Nachruf:Der Anwalt des Rechts

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Bundestagsvizepräsident a.D. Burkhard Hirsch (1930-2020). (Foto: Stefan Boness/imago/IPON)

Mit dem ehemaligen Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch stirbt ein großer Liberaler. Wenn es um den Kern der Rechtsstaatlichkeit ging, war der FDP-Politiker stets kompromisslos. Im Mai wäre er neunzig Jahre alt geworden.

Von Heribert Prantl

Es gibt Menschen, mit denen man gern redet, weil sie so sachkundig, so engagiert, so klar und so konsequent sind; weil sie eine Überzeugung haben, weil sie zu ihr stehen, weil sie sich ereifern, aber dabei fair bleiben - auch dann, wenn sie gerade geharnischt sind. Diese Menschen achten nicht darauf, ob es ihnen gerade nützt, zu ihrer Überzeugung zu stehen. Burkhard Hirsch war ein solcher Mensch. Er war ein FDP-Politiker, der das Wort "liberal" so mit Leben füllen konnte, dass man mit Respekt davor stand, auch wenn man anderer Meinung war. 71 Jahre lang war er FDP-Mitglied. Er brachte das Kunststück fertig, sich selber und seiner Partei treu zu bleiben - auch als er an seiner Partei schier verzweifelte, weil sie die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit nicht so hochhielt, wie er das tat und wie er es sich von seiner Partei wünschte.

Er gehörte zu denen, von denen man sich immer wieder dachte: Gut, dass sie da sind. Das war auch und erst recht in den Zeiten so, als Burkhard Hirsch kein aktiver Politiker mehr war, als er kein politisches Amt und kein Mandat mehr hatte. Er machte weiter Politik, vielleicht noch wirkungsvoller als zuvor: Er formulierte, meist zusammen mit seinem Parteifreund Gerhart Baum, Klagen für das Bundesverfassungsgericht - akribisch, klug und erfolgreich. So hat er den Großen Lauschangriff gestoppt, das Luftsicherheitsgesetz verhindert und die Vorratsdatenspeicherung torpediert. Hätte das höchste deutsche Gericht ein Verdienstkreuz für besonders verdienstvolle Klagen zu verleihen: Burkhard Hirsch wäre der erste Anwärter für diese Ehre.

Er war ein linksliberaler Jurist, ein Politiker, der seinen gelernten Beruf, den des Rechtsanwalts, wörtlich nahm: Anwalt des Rechts. Eigentlich war er ein Wirtschaftsjurist, einer, der im Wettbewerbsrecht zu Hause war. Aber er wurde im Lauf der Jahrzehnte zu einem Verteidiger - nicht zu einem Strafverteidiger, sondern zu einem Verteidiger des Rechtsstaats. Als solcher war er in den Tiefen und Untiefen der Rechts- und Innenpolitik so zu Hause, dass man ihn in der Nacht hätte aufwecken können, um ihn zu kompliziertesten Dingen zu befragen - er hätte präzise und luzide Auskunft geben können. Es gab kaum ein rechts- und innenpolitisches Thema, bei dem er nicht sofort im Bilde gewesen wäre. Es ging ihm um die Sache. Er legte nicht unbedingt Wert darauf, lang und breit zitiert zu werden. Er war auf wunderbare Weise engagiert und uneitel zugleich. Er war einer der großen Alten dieser Republik. Manche sagen da: Urgestein. Bei ihm, dem alten unbeugsamen Herrn, passte und passt dieses Wort.

Der Politiker Hirsch gehörte jahrzehntelang zum Ensemble der Bundesrepublik: Er war Ratsherr der Stadt Düsseldorf, FDP-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und dort Innenminister in der RAF-Zeit; er war rechts- und innenpolitischer Sprecher seiner Partei im Bundestag, er war Bundestagsvizepräsident.

Bundesjustizminister oder Bundesinnenminister - das wären eigentlich die Ämter gewesen, für die er wie geschaffen war. Aber dafür war er seiner eigenen Partei zu eigen und zu kantig. So viel Rechtsstaatlichkeit war seinen Parteivorsitzenden suspekt. Als er am Ende seiner politischen Karriere Bundestagsvizepräsident wurde, war das eine kleine Anerkennung und Entschädigung, die ihm seine Partei dafür zukommen ließ, dass sie ihn nicht in die ganz großen Höhen der Politik hatte aufsteigen lassen.

Politik heißt Kompromisse machen. Auch Hirsch hat Kompromisse gemacht. Aber wenn es um den Kern der Rechtsstaatlichkeit ging, war er stets kompromisslos. Seine Partei hat das für Starrköpfigkeit gehalten. Aber er konnte auch anders sein, als man es von ihm erwartete: Als Innenminister von Nordrhein-Westfalen hat er einst den Radikalenerlass virtuos und kompromisslos verteidigt. Dabei spielten wohl auch seine Erfahrungen mit dem DDR-Regime eine Rolle: Hirsch hat 1948 in Halle sein Abitur geschrieben, dann floh er in den Westen. Für die PDS, für die Linken hatte er daher nie Sympathie.

Das Asylrecht war für ihn, das war eine seiner Lieblingsformulierungen, "die Freiheitsstatue im Hafen der Verfassung". Davon hat er sich nicht abbringen lassen. Freiheit und Recht - das waren seine Vokabeln, seine Werte, sein Lebensinhalt. Am Mittwoch ist Burkhard Hirsch in Düsseldorf gestorben, wenige Monate nach seiner von ihm innig geliebten Frau und seiner goldenen Hochzeit. Er wäre im Mai neunzig Jahre alt geworden. Er hat sich einen Platz verdient in der Walhalla der Bundesrepublik.

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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