Neuveröffentlichung:"Die originellste Blair-Biographie des Herbstes"

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Der britische Bestsellerautor Robert Harris rechnet in einem Roman mit seinem früheren Intimus Blair ab. Von Claudia Fromme

Claudia Fromme

Ungefähr dort muss Jane Austen gesessen haben. Neben den Rosenbüschen auf der Anhöhe mit Blick auf den Kennet-Avon-Kanal. Der Verlobte ihrer Schwester Cassandra wohnte hier, ein Pfarrer, und Jane Austen war oft zu Gast in Kintbury in West Berkshire.

Tony Blair zu Harris' Roman: "Ich weiß nicht, was Robert sich dabei gedacht hat." (Foto: Foto: AP)

Teile ihrer Romane sollen hier entstanden sein, und vergisst man den Heizpilz und den Vertikutierer, dann sieht man förmlich, wie Galane mit wippenden Rockschößen vor dem Pfarrhaus flanieren, buhlend um die Gunst von Frauen in Empirekleidern, die männliche Eitelkeiten sehr milde belächeln.

Drinnen ist Krieg. Gleich hinter dem Fenster zum Garten. Stalin, Lenin und Hitler umzingeln Robert Harris, 50, von drei Seiten. Fünf Regalmeter hoch, fünfzehn Meter breit, nur Bücher über Diktatoren und Politiker. Die Luft ist stickig, der Ofen bullert. Harris sitzt am Schreibtisch. Sein Hemd ist drei Knopf weit geöffnet und gibt die behaarte Brust frei.

Er wirkt müde, aber zufrieden, wie ein Feldherr nach siegreicher Schlacht. Vor ihm liegt, gerade mit dem Kurier aus der Druckerei gekommen, sein neuer Roman "Ghost", in dem es um einen absurd eitlen britischen Ex-Premier namens Adam Lang und dessen Ghostwriter geht. Die Sunday Times vermerkte unlängst, dass Harris damit die originellste Blair-Biographie des Herbstes verfasst habe.

"Adam Lang hat nichts mit Tony Blair zu tun", sagt Robert Harris. Auch wenn man ihm das beim Lesen des Buches nicht so recht abnehmen möchte: Lang wird 1975 Mitglied seiner Partei, Blair tritt im selben Jahr Labour bei. Lang ist während des Studiums in Oxford passionierter Schauspieler. Blair ist während des Studiums in Oxford Schauspieler und entflammter Rockmusiker.

Affentanz aus rechtlichen Gründen

Lang heiratet Ruth, eine Karrieristin, die als junge Frau eine Vorliebe für unförmige Strickpullis hat und auch mal "Scheiße" sagt. Blair heiratet Cherie, eine Karrieristin, die eine Vorliebe für unförmige Strickpullis hat und auch mal "Wichser" sagt.

Langs Gesichtsausdruck ähnelt dem der Grinsekatze aus "Alice im Wunderland", seine ausgestreckte Hand trägt er vor sich her wie ein Maschinengewehr. Dito Blair. Lang ist blindlings mit den USA in den Irakkrieg gezogen und hat CIA-Flüge gebilligt, bei denen Terrorverdächtige zur Folter aus Pakistan ausgeflogen wurden. Die Vorwürfe an Blair klingen ähnlich.

"Lang ist nicht Blair, aber es steht jedem frei, in seine Person hineinzuinterpretieren, was man will", sagt Harris und knipst ein verständnisvolles Gesicht an, das er für Interviews in dieser Angelegenheit offenbar reserviert hat. "Natürlich gibt es Parallelen", räumt er ein. Aber ein Politthriller, der im Jetzt spiele, verkaufe sich nur, wenn er nah an der Realität sei.

Es sind rechtliche Gründe, die Harris diesen Affentanz aufführen lassen, mutmaßt der Observer. Harris nippt am Tee und sagt gedehnt: "Man muss Lang als Sinnbild für den Fluch der Macht sehen."

Harris ist selbst ein Machtmensch. Ein Mensch, der von der Macht und ihren Vertretern lebt. Als politischer Kommentator, erst bei der BBC, dann beim Observer und der Sunday Times, als Sachbuchautor, als Chronist in seinen Romanen.

