Neue Richtlinie:"40 Jahre zurückkatapultiert"

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Ärzte, Therapeuten und Betroffene protestieren: In der Psychiatrie fehle Personal.

Von Christina Berndt

Leere Flure, aber volle Stationen. In psychiatrischen Kliniken herrscht Personalmangel, weil die Ansprüche an die Behandlung steigen. (Foto: imago stock&people)

Psychiater sind es in der Regel gewohnt, auf ruhige, besonnene und zugewandte Art mit ihren Gesprächspartnern zu kommunizieren, selbst wenn die manchmal schwierig sind. Aber diese professionelle Contenance haben viele Vertreter des Fachs derzeit abgelegt. Sie sehen ihre Patienten in Gefahr, seit der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, eine neue Richtlinie zur Personalausstattung in der Psychiatrie und Psychosomatik vorgelegt hat. Nicht weniger als 31 Verbände, Fachgesellschaften und Vereine aus den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik haben sich zum Bündnis "Mehr Personal und Zeit für psychische Gesundheit" zusammengeschlossen. Mit dabei sind neben den Fachleuten auch Patientenvereinigungen und Angehörige. Ihre gemeinsame Befürchtung: "Die Richtlinie könnte die heute schon prekäre Personalsituation in der Psychiatrie weiter verschärfen." Am Donnerstag, dem Welttag der Seelischen Gesundheit, hat das Bündnis deshalb vor dem Bundesgesundheitsministerium gegen die neue Richtlinie des G-BA protestiert. Die Seelenfachleute hoffen, dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem Entwurf seine Zustimmung verwehren wird und den G-BA dadurch zum Überarbeiten zwingt.

Die Vorwürfe des Bündnisses wiegen tatsächlich schwer: Der Entwurf des G-BA sei ein "Affront für alle Betroffenen, Angehörigen und in der Psychiatrie Beschäftigten", heißt es beispielsweise bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). "Wir können nicht begreifen, wie in Zeiten, in denen Patientensicherheit großgeschrieben wird, so wenig Mut und Entschlossenheit für mehr Personal in der Patientenversorgung aufgebracht wird", sagte deren Präsident Andreas Heinz, der Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Charité ist. Das Einbeziehen von Patienten in die Therapieentscheidung, mehr Beziehung in der Behandlung, Menschenwürde und Teilhabe an Leben und Beruf seien nur mit einem besseren Personalschlüssel möglich. Die Bundespsychotherapeutenkammer nannte die neue Richtlinie gar "patientenmissachtend". Auf den Stationen werde es "weiter zu vermeidbarer Gewalt und Zwangsmaßnahmen kommen, da Patienten in psychischen Krisen nicht angemessen behandelt und ausreichend betreut werden können", prophezeite deren Präsident Dietrich Munz. Und die Deutsche Krankenhausgesellschaft stellte fest, der G-BA "katapultiert die Psychiatrie um 40 Jahre zurück".

Auf den psychiatrischen Stationen werde es "weiter zu vermeidbarer Gewalt kommen"

Wie unzureichend die bisherige Regelung sei, zeige etwa die Situation in der Gerontopsychiatrie, sagt Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit in Ingolstadt: Wenn pflegebedürftige ältere Patienten auf eine psychiatrische Station kommen, stehe ihnen dort weniger Pflegezeit zu als außerhalb der Psychiatrie - obwohl zu ihren körperlichen Beschwerden noch die psychiatrischen hinzugekommen seien. Es sei wohl nicht der richtige Weg, dass solche Entscheidungen wie die Personalvorgaben für die Psychiatrie nicht von Fachleuten, sondern von Geldgebern getroffen würden, beklagte Pollmächer.

Der G-BA hatte seine neue Richtlinie dagegen als wegweisend beworben. In einer Pressemitteilung erklärte der Vorsitzende Josef Hecken, dass sie eine Verbesserung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung von erkrankten Kindern und Jugendlichen bedeute, dass Erwachsene, die eine Intensivbehandlung benötigen, besser pflegerisch betreut würden und dass es auch "deutlich erhöhte Minutenwerte" für die psychologische Behandlung gebe. Das, was die Psychiater als ein Zuviel an Bürokratie beklagten, diene nur dem Nachweis, dass Mindestvorgaben auch erfüllt würden, das könne für Patienten eine Verbesserung bedeuten.

Hecken betonte allerdings auch, dass die Richtlinie nur in einer Erstfassung vorliege. Man werde weiterberaten und sie fortschreiben. Sollte der Gesundheitsminister den Entwurf nicht beanstanden, tritt sie zum Januar 2020 aber erst einmal in Kraft.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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