Neue Gewalt in Israel:Was vom Frieden übrig blieb

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Wieder gehen Bilder von Tod, Trauer und Zerstörung aus Nahost um die Welt. Mit ihrem neuen Terror setzen palästinensische Terroristen nach einigen Monaten ohne Anschläge eine neue Spirale der Gewalt in Gang. Israel antwortete mit massiven Luftangriffen auf den Gaza-Streifen. Der arabische Wandel bringt neue Gefahren für Israel - das Land schottet sich mit Zäunen und Minenfeldern ab.

Peter Münch, Tel Aviv

Ein wenig Woodstock weht durch Tel Aviv seit vielen Wochen. Liebe, Frieden und Sozialprotest: Im Zeltlager auf dem Rothschild-Boulevard zelebriert die israelische Jugend mit Debatten und Konzerten, mit Demonstrationen und mit Dichterlesungen ein neues Israel-Gefühl. Allabendlich wird der feine Boulevard zu einem kreativen Jahrmarkt der Uneitelkeiten - und dann kommt von fern ein furchtbarer Knall. Alles ist still.

Neue Gewalt: Ein Israeli beklagt den Tod eines 22-jährigen Soldaten, der bei dem Anschlag am Donnerstag ums Leben kam. Die Menschen fragen sich, ob es nun noch mehr Terror, noch mehr Tote und am Ende gar einen neuen Krieg geben wird. (Foto: AFP)

Nach dem Terroranschlag vom Donnerstag mit acht toten Israelis und mehr als 30 Verletzten wurden die abendlichen Konzerte abgesagt, und am Samstag wird es - anders als an den Wochenenden zuvor - keine Großdemonstrationen geben. In den Nachrichten dominieren die Meldungen über Luftangriffe und Raketenbeschuss. Tote in Gaza, Verletzte in Aschdod, alles furchtbar altbekannt.

Die Hoffnung, die den Protest beflügelt hat, wird nun zumindest fürs Erste wieder abgelöst von all den Sorgen und bohrenden Fragen, die jeder in Israel zumindest für einen Sommer gern einmal vergessen hätte: Wird es nun noch mehr Terror geben, noch mehr Tote und am Ende gar wieder einen neuen Krieg? Und wohin entwickelt sich die Region, die im Frühling von einem arabischen Aufbruch erfasst wurde, dessen Ausgang noch längst nicht abzuschätzen ist?

Der Terrorangriff nahe Eilat, wo die Menschen im August in Scharen Urlaub machen, hat dem Land schlagartig vor Augen geführt, dass Israel derzeit so verwundbar ist wie schon sehr lange nicht mehr. Denn es sind längst nicht mehr nur die Palästinenser-Gebiete, von denen Gefahr ausgeht. Gegen mögliche Angriffe aus dem Westjordanland und vor allem aus dem Gaza-Streifen zeigt Israel sich gut gerüstet - mit Mauern, Zäunen und mit Drohnen, die jeden Schritt überwachen auf palästinensischem Boden. Nun aber erwiesen sich plötzlich Grenzen als brandgefährlich, die mehr als drei Jahrzehnte lang ruhig waren. Allen voran die Grenze zu Ägypten.

Auf großflächigen Karten kann man in den israelischen Medien nachverfolgen, welchen Weg das auf 15 bis 20 Mann geschätzte Terrorkommando genommen hat: Durch die Schmuggeltunnel im südlichen Gaza-Streifen raus nach Ägypten und dann mehr als 200 Kilometer immer geradeaus nach Süden - schwer bewaffnet und völlig ungehindert bis hin zum Grenzübertritt nach Israel. Der israelische Geheimdienst, so heißt es nun, habe schon vor einiger Zeit Hinweise erhalten, dass eine größere Attacke geplant sei. Deshalb seien auf israelischer Seite der Grenze auch die Sicherheitskräfte verstärkt worden. Überrumpelt wurden sie trotzdem, weil die Angreifer nicht wie erwartet im Schutz der Dunkelheit kamen, sondern am helllichten Tag, und weil sie angeblich auch noch die Grenze direkt unter den Augen eines ägyptischen Postens überquerten.

Sogleich gab Verteidigungsminister Ehud Barak Ägypten eine Mitschuld an diesem Angriff auf Israel, weil es bei der Kontrolle des Sinai versage. Dahinter steckt jedoch noch mehr als die von der Terrortat angefachte Wut. Es äußert sich darin das grundsätzliche Misstrauen der israelischen Regierung gegen die neue Führung in Kairo. Der 1979 besiegelte und vom gestürzten Despoten Hosni Mubarak garantierte Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern wird bei den aktuellen Militärherrschern nicht mehr in treuen Händen gesehen. Überdies stellt sich die Regierung in Jerusalem darauf ein, dass in absehbarer Zeit ohnehin die Muslimbrüder an die Macht kommen - und spätestens dann vom Frieden nicht mehr viel übrig bleibt.

Israels Konsequenz daraus heißt Abschottung. Bereits im vorigen Jahr, also noch vor allen arabischen Umwälzungen, hatte die Regierung den Bau eines mehr als 200 Kilometer langen High-Tech-Zauns an der Grenze nach Ägypten auf dem Sinai beschlossen. Damals galt als größte Gefahr noch der Zustrom afrikanischer Flüchtlinge, nun aber geht es auch bei diesem Projekt wieder vorrangig um die Sicherheit. Ungefähr 45 Kilometer der neuen Grenzanlage sollen bereits fertig sein, der Weiterbau wird nun nach dem Terrorangriff beschleunigt und soll spätestens Ende 2012 abgeschlossen sein. Stärkere Abschottung gilt jedoch nicht nur im Süden an der Grenze zu Ägypten als Gebot der Stunde, sondern auch im Norden auf den Golanhöhen. An der Grenze zu Syrien, die seit 1974 ruhig geblieben war, wurden in diesen Tagen neue Minenfelder angelegt. Nachdem dort jüngst zwei Mal Demonstranten zum Grenzsturm angesetzt hatten, wächst die Angst, dass das bedrängte Regime von Präsident Baschar al-Assad einen äußeren Konflikt provozieren könnte, um sich innenpolitisch Erleichterung zu verschaffen.

Krisen-Analysten haben also Konjunktur in Israel, und aus dem regierenden Likud kam bereits der Aufruf an die Protestjugend, in Zeiten der Bedrohung die Zelte abzubauen. Daran jedoch denkt niemand auf dem Rothschild-Boulevard. "Das ist eine Revolution", sagt einer, "die kann man gar nicht stoppen."

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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