Neuausrichtung der Türkei-Politik:Berlin setzt auf Härte gegen Erdoğan

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"Deutsche sind in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher", urteilt die Bundesregierung. Sie verschärft die Reisehinweise für Urlauber und warnt Unternehmen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Bundesregierung hat am Donnerstag ihren Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan deutlich verschärft. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine "Neuausrichtung" der deutschen Türkei-Politik an. Unter anderem sollen Zahlungen der Europäischen Union an Ankara sowie die Hermes-Bürgschaften für Investitionen deutscher Unternehmen in der Türkei überprüft werden. Gabriel sagte, man könne "niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar völlig unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden". Das Außenministerium verschärfte außerdem die Sicherheitshinweise für Türkei-Reisende deutlich. Merkel sagte, diese Maßnahmen seien "notwendig und unabdingbar".

Jüngster Anlass für die Neuausrichtung der Türkei-Politik war die Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers und IT-Experten Peter Steudtner. Insgesamt wurden laut Gabriel seit dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr 22 Deutsche festgenommen, neun seien immer noch im Gefängnis. Der Außenminister sagte, wer "unbescholtene Besucher seines Landes unter wirklich hanebüchenen, ja abwegigen Beschuldigungen festnimmt und in Untersuchungshaft verbringen lässt, der verlässt den Boden europäischer Werte". Der Fall Steudtner zeige, "dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind". Die Bundesregierung habe deshalb gar nicht anders gekonnt, als ihre Reisehinweise anzupassen, "und die Deutschen wissen zu lassen, was ihnen geschehen kann, wenn sie in die Türkei reisen".

Das Auswärtige Amt empfiehlt Urlaubern und Geschäftsreisenden jetzt, sich auch bei kürzeren Aufenthalten in der Türkei "in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen". Eine Reisewarnung wollte das Außenministerium aber noch nicht aussprechen. Bei einer solchen Warnung ist es laut Auswärtigem Amt "gute Praxis der deutschen Reiseindustrie, mindestens bei Pauschalreisen Buchungen kostenfrei zu stornieren oder umzubuchen".

Der Sprecher Erdoğans warf der Bundesregierung wegen ihres Kurswechsels "politische Verantwortungslosigkeit" vor. Er sagte, von einer Gefährdung von Deutschen in der Türkei könne "gar keine Rede sein".

Zwischen Deutschland und der Türkei gibt es eine Vielzahl an Konflikten, etwa um die Verhaftungen deutscher Journalisten, um die Armenien-Resolution oder um die Besuchsverbote für Bundestagsabgeordnete bei den deutschen Soldaten in der Türkei. In Berlin herrscht offenbar auch Unmut über ein informelles Angebot der türkischen Seite, inhaftierte deutsche Journalisten gegen türkische Generäle, die in Deutschland Asyl beantragt haben, auszutauschen. Gabriel sagte auf Nachfrage zwar, er kenne kein "offizielles Tauschangebot". Er vermied aber ein eindeutiges Dementi. Ein Sprecher Gabriels hatte bereits am Mittwoch gesagt, es sei "für uns völlig undenkbar, solche Art von Geschäften mit Menschen zu machen".

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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