Nahost-Konflikt:Ende der Geisterstunde

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Stille Revolution: Die Stadt Dschenin im Westjordanland gleicht einem Laborversuch für einen Palästinenserstaat - und blüht dabei auf.

Thorsten Schmitz, Dschenin

Das Auffälligste in Dschenin in diesen Tagen kurz vor Frühlingsbeginn sind die vielen blühenden Blumen und die vielen Bäume. Sogar Palmen säumen die Hauptstraße. Blumen hatte man schon lange nicht mehr gesehen in der staubigen Stadt.

Friedliches Leben in Dschenin: Zum Valentinstag dekorierte ein Palästinenser seinen Laden mit Teddybären. (Foto: Foto: AP)

Früher brannten Autoreifen in Dschenin, heute werden sie recycelt: Sie sind mit Erde und Gerbera aufgefüllt und stehen am Stadteingang neben einem Vergnügungspark für Kinder. Auffallend ist auch, dass der Verkehr jetzt von palästinensischen Polizisten geregelt wird und nicht mehr von israelischen Soldaten.

Die israelische Armee hat sich aus Dschenin zurückgezogen, nur noch selten dringen Spezialeinheiten nachts ein auf der Suche nach mutmaßlichen Terroristen. So wird die nördlichste Großstadt im Westjordanland von palästinensischen Männern, Frauen, Kindern und Jugendlichen bevölkert, die Geschäfte und die Restaurants im Stadtzentrum sind voll.

Sogar in den Abendstunden sind die meisten Geschäfte geöffnet. In den vergangenen Jahren wurde Dschenin nach Sonnenuntergang zur Geisterstadt, in der sich bewaffnete Milizen mit israelischen Soldaten Gefechte lieferten. Heute trauen sich die Menschen wieder nach draußen.

Das Stadtbild wird nicht mehr von Milizen beherrscht, die das örtliche Krankenhaus als Unterschlupf missbraucht und Geldautomaten geplündert hatten. Es dominieren Falafelstände, Bäckereien, Jeans-Shops und Cafés.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit findet im Schatten von Israels Konflikt mit der Hamas im Gaza-Streifen in Dschenin eine kleine stille Revolution statt. Nicht mehr Gewalt regiert den Ort mit seinen 50.000 Einwohnern, sondern Aussichten auf eine bessere Zukunft.

Kämpfen mit anderen Mitteln

Die Stadt und ihr Flüchtlingslager, das wegen palästinensischer Selbstmordattentate in der zweiten Intifada von israelischen Panzern zerstört worden war, sind zu neuem Leben erwacht.

Am deutlichsten verkörpert Zakaria Zubeidi den Wandel von der Terrorhochburg zur Vorbild-Kleinstadt. Zubeidi war einer der führenden Mitglieder der Terrorgruppe Al-Aksa-Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Machmud Abbas.

Zweimal hat Israels Armee versucht, den im Untergrund lebenden Zubeidi zu töten, weil er in Dutzende Terroranschläge auf Israelis verwickelt war. Heute spaziert Zubeidi ohne Waffe und ohne Kampfuniform durch Dschenin, plaudert mit Nachbarn oder trinkt einen türkischen Kaffee in einem der vielen Restaurants.

Zubeidi wurde von Israel amnestiert und hat im Gegenzug der Gewalt abgeschworen. Die Besatzung bekämpft er jetzt mit den Mitteln der Kultur: Der ehemalige Terrorist studiert jetzt im "Freiheitstheater" von Dschenin mit Jugendlichen Stücke ein, die sich mit dem Alltag beschäftigen.

"Meine Jugend war von Gewalt geprägt. Die Kinder von heute sollen lernen, dass man auch mit Kultur gegen die Besatzung kämpfen kann", sagt Zubeidi.

Renovierung des Kinos

Ein paar Straßen weiter wird das frühere Kino renoviert, in dem bis zum Beginn der ersten Intifada 1987 Bruce-Lee- und Pornofilme gezeigt wurden. Der deutsche Regisseur Marcus Vetter ist der Initiator des Projekts, an dem sich das Bundesaußenministerium beteiligt.

Vetter, dessen Dokumentarfilm "Das Herz von Dschenin" im April in die deutschen Kinos kommt, investiert all seine Zeit und viel eigenes Geld in die Wiederauferstehung des Kinos im Stadtzentrum, in dem jetzt noch Tauben hausen.

Später einmal sollen dort auch europäische Filme gezeigt werden und ortsansässige Geschäfte Werbung schalten können. Das nächste Kino liegt in Ramallah, je nachdem, wie man die israelischen Checkpoints passiert, zwischen zwei und vier Stunden entfernt.

Auf Seite zwei: Warum Israel Dschenin lobt.

Dschenin ist der Laborversuch für einen künftigen Palästinenserstaat. Anstatt eine israelisch-palästinensische Koexistenz von oben anzuordnen, die zwangsläufig brüchig bleiben würde, soll in Dschenin die Zwei-Staaten-Lösung vorbereitet werden.

Israel und die Palästinenser sprechen sich dort in Fragen der Sicherheit und der Zivilverwaltung ab. Auch Bürgerinitiativen sind an Dschenins Wiederauferstehung beteiligt.

Im Sommer waren über die Hauptstraßen Transparente gespannt worden, die zu einem "Sonnenaufgang nach Sonnenuntergang" aufriefen und die Menschen aus ihren Häusern zum Einkaufen lockten.

"Neue friedfertige Stimmung"

Der stellvertretende Kommandeur der nationalen palästinensischen Sicherheitskräfte in Dschenin, Radi Aside, berichtet, die Autonomiebehörde habe von der US-Regierung unter dem früheren Präsidenten George W. Bush die Zusage bekommen, dass "ein Palästinenserstaat in Dschenin beginnt".

Die Absicht sei, zusammen mit Israel ein Sicherheitsmodell auszuarbeiten, das in Zukunft im gesamten Palästinensergebiet angewendet werden könnte. Der US-amerikanische Sicherheitsberater James Jones sagte vor wenigen Wochen nach einem Besuch: "In Dschenin wird ein Palästinenserstaat geprobt." Auch in Israel ist man voller Anerkennung über den Wandel der Stadt.

Verteidigungsminister Ehud Barak, der die Lieferung von AK-47-Sturmgewehren und Geländewagen für die Sicherheitskräfte in Dschenin genehmigt hat, sagt in ungewöhnlich lobenden Worten: "Dschenin ist bislang ein großer Erfolg. Die Palästinenserpolizei dort hat eine neue friedfertige Stimmung erzeugt."

Mit amerikanischer Unterstützung werden die palästinensischen Polizisten in Jordanien geschult. Ein mit deutscher Hilfe und jener des Nahost-Sondergesandten Tony Blair errichteter Industriepark soll Tausenden Bewohnern der Region Arbeitsplätze liefern. Auch will man auf den Feldern Dschenins Bio-Gemüse und Obst anbauen und mit Hilfe von Israels Know-how nach Europa exportieren.

Dschenin ist auch deshalb eine Erfolgsgeschichte, weil es hier kaum Anhänger der radikal-islamischen Hamas und seit 2005 auch keine jüdischen Siedler mehr in der Nähe gibt. Damals löste Israel im Rahmen des Gaza-Rückzugs auch vier Siedlungen nahe Dschenin auf.

Auf moderne Art protestieren

Zudem verläuft der Trennzaun in der Region um Dschenin auf der Grenze vor Beginn des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 - und schneidet nicht, wie anderswo, tief ins Palästinensergebiet ein. Bei allem Kooperationswillen indes gibt es für Israel noch immer rote Linien.

Die Palästinenserführung in Dschenin bat vor kurzem um Erlaubnis, ihre neuen Sicherheitstruppen in einer der evakuierten Siedlungen stationieren zu können. Doch Israels Verteidigungsminister ziert sich noch. Weil er schlechte Presse fürchtet, hat er den Wunsch der Autonomiebehörde bislang abschlägig beschieden.

Eingewilligt dagegen hat Ehud Barak in eine Ausweitung des friedlichen Experiments. Palästinensische Sicherheitskräfte sollen nun auch in Hebron stationiert werden. Wie effektiv sie sind, konnte man am jüngsten Gaza-Krieg ablesen.

Die neuen palästinensischen Sicherheitskräfte erlaubten zwar Demonstrationen gegen Israels Offensive - aber sie verhinderten, dass Palästinenser israelische Soldaten im Westjordanland angriffen. Der Sicherheitschef von Dschenin, Asida, sagt: "Wir haben unseren Landsleuten gesagt, ihr könnt protestieren, aber nur auf moderne Art."

© SZ vom 20.02.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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