Nationale Mitsprache:Hochgradig hypothetisch

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Das Ceta-Abkommen muss in Deutschland wohl durch Bundestag und Bundesrat - Mehrheiten sind jedoch noch lange nicht in Sicht.

Von M. Bauchmüller, N. Fried, Berlin

Die Beteiligung des Deutschen Bundestages begann, wenngleich eher zufällig, gleich am Tag nach der Nachricht aus Brüssel: mit einer Anhörung im Umweltausschuss. Eine Reihe von Experten berichteten von Risiken und Nebenwirkungen des Handelsabkommens mit Kanada, andere sahen Ceta eher gelassen. "Da steht an einigen Stellen Aussage gegen Aussage", sagt Matthias Miersch, der für die SPD-Fraktion im Umweltausschuss sitzt. "Das zeigt aber, was jetzt passieren muss: solide Textarbeit." Schließlich ist der Bundestag nun mit im Boot - jetzt, wo die EU-Kommission Ceta zum "gemischten Abkommen" erklärt hat und folgerichtig nationale Parlamente beteiligt werden. Nur: Wie diese Beteiligung genau aussehen soll, das weiß noch keiner so recht.

Im Augenblick, so heißt es im Bundeswirtschaftsministerium, gehe man von einem "Ratifizierungsgesetz" aus. Ob dem der Bundestag allein oder auch der Bundesrat zustimmen muss, das freilich müsse erst geklärt werden. Alles in allem freue man sich aber nicht nur über das Abkommen an sich, sondern auch über das Einlenken der EU-Kommission. Denn die Ratifizierung verschafft vor allem Zeit: Mindestens zwei Jahre dauert es üblicherweise, bis das zugehörige Gesetz ausgearbeitet, debattiert und verabschiedet ist. In der Zwischenzeit geht unter anderem eine Bundestagswahl ins Land, was für den zuständigen Wirtschaftsminister, SPD-Chef und potenziellen Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel besonders angenehm ist: Nach wie vor gibt es in seiner Partei reichlich Zweifler. "Rote Linien" hat die Partei für Ceta aufgestellt. "Und ich habe große Bedenken, ob sie nicht an zentralen Stellen überschritten sind", sagt Miersch, der auch die Parlamentarische Linke vertritt - in ihr sammeln sich viele der Kritiker.

In der Zwischenzeit ließe sich vielleicht auch klären, auf welche Rechtsnorm die Regierung zurückgreift, es gibt nämlich mehrere. Artikel 23 etwa regelt die Dinge der Europäischen Union. "In Angelegenheiten der Europäischen Union", so heißt es dort, "wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit." Auf Basis dieses Artikels könnte etwa ein Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates den Weg für Ceta freimachen. Wahrscheinlicher dagegen ist Artikel 59, der völkerrechtliche Verträge regelt - und auch die "Mitwirkung" von Bundestag und Bundesrat vorsieht, sofern deren Zuständigkeiten betroffen sind. Ob die Länder das bei einem internationalen Handelsvertrag für sich geltend machen können, bleibt allerdings dahingestellt. Dafür müssten sie nachweisen, dass ihre Kompetenzen konkret berührt sind. "Letztlich wird aber auch diese Frage politisch entschieden", sagt der Bielefelder Völkerrechtler Franz Mayer. "Die Länder werden sich diesen Einfluss kaum nehmen lassen."

Die Grünen haben ausführlich dargelegt, warum sie Vorbehalte gegen das Abkommen haben

Politisch könnte das einen großen Unterschied machen. Für eine Mehrheit im Bundesrat wären die derzeitigen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Die aber haben am Mittwoch reihenweise erklärt, warum sie Vorbehalte gegen das Freihandelsabkommen haben. Theoretisch könnte die Ratifizierung damit den Bundestag passieren, aber am Bundesrat scheitern. Allerdings ist auch das hochgradig hypothetisch - denn welche Mehrheiten es in Bundestag und Bundesrat 2018 oder 2019 gibt, weiß heute noch keiner.

Weniger hypothetisch ist die Frage der "vorläufigen Anwendung" des Abkommens. Schließlich könnten die Handelsminister große Teile des Abkommens schon in Kraft setzen; nämlich jene, die nicht in die Belange der Mitgliedstaaten eingreifen. Doch auch hier möchte der Bundestag mitreden. Die Rechtslage sei in dieser Frage "völlig eindeutig", sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) "Wenn es zu der jetzt absehbaren Prozedur kommt, setzt die denkbare Zustimmung der Bundesregierung zum vorläufigen Inkraftsetzen dieses Vertrages die Zustimmung des Bundestages voraus." Was allerdings passiert, wenn Ceta von einzelnen Staaten nicht ratifiziert wird, obwohl es schon in Teilen in Kraft ist, könnte noch Gegenstand einiger juristischer Gutachten sein. Denkbar sei etwa, dass diese Teile, etwa gesenkte Zölle, stillschweigend weitergelten, sagt der Bielefelder Professor Mayer - weil sich beide Seiten mittlerweile so daran gewöhnt haben.

Die Beteiligung des Bundestags allerdings sieht auch er als zwingende Konsequenz vergangener Debatten. "Das allein in Brüssel zu entscheiden, hätte nach der Vorgeschichte nicht mehr funktioniert", sagt er. "Dafür ist die Tragweite des Abkommens zu groß." Im Übrigen lasse sich so das Risiko minimieren, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht über die Causa Ceta entscheiden muss.

Am Freitag nun soll der Text des Abkommens - im englischen Original ist er 1598 Seiten lang - in die Sprachen der EU-Staaten übersetzt sein. Damit beginnt auch rein förmlich die Befassung. Im Umweltausschuss des Bundestages vermeldeten die Grünen nach der Expertenanhörung am Mittwoch schon einmal 75 Prozent Kritik. Und selbst wenn das Abkommen in Deutschland durchkommt - ab sofort reicht ein winziges belgisches Regionalparlament, um Ceta noch aufzuhalten.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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