Neonazi-Festival:Mit Nutella gegen Hitler

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In Ostritz entscheide sich die Zukunft des Rechtsextremismus, hatte der Verfassungsschutz vor dem Wochenende gewarnt. Wie die kleine sächsische Gemeinde dem braunen Aufmarsch "Schild und Schwert" trotzte.

Von Ulrike Nimz, Ostritz

Thorsten Heise sitzt auf einer Bierbank und spricht über Liebe. Die für sein Land und ein "Europa der Vaterländer". Diese Liebe sei sein Antrieb bei der politischen Arbeit, nicht etwa Hass, wie ihm einige der anwesenden Reporter unterstellen. Heise ist NPD-Chef in Thüringen, mehrmals vorbestraft und Anmelder des "Schild und Schwert"-Festivals. Ein zweitägiges Megaevent für Neonazis mit Kampfsport, Kampfreden, Konzerten - und der Grund, warum in der sächsischen Kleinstadt Ostritz Ausnahmezustand herrscht.

Vor Heise hat sich ein Halbkreis aus Kameras und Mikrofonen gebildet. Pressekonferenz am Veranstaltungsort, in der Einfahrt des Hotels Neißeblick. Warum also dieses Großereignis, ausgerechnet am Geburtstag Adolf Hitlers? Antwort: Zufall, man habe keinen anderen Termin gefunden. Warum ist Filmen auf dem Gelände verboten? Es gebe da Vorbehalte unter den Besuchern, sagt Heise und versichert: Hinter den Bauzäunen herrsche kulturelle Vielfalt. 1000 Kameraden aus 15 Nationen. Menschen, die Musik hören wollten, über Politik diskutieren, das Wetter genießen. Geht es nach Thorsten Heise, ist Ostritz so etwas wie ein rechtes Woodstock.

Irgendwas mit Kindergarten: Zwei Besucher des nationalsozialistischen "Schild und Schwert"-Festivals in Ostritz laufen auf dem Weg zum Einlass an einem NPD-Werbeplakat vorbei. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Heise trinkt Wasser, ist ausnehmend höflich. Das gilt nicht für alle Gäste des Hotels. Während einer Geländebegehung am Vortag ist ein Kamerateam angegriffen worden. Auch sonst spricht einiges gegen einen sächsischen Summer of Love. Die Shirts der Ordner sind nur eine Sache. "Arische Bruderschaft" steht da über zwei gekreuzten Stielhandgranaten - ein verfassungswidriges Symbol der Waffen SS. Die Kleidungsstücke werden konfisziert.

Das Neißeblick war mal eine Textilfabrik, es gehört dem hessischen Unternehmer und Kommunalpolitiker Hans-Peter Fischer. Die Fenster sind blind, die Fassade beschmiert. Die Gästehäuser heißen "Schlesien" und "Pommern". Schon 2012 kam die NPD hier zu einem Parteitag zusammen. Ein Wochenende wie dieses aber hat Ostritz noch nicht erlebt.

Die Ostritzer fragten so sachlich, als stünde ihnen ein Hurrikan bevor

Am Straßenrand blühen die Apfelbäume. Männer in "Landser"-Shirts schleppen Cola vom Penny-Markt Richtung Bahnhof. Einer macht Pinkelpause an einer Hecke. Eine Kreuzung weiter verspricht ein Schild Gäste-Wlan. Journalisten versammeln sich dort wie streunende Katzen um ein Schälchen Milch. Das Internet ist das zweitgrößte Problem in Ostritz.

Auf der Lederwiese, wo die Linke ihr eigenes Festival feiert, spielt eine Ska-Band "Hey, Pippi Langstrumpf". Am Zaun hängt ein Transparent: "Happy Birthday, Nutella". Es stellt sich heraus, dass der 20. April nicht nur Hitlergeburtstag ist, sondern auch der Tag, an dem das erste Glas Schokoaufstrich vom Band lief. Über allem quirlt ein Hubschrauber die Frühlingsluft.

Wer Ruhe sucht in Ostritz, der findet sie am anderen Ende der Stadt, hinter den Mauern St. Marienthals. Das Kloster liegt inmitten grüner Hügel. Es gibt eine Bäckerei, den Dreifaltigkeitsbrunnen und einen Garten mit Bibelkräutern. In der Klosterkirche beginnt das Mittagsgebet. Die Nonnen haben das Haupt gesenkt, ihr Gesang füllt das Gewölbe: "Gelobt sei der Herr, der uns nicht ihren Zähnen als Beute überließ." Wenn die Stadt zur Festung wird, öffnet das Kloster seine Türen: Auf dem Parkplatz stehen Touristenbusse, im Hof reiht sich Polizeiwagen an Polizeiwagen.

Bei der „Friedensfest“-Gegenveranstaltung wurde sowohl gefeiert als auch gegen Nazis demonstriert. (Foto: Nils Holgerson/dpa)

Die Ordensfrauen äußern sich ungern zur Politik. Schwester Ursula, seit 34 Jahren im Kloster, macht eine Ausnahme: "Natürlich finden wir nicht gut, was dort geschieht." Aber sie haben hier schon ganz andere Dinge überstanden. Das Neiße-Hochwasser im Jahr 2010, zum Beispiel. Als der Damm am Niedów-Stausee drüben in Polen brach. Gerade rechtzeitig gelang es den Schwestern, den Tabernakel samt geweihter Hostien ins Obergeschoss zu retten.

Sachsens Regierungschef ruft: "Wir lassen uns die Heimat nicht kaputt machen!"

Vor zwei Wochen kamen die Ostritzer zu einem Bürgerabend im Kloster zusammen. 300 Menschen saßen in der Kühle des Celsa-Pia-Hauses, darunter Bürgermeisterin und Verfassungsschutz. Wo parken, wenn die Straßen gesperrt sind? Wer zahlt, wenn ein Fenster zu Bruch geht? Wer kommt für die Umsatzeinbußen des Fleischers auf? Die Ostritzer fragten so sachlich, als stünde ein Hurrikan bevor und nicht eines der größten Neonazi-Festivals Deutschlands. "In Ostritz entscheidet sich die Zukunft des Rechtsextremismus", sagte der Mann vom Verfassungsschutz. Aber natürlich geht es an diesem Wochenende auch um die Zukunft von Ostritz.

Marion Prange steht auf dem Marktplatz. Eine kleine Frau mit silbernem Bob und weißen Turnschuhen. "Ich freue mich, dass der Tag endlich da ist", sagt sie geduldig in jedes Mikro, das man ihr hinhält. Als Ostritz' Bürgermeisterin im Dezember erfuhr, dass sich Neonazis aus ganz Europa ihre Stadt ausgesucht hatten, um Geld und neue Bekanntschaften zu machen, griff Prange zum Telefon. Sprach mit dem Kloster, Vereinen, dem Ministerpräsidenten. Sie unterschrieb die "Oberlausitzer Erklärung". 40 Bürgermeister der Region verurteilen darin das Rechtsrock-Event. Am Ende stand das "Friedensfest", eine Gegenveranstaltung, bunt, bürgerlich, im Herzen der Stadt. Es gibt eine Hüpfburg, Currywurst, Bier für 2,50 Euro. Am Rande des Marktplatzes haben sie ein mobiles Wohnzimmer aufgebaut. Hier können Besucher in Sesseln und Gesprächen versinken.

Polizisten sichern den Zugang zum Neonazi-Festival. (Foto: Nils Holgerson/dpa)

"Das Fest ist gewachsen wie ein kleines Pflänzchen", sagt Prange. Jahrelang hat sie den Ostritzern den schnellsten Weg aus der Stadt gewiesen, als Leiterin eines Reisebüros. Jetzt hat die Bürgermeisterin die 2500 Einwohner aufgerufen, übers Wochenende hierzubleiben, aufeinander achtzugeben und zusammenzustehen. Und das haben sie getan. Am Freitagabend schloss sich eine Menschenkette um den Marktplatz. Bei Kerzenschein stimmten die Ostritzer "Dona Nobis Pacem" an und "Einigkeit und Recht und Freiheit".

Eines war Bürgermeisterin und Bürgern schon mit Beginn der Planungen klar: Wenn nur eine Scheibe kaputt geht in Ostritz, eine Nase blutet nach diesem Wochenende, dann würde die Stadt sich davon lange nicht erholen. Nun, da es friedlich geblieben ist, liegt in all dem Ärger auch eine Chance: Ostritz kann Vorbild sein für Kommunen, die vor ähnlichen Problemen stehen. Denn es wird ein nächstes Mal geben. Allein 2017 hat sich die Zahl rechtsextremer Konzerte in Sachsen verdoppelt.

Michael Kretschmer (CDU), Schirmherr des Friedensfestes, wird das im Kopf gehabt haben, als er zur Eröffnung klare Worte fand: Der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse in der Mitte beginnen. "Wir lassen uns die Heimat nicht kaputt machen." Sachsens Ministerpräsident stammt aus Görlitz, saniert ein Umgebindehaus im nahen Waltersdorf. Und obwohl einige auf dem Ostritzer Marktplatz so tun, als würde es die Lederwiese und das "Rechts rockt nicht"-Konzert der Linken nicht geben, sagte Kretschmer: "Alle, die ihren Beitrag leisten können, sind uns willkommen."

Am Küchentisch des Ostritzer Vereinshauses sitzt Alfons Müller, ein älterer Herr in blauem Hemd. Vor sich eine Wachstischdecke mit Sonnenblumenmuster. Den ganzen Tag schon erzählt er Menschen, die zuhören wollen, vom "unsäglichen Krieg". Müller, 88 Jahre alt, ist Teil des Projektes "Lebendige Bibliothek". In kurzen Begegnungen berichten Ostritzer den Besuchern des Friedensfestes aus ihrem Leben, so als würde man im Vorbeigehen ein Buch aufschlagen. Alfons Müller ist schwere Lektüre. Er ist in St. Marienthal aufgewachsen, als Sohn des Klostergärtners. Im August 1938 starrte der Vater in den Sonnenuntergang wie in ein loderndes Feuer, sagte vier Worte: "Es wird Krieg geben." Was das bedeutet - Krieg - erfuhr Müller erst, als Ärzte im Kloster Tag und Nacht Verwundete operierten, als die SS KZ-Häftlinge vorbeitrieb und alle erschoss, die nicht mehr konnten. "Ich habe nie wieder etwas so Schreckliches gesehen wie diese geschunden Menschen", sagt Müller. Was hält er davon, dass die Nazis zurückgekehrt sind nach Ostritz, wenngleich nur für ein Wochenende? Alfons Müller sagt: "Die haben noch nie einen richtigen Nazi gesehen."

© SZ vom 23.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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