Nachruf:Der schwäbische Herkules

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Lothar Späth, Politiker, Mann der Wirtschaft - hier fotografiert bei der Investmentbank Merrill Lynch. (Foto: Franz Bischof/laif)

Zum Tod des CDU-Politikers Lothar Späth: Er war Ministerpräsident, er war Chef von Jenoptik, schnell im Kopf und schnell im Handeln. Er hat aus dem Ländle ein Wunderländle gemacht.

Von Heribert Prantl

Sein Spitzname war "Cleverle". Das klingt für den Nicht-Schwaben ein wenig abschätzig. Wer dieses Spitznamens wegen denkt, Lothar Späth sei halt eine Art schwäbischer Schlaumeier gewesen, flinkes Mundwerk, wenig dahinter, der täuscht sich schwer. Späth, aus einfachen Verhältnissen stammend, sein Vater war Lagerhausverwalter bei der Raiffeisen, war ein schwäbisches Genie, ein volksnaher Großpolitiker, ein gewiefter Großmanager. Er war schnell im Kopf und schnell im Handeln. Er war zupackend, geschmeidig, immer gesprächsbereit.

Späth war kein Ideologe, sondern ein begnadeter Pragmatiker, ein Pragmatikus Maximus. Er war selbst einfallsreich, er hatte aber auch ein gutes Gespür für die guten Ideen anderer - und mit diesem Gespür hat er in zwölfeinhalb Jahren als Ministerpräsident Baden-Württemberg zu einem Musterland gemacht - schon geraume Zeit bevor die Bayern den Slogan von Laptop und Lederhose erfanden. Späth ist es zu verdanken, dass das, was man Strukturwandel nennt, in Baden-Württemberg noch früher und schneller gelang als in Bayern. Er hat, als Regierungschef von 1978 bis 1991, gezeigt, wie man Natur und Technik, Tradition und Fortschritt verbindet. Die zwölfeinhalb Jahre des Lothar Späth als Regierungschef gehören zu den besten des Landes.

Der Mann mit mittlerer Reife schaffte, was die großstudierten Manager nicht schafften

Er hat aus dem Ländle ein Wunderländle gemacht; sah sich darin selbst weniger als Landesvater denn als Vorstandsvorsitzender der Baden-Württemberg AG. Das gefiel den Leuten, weil er dabei keine großmannssüchtigen Allüren hatte. Er blieb auf dem Boden, als es ihm gelang, auf der Schwäbischen Alb eine neue Textilindustrie anzusiedeln. Er blieb auf dem Boden, als er Dornier und Daimler zusammenbrachte und so ein Konzernschmied wurde. Späth gründete Forschungszentren; reiste durch die Welt als rastloser Türöffner für die schwäbische Wirtschaft. Und es gelang ihm auf seinen Touren Erstaunliches - er war eben clever. Und weil er nicht von sehr großer Statur war, und weil die Schwaben nicht zum Übertreiben neigen, war er das Cleverle.

In seinen großen politischen Jahren, als Späth so Mitte 40 war, gab es - so erinnert sich Erhard Eppler, der elf Jahre ältere SPD-Rivale - im Großraum Stuttgart ein Phänomen: Auf Empfängen, bei Sitzungen, bei offiziellen und offiziösen Anlässen konnte man beobachten, dass alle so sein wollten wie Lothar Späth; die Leute bewunderten ihn, sie verhielten sich so wie er, sie redeten so wie er. So etwas kennt man sonst nur, wenn die Leute aus dem Kino kommen und sich dann eine halbe Stunde lang so gerieren wie der Held des Films. Und so kam es, dass Späth als CDU-Landeschef und Ministerpräsident selbst noch 1988, als die Kohl-CDU im Bund schwach und schwächer wurde, wie schon zweimal vorher die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag behauptete.