Antike Wasserleitungen als Thrillerstoff

Hitler hat ihm gewissermaßen das Pfarrhaus eine Zugstunde von London entfernt bezahlt, in dem Harris mit seinen vier Kindern und seiner Frau Gill, der Schwester von Nick Hornby, lebt. Die Beschäftigung mit der Frage "Was wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte?" in seinem Debüt "Vaterland" hat Harris zum Millionär gemacht.

Darum geht es in der Anti-Utopie, die 1992 erschienen ist, in Deutschland erst Skandal war, dann Bestseller und weltweit fünf Millionen Mal verkauft wurde. In "Aurora" taucht Stalins Sohn auf, in "Enigma" eine Dechiffriermaschine im deutsch-britischen U-Boot-Krieg, in "Pompeji" geht selbige Stadt nach historischem Vorbild unter, und in "Imperium" steigt Cicero ebenso glorreich auf.

Harris liefert vor allem Herrenschmöker. Waffen, Verschwörung, Männerbünde. Echte Kerle. Die Daily Mail nahm ein Foto von Robert Harris mit mediterran geöffnetem Hemd zum Anlass, eine Debatte darüber zu führen, wie viel Brusthaar ein Mann im Alltag zeigen sollte. Harris mag ein wenig wie ein Macho erscheinen, vor allem aber ist er Gentleman. Er trägt Gästen selbstverständlich die Tasche und fragt, ob der Tee auch angenehm heiß ist.

Für jedes seiner Bücher hat Harris, der in Cambridge Geschichte studierte, zwei Jahre recherchiert. Er konsultierte Militärhistoriker und Antikenforscher, durchforstete Archive und seine Privatbibliothek, die sich wie ein Lindwurm geordnet nach Genre und Alphabet durch sein Haus zieht. Er ist detailverliebt, kennt die Zeiten aller Züge in Kintbury und dazu die Geschichte der First Great Western, einer der ältesten Bahnlinien der Welt, die vor seinem Haus entlangführt.

"Unfassbar", ruft er - und erzählt von Zügen. Er schafft es, selbst ein so dröges Thema zu beleben. Er weiß natürlich, wie man eine Geschichte erzählt. In seinen Romanen macht er antike Wasserleitungen oder römisches Wahlrecht zum Thrillerstoff.

Erstaunliche Parallelen

Für "Ghost" hat Harris nur eine Woche recherchiert. Auf der amerikanischen Ferieninsel Martha's Vineyard. Dort spielt der Roman, in dem ein Ghostwriter, der sonst das Leben abgehalfterter Rockstars zu Bestsellern macht, beim Memoirenschreiben in die Abgründe des Premiers und seiner Gattin blickt und auf einen explosiven Sumpf aus Eitelkeit und Wahn stößt. Die 70 Zentimeter Blair im Regal zwischen Bismarck und Ex-Innenminister Blunkett musste Harris nicht konsultieren. Er musste sich nur erinnern.

Als Tony Blair mit dem höchsten Wahlsieg in der Geschichte seiner Partei an die Macht kam, in der Nacht zum 2. Mai 1997, saß Robert Harris mit ihm vor dem Fernseher. Es gab Häppchen und Wein, und Blair brüllte bei jeder neuen Hochrechung "Das ist ja alles total verrückt!" John Major war am Telefon, Bill Clinton.

"Das war ein sehr besonderer Moment für mich, ein Privileg", sagt Harris weihevoll. Sein verständnisvolles Gesicht hat er nun gegen das staatsmännische eingetauscht, man merkt, wie sehr er es genossen hat, in der Nacht genau dort zu sein. Blair hatte ihn als einzigen Journalisten eingeladen, ihn die letzten Wochen vor der Wahl zu begleiten.

Harris unterstützte New Labour, in der Sunday Times schrieb er Lobeshymnen auf Blair. "Ich habe Tony bewundert, er war so charismatisch, so komplett unideologisch", sagt Harris. Er sagt "Tony", wenn er von damals spricht, und "Blair", wenn er sich auf heute bezieht.

