegung der nordkoreanischen Propaganda. Sie gipfeln in einer Wiedervereinigung Koreas. Dabei operieren sie mit Zeichen, die Ausländer kaum deuten können. Eine aufgehende Sonne etwa steht für Staatsgründer Kim Il-sung, den Großvater des aktuellen Kim; ein verschneiter Berg steht für den Mount Paektu, wo Kim Jong-il nach der Legende in einer Hütte geboren wurde (ein heller Stern habe von seiner Geburt gekündet), in Wirklichkeit kam er im russischen Exil zur Welt. Sein Sohn Kim Jong-un hat der Regie nun "Richtlinien zur korrekten Umsetzung der revolutionären Politik der Partei" gegeben, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA.

© SZ vom 12.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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