Abitur hat Späth nicht gemacht. Der Mann aus dem oberschwäbischen Sigmaringen ist, wie sein Nachfolger Erwin Teufel auch, ein Produkt der schwäbischen Inspektorenausbildung. Das Gymnasium in Heilbronn musste er auf Drängen des Vaters, dem Lothars Widerborstigkeit auf den Geist ging, nach der mittleren Reife verlassen. Er wurde ein pfiffiger kommunaler Finanzverwalter, wollte Jura studieren, hatte die Zulassung zum Begabten-Abitur, aber noch nicht das Mindestalter von 25; und ging zur Überbrückung zur Stadt Bietigheim, wo er schnell Geschäftsführer der Wohnungsbau GmbH wurde und dann mit 29 Jahren Bürgermeister.

Mit dreißig trat er der CDU bei und nahm ein Jahr später der SPD den Wahlkreis Ludwigsburg II ab. Das ging, wie er selbst einmal schilderte, so: "Mit Freunden brachte ich am Gründonnerstag 1968 sieben Oldtimer zum TÜV, nachts holten wir in Holland einen Lastwagen mit Osterglocken, am Ostersonntag verteilten wir sie von den Oldtimern aus unter dem Motto 'Lothar Späth kommt nie zu spät'".

Mit 35 Jahren wählte ihn die CDU-Landtagsfraktion zu ihrem Vorsitzenden. Als Ministerpräsident Filbinger wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten musste, wurde Späth Ministerpräsident. Da war er 41. Er war die Kraft der Provinz. Von nun an stand er in der ersten Reihe der Union - er galt als Reservekanzler, als der potenzielle Nachfolger von Helmut Kohl.

Das hätte er auch werden können - wenn die von Heiner Geißler und ihm angeführte Palastrevolution in der CDU nicht kläglich gescheitert wäre. Auf dem Parteitag zu Bremen 1989 sollte der zunehmend glücklose Kohl gestürzt und Späth an seiner Stelle zum Parteichef gewählt werden. Späth war so stark, dass er Kohl herausfordern konnte; aber dann doch nicht stark genug, ihn zu stürzen - als nämlich die Geschichte Kohl zur Seite sprang. Ungarn öffnete den Eisernen Vorhang, und Kohls Karriere als Kanzler der Einheit begann. Von da an schien es, als würde Späth das Ländle ein wenig zu eng.

Als ihn ein gutes Jahr später eine Affäre einholte, trat er zurück. Es war bekannt geworden, dass ein Unternehmenschef den Ägäis-Urlaub der Familie Späth bezahlt hatte. Mit einem flotten Spruch "Nur wer nichts tut, macht keine Fehler" war das nicht aus der Welt zu schaffen. Mit diesem Rücktritt begann freilich das zweite große Leben von Lothar Späth. Er trauerte nicht herum, er war nicht geknickt, er suchte und fand. Schon ein paar Monate später begann er als schwäbischer Herkules in Jena: Aus den Trümmern des Großkombinats VEB Carl Zeiss Jena formte er den Jenoptik Konzern, natürlich mit kräftigster Hilfe der Treuhand. Aber Treuhandmilliarden bekamen andere auch, die dann wenig zustande bekamen. Der Mann mit mittlerer Reife schaffte, was die großstudierten Manager nicht schafften.

In den Monaten vor seiner Abwahl griff selbst Helmut Kohl wieder auf ihn zu; Späth wurde Kanzlerberater - für Kohls wegschwimmende Felle. Lothar Späth war ein Mann der Wirtschaft, aber einer mit einem sozialen Herzen, einer, der es auch mit den Gewerkschaften gut konnte. Erhard Eppler, sein schwäbischer Widerpart, meint: Wäre Späth in Nordrhein-Westfalen geboren, wäre er Sozialdemokrat geworden. Lothar Späth ist am Freitag im Alter von 78 Jahren in einem Stuttgarter Pflegeheim gestorben. Sein Land hat ihm viel zu verdanken.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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