Wie der Ghostwriter im Flugzeug neben Lang sitzt, so saß Harris neben Blair. Der Bestsellerautor und der dynamische Premier. Blair hatte ihn dazu eingeladen, weil er ihn mochte. Einfach so. Das war Cool Britannia. Dann kam der Krieg, und Harris startete seinen eigenen Feldzug dagegen. Mit dem Einmarsch britischer Truppen in den Irak 2003 verschärfte sich der Ton in seinen Kommentaren, der Kontakt riss ab.

Das letzte Mal habe er Blair bei einem Essen in der Downing Street Ende 2003 gesehen, sagt Harris. Cherie wollte über den Krieg reden, Tony nicht. "Er wusste, dass er mich nicht überzeugen kann, andersherum war es genauso." Die Treue zu Bush sei Blairs größter Fehler gewesen, für sich, für sein Land. Sonst wäre er noch heute Premier. Sagt Harris.

Er redet sich in Rage, Tony und Blair geraten durcheinander, Blair und Lang, und manchmal klingt es wie: Blang. "Wir waren uns mal sehr nahe, heute ist da nicht mehr viel", sagt Harris. Das heiße nicht, dass er keine Sympathien mehr für ihn hege. Diese Sicht liest sich in "Ghost".

Premier Lang ist kein schlechter, kein korrupter Politiker. Er ist tragisches Opfer seiner eigenen Eitelkeit und des unbedingten Willens, den USA zu gefallen. Die Rolle des Nestbeschmutzers lehnt Harris ab. "Wenn man einen Schriftsteller zu sich einlädt, muss man sich nicht wundern, wenn er schreibt", sagt er. Er sei kein Sekretär, der nach Blairs Abtritt plaudere.

Alles nur erfunden?

Und nein, nein, nein. Er unterstelle Blair keine Affäre mit seiner Assistentin, wie sie im Buch auftaucht. In der Boulevard-Exegese wurden Fotos von Blair und seiner Beraterin Anji Hunter unter der Überschrift "Alles nur erfunden?" gedruckt. Da sei ihm mulmig geworden, sagt Harris. Nicht, dass sich der Ex-Premier bei ihm gemeldet hätte.

"Tony Blair liest keine Romane, nur Sachbücher, besonders religiöse Literatur. Er hat keinen meiner Romane gelesen, das hat er mir selbst gesagt", erklärt Harris. Den Inhalt scheint Blair sehr wohl zu kennen. Als er unlängst in London war, um mit Verlagen über seine Memoiren zu verhandeln, habe ihn ein Bekannter von Harris auf "Ghost" angesprochen. Blair habe mit den Augen gerollt und gesagt: "Ich weiß nicht, was Robert sich dabei gedacht hat."

Harris hat vor allem schnell gedacht. "Ghost" hat er in nur viereinhalb Monaten geschrieben. Er ist dichter als seine Vorgänger. Ein Instantroman. Man verschlingt ihn, aber man taucht nicht in ihn ein. Ein literarischer Amoklauf, der nicht von historisch akkuraten Beschreibungen lebt, sondern vom Tempo und von Andeutungen.

Er habe aus dem Stand einen Thriller schreiben wollen, ein leichtes Stück Unterhaltung, sagt Harris. Darum überhaupt gehe es, um Unterhaltung. "Alles kann Gegenstand von Unterhaltung sein, selbst Hitler." Dass er "Ghost" als Kommentar zum Irak-Krieg nutzt, seine Macht als Bestsellerautor zur Meinungsmache, gibt er unumwunden zu.

Mit Thrillern erreiche man mehr Menschen als mit politischen Kommentaren, sagt Harris. "Die lesen die Menschen wenigstens." Über mangelnden Zuspruch kann er sich nicht beklagen, jeder seiner Romane ist Bestseller geworden. "Vaterland" wurde ebenso verfilmt wie "Aurora" und "Enigma". Die Verfilmung von "Pompeji" durch Roman Polanski hängt in der Schwebe; sollte sie kommen, soll es mit 150 Millionen Euro der teuerste europäische Film aller Zeiten werden.

