Nahost-Konflikt:Der Krieg im Innern

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Während Fatah und Hamas sich gegenseitig bekämpfen, erscheint ein lebensfähiger Palästinenserstaat mehr denn je als Fata Morgana. Israel kann das nicht recht sein.

Christiane Schlötzer

Der EU-Gipfel in Brüssel hat am Freitag in seiner feierlichen Schlusserklärung die unbedingte Einhaltung der Waffenruhe im Gaza-Streifen und deren Ausweitung auf das Westjordanland gefordert. Das sind Deklarationen, wie man sie auf Gipfeln macht.

Der britische Premier Tony Blair forderte darüberhinaus eine neue palästinensische Regierung. Auch so ein hehrer Wunsch vom grünen Brüsseler Tisch. On the ground, wie Strategen sagen, wurden in den Palästinensergebieten in den vergangenen zwei Tagen Fakten geschaffen.

Dabei gab es mindestens einen Toten und Dutzende Schwerverletzte, unbeteiligte Reisende mussten sich vor Schüssen retten, und europäische Grenzwächter nahmen Reißaus. Der noch frische, stets gefährdete Waffenstillstand zwischen Israelis und Palästinensern wurde damit nicht gebrochen.

Aber die offenen Kämpfe zwischen Anhängern der regierenden islamistischen Hamas und der bei den Wahlen im Januar unterlegenen Fatah zeigen das Potential für einen blutigen palästinensischen Bürgerkrieg.

Palästinenserpräsident Machmud Abbas kann die Hitzköpfe offenbar nicht mehr stoppen. Im Gegenteil: Sein jüngster Vorschlag, über ein Referendum Neuwahlen zu ermöglichen, wirkte wie Zunder auf einem trockenen Holzstoß.

Die radikale Hamas will die Macht nicht abgeben, die sie noch gar nicht richtig genossen hat. Und die Fatah wollte sich nie mit der Niederlage abfinden. Unter solchen Umständen eine Regierung der ,,Nationalen Einheit'' zu schmieden, war eine kühne Idee. Abbas konnte sie jedenfalls nicht verwirklichen. Sein Neuwahl-Vorschlag ist auch ein Schrei der Verzweiflung.

Ungerechte Kollektivstrafe

Die Lage im Westjordanland und in Gaza ist nun gründlich verfahren, und man kann sich eine Weile lang damit aufhalten, wer daran noch alles schuld ist.

Europa und Amerika haben mit dem Finanzierungsstopp für die palästinensische Autonomieverwaltung der Hamas eine wunderbare Ausrede dafür geliefert, warum sie praktisch gar nicht regieren konnte, warum seit Monaten in den Palästinensergebieten gestreikt wird, warum Krankenschwestern zu Hause bleiben und unbezahlte Polizisten nicht mehr zum Dienst erscheinen. Nicht einmal ein neugeborenes Kind kann man in Ramallah noch registrieren lassen.

Gibt es Neuwahlen, muss die Hamas womöglich gar nicht für das allgemeine Chaos büßen. Denn ihre Wähler empfinden den Finanzboykott durch den Westen und durch Israel, das Steuereinnahmen zurückhält, als ungerechte Kollektivstrafe.

Ob das Versagen der Hamas als Ordnungskraft der politisch gemäßigten, aber von Korruption gezeichneten Fatah beim nächsten Urnengang helfen wird, ist fraglich. Die Partei des Palästinenserpräsidenten hat bislang nicht belegen können, dass sie aus ihren Fehlern gelernt hat.

Ein Bürgerkrieg in Gaza und im Westjordanland würde wieder einmal alle Bemühungen, endlich einen stabilen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu schaffen, ad absurdum führen. Es gibt in Israel nicht wenige Politiker, denen es ganz recht wäre, wenn ein lebensfähiger Palästinenserstaat auf ewig eine Fata Morgana bliebe - schön von Ferne anzusehen, aber bei jedem Schritt näher zerfällt das Bild. Das aber kann nicht im langfristigen Interesse Israels liegen.

Israel mag Mauern und Zäune bauen, um das Chaos in Gaza nicht mehr sehen zu müssen. Aber Wut und politische Frustration, die sich unter den Palästinensern aufschaukeln, verbunden mit einer sich rasant verschlechternden wirtschaftlichen Lage, werden sich auch wieder in Israel entladen.

Wer zur Beruhigung beitragen will, muss helfen, einen nahöstlichen Friedensprozess in Gang zu bringen. Dies steht auch in der Gipfelerklärung aus Brüssel. Wenn die europäischen Regierungschefs ihre Worte ernst nehmen, sollten sie schnellsten Flüge in die leicht entflammbare Region buchen.

© SZ vom 16.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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