Nigeria und der Fluch des Reichtums:Im Delta der Diebe

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Öl könnte Nigeria zu einem reichen Land machen. Internationale Konzerne, der Staat und Milizen verdienen daran Milliarden. Die Einwohner leiden hingegen unter Korruption, Gewalt und einer vergifteten Heimat.

Arne Perras

Die Flammen tanzen wie lodernde Teufel, der alte Mann hat sie schon tausendmal verflucht. Der grelle Schein der Fackeln verfolgt ihn bis in die Träume. Und wenn er morgens erwacht, dann flackern die Feuer noch immer.

Flammen tanzen wie lodernde Teufel: Ein Junge vor einem Gasfeuer in Utuorogun im Niger-Delta. (Foto: Foto: dpa)

Jeden Tag betet er, dass der Herr im Himmel endlich die riesigen Flammen auslöschen möge. Doch die Feuerteufel leuchten weiter. "Irgendwann werde ich hier noch verrückt", sagt der Alte und starrt ins Leere.

Ebocha, ein Nest mitten im Niger-Delta: Hier pumpt der Agip-Konzern Öl aus der Erde. Dabei strömt Gas mit nach oben. Und das wird seit Jahrzehnten abgefackelt. Schwarzer Qualm steigt in den Himmel, er verpestet die Luft und macht den Regen sauer.

"Ist das fair?"

Kein Wunder, dass viele Leute in den Dörfern die Ölriesen mit ihren Gasfackeln hassen. Müll und Gift zerstören ihr Land. Und das Geschäft mit den Petro-Dollars machen andere. "Ist das fair?", fragt der Mann. "Sieht so die Zukunft unserer Kinder aus?"

Wer nach Gerechtigkeit sucht, wird im Niger-Delta nicht fündig. Vermutlich ist das der Grund, weshalb sich hier immer neue Gewalt entzündet. Das Öl hat großen Reichtum nach Nigeria geschwemmt - nur dass davon fast nichts ankommt bei den Menschen.

Die Firmen verdienen gut, der Staat noch besser. Mehr als 80 Prozent seiner Einnahmen stammen aus dem Ölgeschäft. Aber Tag um Tag fragen sich die Leute, wo all die Milliarden bleiben, die in die Kassen des Staates fließen.

Gewalt und Elend, Korruption und Machtmissbrauch, Ausbeutung und Frustration - alles fließt in den Sümpfen des Deltas zusammen und bildet ein explosives Gemisch, das nicht nur den Frieden in Nigeria bedroht. Kommt kein Öl mehr aus dem Delta, wird dies auch die Industrienationen schwer erschüttern, allen voran die Vereinigten Staaten, die zwölf Prozent ihres Bedarfs aus den Quellen Nigerias decken.

So wichtig nehmen die Amerikaner die Region Westafrika, dass sie dort sogar ein eigenes Militärkommando, Africom, etablieren. Es soll helfen, strategische Rohstoffe für die westlichen Märkte zu sichern.

Im Golf von Guinea patrouillieren Kriegschiffe der US-Marine, um Bohrinseln vor Angriffen der Rebellen zu schützen. Besonders gefährlich ist es aber im Labyrinth des Flussdeltas. Dort bunkern sich die Konzerne ein. Zum Beispiel in der Nähe des Ortes Omoko: Schwarze Wachtürme ragen über dem Gelände des Ölkonzerns Total empor.

Kein schneller Friede

Gewaltige Mauern, Elektrozäune, Stacheldraht. Neben dem Metalltor haben sich Wächter hinter Sandsäcken verschanzt. Sie halten ein Maschinengewehr im Anschlag. So sieht es in Kriegsgebieten aus, aber das würde Nigerias Regierung niemals zugeben. Sie spielt die Probleme herunter, obwohl sich die Krise stetig verschärft.

Der scheidende Präsident Olusegun Obasanjo konnte trotz großer Versprechungen die Wunden im Delta nicht heilen. Am Wochenende wählt das Land einen Nachfolger, doch Experten zweifeln, dass der neue Mann mehr Erfolg haben wird - ganz gleich, welcher Kandidat gewinnt. Denn über Jahrzehnte ist so viel versäumt und zerstört worden, dass es keinen schnellen Frieden geben dürfte.

Fahrt durch Port Harcourt, Ölmetropole und tropisches Elendsnest zugleich: Riesige Plakate säumen die Straßen, von denen Peter Odili herunterstrahlt. Der Ölprinz trägt eine blendend weiße Weste, wie es sich gehört für einen Mann von Format. Schließlich ist Odili die vergangenen acht Jahre Gouverneur von Rivers State gewesen.

