Nato - Türkei:Bündnis der Probleme

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Die Atlantische Allianz hatte schon immer mit schwierigen Partnern zu kämpfen. Immer stand das strategische Kalkül im Vordergrund - auch diesmal wieder.

Von Tobias Matern

Unter Partnern ist der Vorgang eigentlich unerhört: Das Nato-Mitglied Türkei verbietet dem Nato-Mitglied Deutschland den Besuch bei Bundeswehrsoldaten auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Konya. Abgeordnete dürfen die Soldaten nicht sehen. Ein kühner Affront, der vielleicht nur deshalb nicht die eigentlich fällige Empörung auslöst, weil er in einer langen Reihe von Konfrontationen und Rüpeleien steht. Gleichwohl bringt der Fall die deutsche Regierung in eine extrem unbequeme Lage. Sie muss entscheiden, was ihr wichtiger ist: das Verhältnis zur Türkei, das Verhältnis zur Nato, oder das Verhältnis zum Deutschen Bundestag als Bewilligungsinstanz einer Parlamentsarmee?

Nach dem Streit um das Besuchsrecht auf der Basis Incirlik feuert Ankara also die nächste Breitseite ab, als wären die Beziehungen nicht schon strapaziert genug durch die Inhaftierung eines deutschen Menschenrechtlers und deutscher Journalisten. Sigmar Gabriel unterbricht seinen Urlaub, der türkische Botschafter wird ins Außenministerium einbestellt.

Die Türkei strapaziert die Militärallianz bis aufs Äußerste

Hinter dem bilateralen Streit zwischen der Türkei und Deutschland steckt aber auch ein Konflikt zwischen der Nato und der Türkei, was gerne übersehen wird. Ratlos schaut das Bündnis auf den schwierigen Verbündeten Ankara. Klare Worte bleiben bislang aus, der Pragmatismus steht im Vordergrund. Die Nato braucht die Türkei mehr als umgekehrt, schon wegen der geostrategischen Lage des Landes: Die Türkei ist der Brückenkopf nach Asien und in die islamische Welt. Hinzu kommt die direkte Nachbarschaft zu den Brandherden Syrien und Irak. In einer aufgewühlten Welt will die Allianz die Türkei unbedingt in ihrem Klub behalten - und nicht in die Arme Moskaus treiben.

Russland hat das erkannt und weiß um den Wert einer schwächelnden, auf Energielieferungen aus Moskau angewiesenen Türkei. Also bietet es einen milliardenschweren Deal an, der in der Nato wie ein Keil wirkt: Für 2,5 Milliarden Dollar sollen die Türken ein Raketenabwehrsystem aus Russland bestellen. Das System ist mit der Nato-Abwehr nicht kompatibel, aber Ankara wird immerhin noch Zugang zu technischem Know-how versprochen - eine Option, die der größte Bündnispartner USA generell eher verweigert.

Die Türkei und Russland - darin steckt keine historisch gewachsene Liebe, im Gegenteil. Beide Länder waren in der Vergangenheit eher Antagonisten, die um Einfluss gerungen haben. Nun verbindet sie plötzlich ein gemeinsames Ziel: Russland will die Nato schwächen, und die Türkei will dem Bündnis seine Bedeutung aufzeigen. Ankara heischt in Zeiten innerer Schwäche um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Dass dies besonders dröhnend und rücksichtslos geschieht, strapaziert die Nerven - auch in einem gewöhnlich belastungsfähigen Bündnis wie der Nato.

Die Schuld für die Zuspitzung einseitig bei Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu suchen, wäre zu kurz gegriffen. So verschärft etwa Donald Trumps Syrien-Politik eine türkische Urangst: Die Unterstützung für kurdische Rebellen, die einen unabhängigen kurdischen Staat in Syrien erträumen, steigert in Ankara die Furcht vor der Zersplitterung des türkischen Staatsgebietes. In der Türkei hat die militante kurdische PKK - auch wenn sie es öffentlich anders darstellt - den Traum von einem unabhängigen Kurdistan sicher noch nicht aufgegeben.

Aber auch für den türkischen Präsidenten steht viel auf dem Spiel, wenn er mit seinen Störaktionen das Bündnis schwächt: Die Lage der Türkei in Nachbarschaft der Kriegsgebiete Syrien und Irak ist auch eine Bürde. Die Zahl der Anschläge durch eingesickerte Terroristen zeugt von der unmittelbaren Gefahr, die Zahl der Flüchtlinge von der humanitären Last, die das Land zu tragen hat.

Die Nato erlebt nicht zum ersten Mal spektakuläre Alleingänge der Türkei. Schon 2013 liebäugelte Ankara mit dem Kauf eines chinesischen Raketenabwehrsystems. Der Deal platzte. Andererseits ist die Türkei seit 65 Jahren Mitglied der Nato, sie verfügt über die zweitstärkste Armee im Bündnis - nach den Amerikanern. Das Verhältnis war nicht immer reibungslos, aber immer wieder erwies sich Ankara als Partner, der bei Stabilisierungsmissionen - wie auf dem Balkan und in Afghanistan - seine Verlässlichkeit unter Beweis stellte.

Selten zuvor hat die Türkei die Nerven der Allianz so strapaziert wie im Augenblick. Trotzdem muss die Nato ein großes Interesse daran haben, diesen schwierigen Verbündeten in seinen Reihen zu halten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ziert sich, in dem Konflikt eine klarere Position zu beziehen. Er will den Konflikt durch reines Zureden eindämmen will. Das ist in der jetzigen Lage zu wenig.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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