Neuwahlen in Kanada:Die verharmloste Krise

Lesezeit: 2 min

Zu lange redete er die wirtschaftliche Lage Kanadas schön. Jetzt riskiert Premierminister Stephen Harper, eine stabile Mehrheit zu verfehlen. Oppositionsführer Dion würde sich freuen.

Bernadette Calonego

An diesem Dienstag wählen die Kanadier ihr Parlament in vorgezogenen Wahlen, die von der Angst vor einer drohenden Rezession beherrscht werden. Für die Wähler steht laut Erhebungen die Frage im Zentrum, wer das Land besser durch diese turbulenten Zeiten führen kann: der amtierende konservative Premierminister Stephen Harper oder der liberale Oppositionsführer Stéphane Dion. Derzeit führen die Konservativen in Umfragen mit 31 bis 35 Prozent, die oppositionellen Liberalen folgen mit 25 bis 27 Prozent.

Noch kann er hoffen: Kanadas Premierminister Stephen Harper. (Foto: Foto: Reuters)

Der 49-jährige Harper, der bislang einer Minderheitsregierung vorstand, hatte vorgezogene Wahlen angesetzt, weil er hoffte, dieses Mal eine Mehrheit im Parlament zu erhalten. Derzeit rechnen die meisten Experten aber wieder mit einer konservativen Minderheitsregierung. Vor einigen Tagen hatte Harper angesichts der sich verschlechternden Prognosen erklärt: "Minderheitsregierungen können sehr lange währen."

Der Ökonom aus der Erdölprovinz Alberta war im Februar 2006 Regierungschef geworden, aber nur mit 124 Mandaten in dem 308 Sitze zählenden Parlament in Ottawa. Er musste mit den anderen drei Parteien, den Liberalen, der linken Neuen Demokratischen Partei und dem frankokanadischen Bloc Québécois oft schwierige Kompromisse schließen. Im September hatte Harper das Parlament als "nicht funktionstüchtig" bezeichnet und Neuwahlen ausgerufen. Für die Kanadier sind es bereits die dritten Parlamentswahlen in etwas mehr als vier Jahren. Der konservative Premier bat die Wähler um ein starkes Mandat für seine Regierung.

Umfragen ermittelten zunächst einen deutlichen Vorsprung für die Konservativen vor den Liberalen, die von 1993 bis Ende 2005 regiert hatten und nach einem Korruptionsskandal abgewählt wurden. Im Wahlkampf nützte den Konservativen vor allem die Tatsache, dass der Liberale Stéphane Dion bei vielen Wählern mit seinem holprigen Englisch und dem intellektuellen Kommunikationsstil nicht gut ankam. Harper wirkt als stärkere Führungspersönlichkeit als Dion, wird aber manchmal auch als gefühlskalt und herablassend gesehen.

Harper wurde kritisiert, weil er während der Finanzkrise zu lange von der gesunden Wirtschaftslage Kanadas sprach und zu spät Anteil an den Sorgen der Kanadier nahm. In einem Fernsehinterview hatte er unverdrossen erklärt, es gebe jetzt gute Kaufgelegenheiten an der Börse. Die Regierungszeit der Konservativen war bislang nicht von großen Reformen geprägt. Die Kanadier waren aber zufrieden damit, vor allem weil Harpers Regierung viel Geld verteilte und Steuern senkte. Im kommenden Jahr droht allerdings nach elf aufeinanderfolgenden Haushaltsüberschüssen ein Defizit.

Viele Kanadier befürchten auch einen Rechtsrutsch mit einer konservativen Mehrheit. Harper hatte sich vor allem in der frankophonen Provinz Québec mehr Mandate erhofft, weil die angeschlagene Separatisten-Partei Bloc Québécois zunehmend an Boden verlor. Aber je näher der Wahltag rückte, umso mehr verspielten die Konservativen dort ihre Sympathien. Stéphane Dion andererseits gewann in den vergangenen Tagen zunehmend an Statur. Dion legte sein ursprüngliches Programm für eine umstrittene CO2-Steuer im Laufe des Wahlkampfs beiseite und konzentrierte sich auf das Thema Wirtschaft, was ihm Beifall einbrachte.

© SZ vom 14.10.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: