Für den deutschen Außenminister Heiko Maas war die jüngste türkische Militäroperation in Nordsyrien "völkerrechtswidrig". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dagegen erwartete bei dem Kriegseinsatz von der Nato ein "Bekenntnis zur Solidarität" und "keine Beschuldigungen". Die Türkei gehörte vor 70 Jahren nicht zu den Gründungsmitglieder der Nato, sie trat ihr aber bereits 1952 bei, sie stellt die zweigrößte Armee der westlichen Allianz. Mittlerweile aber wirkt es, als lebten Ankara und der Rest der Nato in zwei unterschiedlichen Welten.
Dies zeigt sich auch unmittelbar vor dem Jubiläumsgipfel der Nato. So will die Türkei einem Verteidigungsplan des Bündnisses für die baltischen Staaten und Polen dort ihre Zustimmung verweigern, solange die Nato die syrisch-kurdische Miliz YPG nicht als "Bedrohung" für die Türkei einstuft. Die YPG war zuletzt Partner der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Für Ankara ist die YPG selbst dagegen eine "Terrorgruppe", ein Ableger der PKK, die für einen langen blutigen Konflikt in der Türkei verantwortlich ist. Ankara rechtfertigte den Einmarsch als Maßnahme der Selbstverteidigung.
Der Vormarsch wurde in der letzten Oktoberwoche gestoppt, nachdem sich Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin auf gemeinsame Grenzpatrouillen und verschiedene Einflusszonen geeinigt hatten. Damit stärkte die Türkei die russische Vormachtstellung in Syrien - und so auch den wichtigsten Gegner der Nato.
Davor hatte allerdings US-Präsident Donald Trump die türkische Invasion indirekt gebilligt, indem er amerikanische Soldaten aus Syrien abzog. Die Kurden und ihre quasi autonome Region blieben damit schutzlos. Offenbar als letzten Rest von Solidarität mit der YPG haben die USA nun eine Erklärung der Nato verhindert, in der mögliche Bedrohungen für den Süden der Allianz aufgelistet werden, und darunter eben auch die kurdische Miliz. "Wenn ein solches Dokument die YPG erwähnt, wäre Washington dazu verpflichtet, gegen diese Gruppe zu kämpfen", zitierte die Zeitung Hürriyet Daily News am Donnerstag einen namentlich nicht genannten türkischen Diplomaten.
Ein Veto in der Nato ist nicht außergewöhnlich, aber es ist eher selten, dass ein interner Konflikt aus dem Nordatlantikrat nach draußen dringt. Doch die Differenzen mit der Türkei sind eben nicht mehr zu leugnen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Donnerstag, man sei sich in verschiedenen Punkten uneinig, auch in der Beurteilung der Situation in Syrien. Die Nato aber stehe zu ihren Grundsätzen, dazu gehöre der Artikel 5, die gemeinsame Verteidigung eines Partners nach einem Angriff. Die Türkei hat im Fall von Syrien bislang nicht auf den Beistandspakt verwiesen. Kritiker der Invasion hatten auch angemerkt, hier sei die Türkei der Aggressor, der Artikel 5 greife nicht.
Schon vor ihrer Intervention in Nordsyrien hatte sich die Türkei an Russland angenähert. Sie kaufte russische S-400-Abwehrraketen, die mit den Systemen der Nato nicht kompatibel sind. Für Moskau war dies ein großer Erfolg, denn Russland bemüht sich seit Langem, die Türkei von der Nato zu entfernen. Washington droht Ankara seit dem Raketenkauf mit Sanktionen und will der Türkei keine F-35-Kampfjets mehr liefern. Bislang sind die S-400 noch nicht im Einsatz. Türkische Medien berichteten jüngst aber von einem Test der Radarverbindungen zwischen den Raketen, die auf einem Luftwaffenstützpunkt bei Ankara stehen, und türkischen Kampfflugzeugen. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu aber betonte, die Türkei habe die S-400 nicht gekauft, um sie im Depot zu lassen.