Nachruf auf Michael Stiller:Ein journalistischer Ermittler

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Von 1968 bis 2005 arbeitete Michael Stiller für die SZ. So viele Affären packte er an: die Zwick-Affäre, die Schreiber-Affäre, die Amigo-Affäre. (Foto: Regina Schmeken)

Michael Stiller sagte einmal: "Mein Beruf hat es mit sich gebracht, dass ich in Bayern nahezu jede Affäre, wo es staubt und raucht, irgendwo journalistisch begleiten durfte." Nun ist der langjährige SZ-Redakteur im Alter von 71 Jahren gestorben.

Nachruf von Heribert Prantl

Als Michael Stiller sich vor elf Jahren aus der Süddeutschen Zeitung verabschiedete, um es fortan ein wenig ruhiger zu haben, widmete ihm seine Redaktion eine Abschiedszeitung. Dort findet sich eine Karikatur, auf der man Franz Josef Strauß als Engel auf einer Wolke thronen und mit Edmund Stoiber telefonieren sieht. "Gratuliere", sagt Strauß zu seinem Nach-Nachfolger, "dass der Stiller in Rente geht, Edmund! Der hat uns viel Ärger gmacht."

Ärger? "Mein Beruf hat es mit sich gebracht", so erklärte Stiller einmal, "dass ich in Bayern nahezu jede Affäre, wo es staubt und raucht, irgendwo journalistisch begleiten durfte." Irgendwo - das war in aller Regel die SZ, für die er seit 1968 arbeitete, erst als Landtagskorrespondent, später als Leitender Redakteur für bayerische Politik. Und "begleiten" - das war die Untertreibung eines Journalisten, der ein selbstbewusster, aber auch bescheidener Mann war. Stiller war nicht einfach Begleiter, er war ein begnadeter Aufdecker, er war das, was heute viele sein wollen: ein investigativer Journalist, ein zäher Aufklärer. Ohne ihn, das darf man ohne Übertreibung sagen, wäre die Geschichte der CSU und die jüngere Geschichte Bayerns anders verlaufen. Peter Gauweiler klagte über Stiller, der habe Franz Josef Strauß im Auge gehabt wie Kapitän Ahab den Wal.

Der journalistische Ermittler Stiller konnte sich, so sagte es einmal der Kollege Hans Leyendecker, auf die Wucherungen von Affären einlassen. Diese Gaben waren notwendig, um die komplexen Korruptions-, Bestechungs- und Parteispendenskandale anzupacken und durchzustehen: die Zwick-Affäre (einer der größten deutschen Steuerskandale), die Schreiber-Affäre rund um den Waffenhändler und CSU-Finanzier, schließlich die Amigo-Affäre, die mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Max Streibl endete. Der Druck, den die CSU-Regierung auf ermittelnde Staatsanwälte ausübte, war Stiller ein Ansporn.

Geboren wurde er auf der Flucht der Eltern aus Breslau am 18. Januar 1945 im Riesengebirge; die Flucht fand ein Ende in Österreich, in der Nähe von Steyr. Nach der Schulzeit auf einem Jesuitenkollegium ging er nach München, studierte erst Jura, Germanistik und Soziologie, dann absolvierte er die Deutsche Journalistenschule. Aus Stiller hätte auch ein Generalstaatsanwalt werden können - allerdings nicht im Bayern von Strauß, der CSU und ihres weiß-blauen Amigo-Systems. Die taz meinte im Jahr 2002 in ihrer Rezension zu Stillers Biografie von Edmund Stoiber: "Die Opposition in Bayern besteht aus einem Mann: Michael Stiller".

Das fand nun Stiller selbst ein wenig übertrieben. "Niemand wird in München stärker gehasst als er", hatte die Bild-Zeitung schon 1994 geschrieben. Aber das stimmte so nicht. Von den Lesern wurde er geliebt, von der CSU gefürchtet, von den Kollegen bewundert. Dreimal erhielt er den "Wächterpreis der deutschen Tagespresse" und 2007 die Bayerische Verfassungsmedaille in Gold. Letzteres war wohl auch eine Art späte Versöhnung zwischen der CSU und ihm.

Stiller kannte, so hieß es, jede Quelle schon, bevor sie sprudelte, und er wusste, so raunte man, über die Seelenlage der CSU genauer Bescheid als diese selbst. Als der Innenminister Günther Beckstein von den "Tagesthemen" zu einer kühnen SZ-Meldung interviewt wurde, sagte der: "Die Meldung stammt von Michael Stiller. Wer den Autor kennt, weiß, dass da was dran sein muss."

Wer ihn kannte, der weiß auch, welch warmherziger, göttlich kalauernder Bursch dieser Stiller sein konnte. Aber noch wunderlicher waren die Dinge, die ihm selber widerfuhren. Als er eines Sonntags mitten in der Amigo-Affäre im einsamen Badesee in der Nähe der Wieskirche seine Runden drehte, war der Einzige, der es ihm gleichtat: der Ministerpräsident Streibl.

Depressionen haben Stiller zuletzt viele Jahre geplagt. Zu den anrührenden Momenten dieser schweren Jahre zählt es, als in der Psychiatrischen Klinik auf einmal sein alter Gegner Max Strauß vor ihm stand. Sie gaben sich die Hand - und schilderten später im SZ-Magazin die Geschichte eines Friedensschlusses.

Am Freitag ist Michael Stiller in seinem Haus im Münchner Stadtteil Allach an Herzversagen gestorben. Er war ein großer Journalist. Die Süddeutsche Zeitung hat ihm viel zu verdanken.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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