Und das ist wirklich ein wichtiger Posten, wenn man bedenkt, dass in diesem Bundesstaat besonders viel Öl aus dem Boden gepumpt wird. Natürlich hat Odili auch Großartiges hinterlassen, wie die Plakate verkünden: "Exzellente Arbeit für die Nachwelt" steht dort zu lesen - zu sehen ist Odilis prunkvoller Dienstsitz. Man studiert das Bild noch an der Ampel, da trommelt eine kleine Faust gegen die Fensterscheibe.

Der Bub ist vielleicht vier Jahre alt, er trägt ein zerlumptes T-Shirt und dreckige Shorts. Er fleht um ein paar Naira, aber da ist das Auto auch schon angefahren, und der Kleine muss sehen, dass er rechtzeitig in den vermüllten Graben springt, damit ihn die Limousinen der Reichen nicht überrollen.

"Vermutlich war es noch viel mehr"

Was aber hat Odili mit all dem Geld gemacht, das in seinen Staat geflossen ist? Pro Jahr waren dies immerhin mehr als eine Milliarde Dollar. Wer den Machenschaften des Mannes nachspürt, lebt gefährlich. Da ist zum Beispiel der Menschenrechtler Anyakwee Nsirimovu, der beinahe von einer Schlägerbande ermordet worden wäre, als er nachts nach Hause fuhr.

Mindestens eine Milliarde Dollar habe Odili aus der Staatskasse geplündert, beklagt Nsirimovu. "Vermutlich war es noch viel mehr." Manche Millionen sind dabei schnell entdeckt. So hat sich Odili, weil die Straßen ja so schlecht sind in der Gegend, gleich zwei Düsenjets gekauft.

Immerhin hat die Korruptionsbehörde noch rechtzeitig verhindert, dass Odili als Präsidentschaftskandidat ins Rennen geht. Und den Posten des Gouverneurs muss er jetzt nach zwei Amtsperioden räumen. Ob der Mann sich aber je vor Gericht verantworten muss, ist offen.

Korruption und Gewalt, das sind die teuflischen Zwillinge des Deltas, und sie wüten überall. Auch Port Harcourt ist nicht sicher, schon gar nicht an diesem Freitagmorgen, als drei Speedboote vom Meer heranfliegen und schwer bewaffnete Milizionäre an Land springen.

Mehr als siebzig Ausländer gekidnappt

Die Kämpfer attackieren eine Baustelle der deutschen Firma Bilfinger Berger, die hier seit langem gute Geschäfte macht. Schwerbewaffnete Gestalten liefern sich Gefechte mit den Wächtern. Schließlich packen die Angreifer den Sicherheitschef des Unternehmens und brausen davon. Erst elf Tage später werden die Geiselnehmer ihr Opfer freilassen. Vermutlich hat den Mann ein Lösegeld gerettet, aber darüber spricht man nicht. Der Staat oder die Firmen zahlen und schweigen.

Fast jeden Tag gehen im Delta Milizen auf die Jagd. Mehr als siebzig Ausländer sind seit Jahresbeginn schon gekidnappt worden. Einige Entführungen, aber längst nicht alle, gehen auf das Konto der Rebellengruppe Mend. Die "Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas" behauptet, sie wolle Druck machen, damit die Probleme des Deltas endlich im Dialog gelöst werden.

Ihr Sprecher Jomo Gbomo droht, dass sie "in nur wenigen Tagen die gesamte Ölindustrie lahmlegen können". Das Militär sei kein wahrer Gegner, denn das Delta mit seinen weitverzweigten Wasserarmen würde den einheimischen Rebellen entscheidende Vorteile bieten.

Gbomo behauptet, Mend kämpfe "für eine gerechte Sache", doch es ist umstritten, ob die Gruppe wirklich politische Ziele verfolgt. Vielleicht missbraucht sie auch nur die Rhetorik der Befreiung, um kriminelle Geschäfte zu machen. Sicher ist, dass das organisierte Verbrechen aufblüht. Am meisten Geld ist mit dem "Bunkering" zu verdienen, dem Diebstahl von Öl.