Mobiltelefon statt Toga

Natürlich sei es für ihn nun ein Wagnis, mit "Ghost" das historische Terrain zu verlassen. Er hoffe, dass alles funktioniere. So viel Koketterie nimmt man Harris nur schwer ab. Das Manuskript war noch nicht einmal im Satz, da empfahl der Observer "Ghost" bereits als "Best autumn read". Ihm läge das Buch zwar noch nicht vor, gab der Kritiker zu, aber der Roman werde eh ein Bestseller - bei dem Thema. In Großbritannien ist "Ghost" direkt an die Spitze der Bestsellerliste gerauscht.

Eigentlich steckte Harris mitten in der Fortsetzung von "Imperium". Aufstieg, Herrschaft, Fall - Cicero in drei Teilen. Die Zeitgeschichte kam dazwischen, für ihn nicht ungelegen. "Ich habe Lust auf etwas anderes als römische Geschichte gehabt", sagt Harris, dessen Roman "Pompeji" vor "Imperium" im Zuge der Historienhysterie ebenfalls Bestseller geworden war.

Doch nun wollte der Autor "etwas, worin Mobiltelefone vorkommen und nicht Togen." Er wolle nicht zum Historienonkel mutieren, auch wenn es zuweilen so aussehe. Im Gäste-WC hängen Gardinen mit antiken Drucken, auf dem Schreibtisch wacht die Büste Ciceros.

Auch wenn die Kulisse eine andere ist, schreibt "Ghost" seinen Vorgänger "Imperium" in gewisser Weise fort. "In 2000 Jahren hat sich nicht viel geändert", sagt Harris. Auch wenn ihr Führungsstil unterschiedlich ist, verstehen sich Blair und Cicero, wie Harris ihn interpretiert, darauf, ihre Auftritte zu inszenieren. Ciceros Bruder organisierte das jubelnde Volk, Blair vertraute auf seine Strippenzieher.

Vor allem auf Peter Mandelson, einen der Architekten New Labours. Er ist enger Freund von Harris und Patenonkel einer seiner Söhne. Zuweilen spielen sie Snooker im Pfarrhaus, manchmal ist Nick Hornby dabei. "Hilft es dir, wenn ich den Roman öffentlich anprangere?", habe Mandelson ihn halb im Scherz gefragt. "Das Buch ist ihm unglaublich peinlich", sagt Harris. Natürlich habe er die Offerte abgelehnt.

Nicht nur der Historienonkel

Nach seinem Ausflug in die Zeitgeschichte werde es sich wieder mit dem alten Rom beschäftigen. Und damit am Ende auch mit dem Versagen. Jede politische Karriere könne nicht anders enden als genau so. "Die Macht laugt einen nicht aus. Wenn man keine mehr hat, das laugt einen aus", sagt Adam Lang in "Ghost".

Erfolgreiche Politiker seien Junkies, die nicht vom Stoff Macht lassen können, sagt Harris. Deshalb sitze Margaret Thatcher heute mit einem Textmarker im Büro und unterstreiche sinnlos Dokumente. "Das ist der große Unterschied", sagt er und zuckt mit den Schultern. Er sei von Politik fasziniert, aber nicht infiziert.

Im Flur hallen Schritte und Stimmen. Gill Hornby kommt ins Haus, spricht mit der Haushälterin. Sie gibt dem Gast aus Deutschland eine sehr weiche Hand und zieht sich ins Obergeschoss zurück. Der Rummel um das neue Buch sei ihr ein wenig suspekt, erklärt Harris und fügt hinzu, dass sie sich für ganz andere Sachen interessiere. Jane Austen zum Beispiel.

Gerade habe sie dazu ein Kinderbuch veröffentlicht, das auch sehr erfolgreich sei. Er zieht beide Flügel der Terrassentür zum Garten weit auf und schlägt vor, in den Pub zu gehen, bis der Zug nach London kommt. Vielleicht finde sich ein Platz draußen in der Sonne, direkt an der historischen Bahnlinie mit Blick auf den Kennet-Avon-Kanal. Zu dem gebe es übrigens auch noch eine wahnsinnig interessante Geschichte zu erzählen.

© SZ vom 10.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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