Die Verluste gehen in die Milliarden. Ohne Kollaborateure in Polizei und Militär sind solche Räubereien nicht zu machen. Immerhin müssen Taucher erst einmal unter Wasser die Pipelines abzapfen, Schiffe müssen eingeschleust werden, die das Öl aufnehmen und später in große Frachter verladen. Sie nehmen Kurs auf andere afrikanische Staaten, um dort ihre illegale Fracht zu verkaufen.

Bewaffnete Eskorten

Neuerdings bringt auch das Kidnapping viel Geld, immer mehr Milizen entdecken Ausländer als lebende Kreditkarten. Zwar kommen die meisten Geiseln wieder frei, doch manchmal sterben auch Menschen bei den Überfällen. Die Angst unter den mehreren tausend ausländischen Arbeitern wächst.

Nur mit schwer bewaffneten Eskorten dürfen sie sich noch aus ihren Camps bewegen. Ein Deutscher, der schon lange im Gebiet arbeitet, glaubt, dass das auch nicht viel nützt. "Wenn sie dich holen wollen, dann kriegen sie dich auch."

Der Geschäftsmann, dessen Firma und Name nicht genannt werden sollen, hat noch andere Zeiten miterlebt. Früher unternahm er Spritztouren mit dem Motorrad hinaus in die Dörfer. Und an den Wochenenden zog er in die Kneipen, wo manche so viel tranken, dass sie am Morgen auf allen Vieren auf die Straße krochen.

Das ist längst vorbei. Es ist Sonntagabend, die Tische im "Goodfellas" sind leer. Stella, die Managerin, stößt einen tiefen Seufzer aus, sie ist den Tränen nahe: "Das Geschäft ist tot", schluchzt sie. Angestellte mussten entlassen werden, und von den Mädchen, die früher herumschwirrten, um Kunden abzuschleppen, ist auch keine mehr zu sehen.

Viel Geld

Das Goodfellas machte im vorigen Jahr Schlagzeilen, als eine bewaffnete Gang im Lokal mehrere Ausländer kidnappte. Ein Barmädchen erinnert sich: "Alle schrien wild durcheinander. Es war das Chaos". Die Geiseln kamen wieder frei, aber ins Goodfellas traut sich niemand mehr. Und anderen Bars geht es nicht besser.

Harte Zeiten auch für Pamela. Sie finanzierte ihr Studium bislang damit, dass sie mit Ölarbeitern ins Bett stieg. Ihre Mutter darf davon nichts wissen, "sie würde das nicht verkraften". Aber wie soll Pamela sonst die Gebühren bezahlen, bettelarm wie sie ist? Nun ist es schwer, noch Kunden zu finden. Wenn sie weiterhin so schlecht verdient, muss sie ihr Studium abbrechen - und wird zurück ins Elend stürzen.

Auch Prince, ein dürrer Hüne, hat Zukunftsängste, nur dass er einen anderen Ausweg als Pamela sucht. Er greift zur Kalaschnikow. "Weil ich endlich ein Mann sein muss." Er hat es satt, herumgeschubst zu werden. Früher wollte er Pipelines schweißen, doch die Firmen sagten, dass er die Ausbildung selbst zahlen müsse. Das war viel Geld, und seine Eltern konnten nicht helfen. So heuerte Prince schließlich bei einer Miliz an.

Diese militanten Gruppen sind schon vor Jahren von Politikern aufgerüstet worden, um einen schmutzigen Job zu erledigen: Die Jungs sollten bei den Wahlen dafür sorgen, dass die Bürger ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle machen. Diese Art der Gewalt ist verbreitet im Delta, Abstimmungen geraten so zur blutigen Farce.

Kämpfern wie Prince wurde einst vieles versprochen, vor allem Jobs. Doch sie gingen leer aus. Und deshalb sind die Jungs jetzt zornig. Den Politikern möchte Prince jedenfalls nicht mehr dienen. Stattdessen wolle er "für Gerechtigkeit kämpfen", versichert er. So wie die Rebellen von Mend.

Diese Truppe ist gut organisiert, und Firmen wie Shell hüten sich inzwischen davor, die Gefahren herunterzuspielen. "Natürlich haben wir große Sorgen", sagt Shell-Manager Ademola Adeyemi-Bero, der im Hochsicherheitstrakt des Konzerns aufs Sofa bittet. Schließlich hat es Mend sogar geschafft, mitten im Camp eine Autobombe zu zünden.

"Da müssen wir uns strikt raushalten"

Zwar kam niemand zu Tode, aber die Botschaft war deutlich: Ihr seid nirgends sicher. In einigen Teilen des Deltas kann derzeit gar kein Öl mehr gefördert werden, weil es zu gefährlich ist. Die Produktion ist 2006 um etwa ein Viertel gesunken.

Was aber tut Shell, um die Krise zu entschärfen? Gewiss, es gibt ein Krankenhaus in Port Harcourt, das hat Shell ganz neu eingerichtet. Tolle Betten, blütenweiße Kissen und Decken, alle mit der gelben Muschel oben drauf. Solche Projekte sollen helfen, das Gebiet zu entwickeln und das Vertrauen der Leute zu gewinnen.

Doch mit der Politik und damit, dass viele Milliarden versickern, will der Manager sich nicht befassen. Natürlich seien dies wichtige Fragen, meint er. "Aber da müssen wir uns strikt raushalten." Shell, der Riese, gibt sich ganz bescheiden. Zu bescheiden vielleicht.

"Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sich Shell mehr für Korruptionsbekämpfung und Transparenz einsetzen würde", urteilt Nigeria-Experte Axel Harneit-Sievers von der Heinrich-Böll-Stiftung. "Aber selbst große Konzerne scheuen davor zurück, sich mit der Staatsführung anzulegen."

Das Misstrauen der Bevölkerung gegen Shell reicht lange zurück, und wer den Anfängen des Widerstands nachspüren will, muss nach Ogoniland fahren, östlich von Port Harcourt - ins einstige Reich von Ken Saro-Wiwa. Den unbeugsamen Bürgerrechtler verehren sie dort wie einen Heiligen.

Und der Schrecken des 10. November 1995 ist allen noch im Gedächtnis. "Herr, nimm meine Seele, aber der Kampf geht weiter." Das waren Saro-Wiwas letzte Worte, bevor ihn die Henker des damaligen Diktators Sani Abacha zum Galgen führten und zu Tode quälten. Er starb beim fünften Hinrichtungsversuch.

Wunden des Kampfes

Abacha rächte sich dafür, dass Saro-Wiwa die Ogoni gegen Shell mobilisiert hatte und der Konzern 1993 entnervt aus der Gegend abgezogen war. Bis heute glauben viele, dass Shells Proteste gegen Saro-Wiwas Hinrichtung verlogen waren. Sie glauben an die große Verschwörung von Industrie und Macht, und das hat sie verbittert.

Spurensuche im Dorf K-Dere: Die Abendsonne wirft ihr warmes Licht auf ein metallisches Ungetüm aus alten Rohren und Tanks. Vor 14 Jahren tobten hier noch lautstarke Proteste. Jetzt ist es totenstill. Die Wunden des Kampfes sind nicht geheilt, und manche brechen sogar wieder auf. Man muss sich nur diesen schwarzen Teich ansehen, der sich zwischen Yamsfeldern und Gemüsegärten breitmacht.

In der Mitte ragt ein sogenannter Christbaum heraus. Das ist der Kopf eines Bohrlochs - er leckt. Öl tritt aus und ergießt sich in den Tümpel. Die Leute erzählen, dass der Christbaum schon seit vier Monaten undicht ist. "Das Zeug ist zu alt", schimpfen sie. Eine Weile hat es sogar gebrannt, bis Feuerlöscher von Shell anrückten und die Flammen erstickten.

Doch das Bohrloch 41/50 spuckt immer noch. "Spilling" nennen die Konzerne so eine ölige Riesensauerei. Und davon hat es über die Jahrzehnte viele gegeben. Von 1976 bis 1996 wurden mehr als 6000 Öllecks registriert, dabei liefen mehr als vier Millionen Barrel aus.

Und die Lage hat sich seither nicht verbessert. Oft sind Kräfte der Selbstzerstörung am Werk, wenn Einheimische Leitungen zerstören, um nach Entschädigung zu schreien. Doch viele Lecks haben die Firmen selbst zu verantworten, wenn es zu Unfällen kommt oder altes Material bricht.

Auch in K-Dere fordern die Leute jetzt Kompensation. Der Schaden müsse zuerst erfasst werden, sagen sie, bevor Shell aufräumen darf. Ein Konzernsprecher aber wehrt sich: "Das ist eine komplizierte Geschichte", sagt er. Sabotage habe das Leck verursacht. Außerdem bekomme Shell keinen Zugang, um den Schaden zu beheben. "Das ist nicht unsere Schuld."

Die Quelle sprudelt also weiter. Ein Höllenloch, das schwarzes Gift auf rote Erde speit.

© SZ vom 20.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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