Nach Doppelmord in Moskau:Tödliche Zufälle

Es spricht nicht viel für einen Zufall: Zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja ist Tschetschenien noch immer ein Thema, das in Russland Leben kosten kann.

Sonja Zekri

Natürlich könnte alles Zufall sein, ein tragisches Zusammentreffen, aber dafür spricht nicht viel. In Moskau wird im Schatten des Kreml vor Dutzenden Zeugen der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow erschossen, der die Interessen einer tschetschenischen Familie gegen einen russischen Offizier vertreten hat.

Wenige Monate zuvor wurde vor dem Regierungssitz Wladimir Putins ein tschetschenischer Feldkommandeur erschossen. Und in Wien stirbt ein Flüchtling, ebenfalls Tschetschene, nachdem der Verfassungsschutz die Drohungen gegen ihn ignoriert hat. Zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Anna Politkowskaja ist Tschetschenien noch immer ein Thema, das Leben kosten kann.

Der Krieg wirft lange Schatten

Dabei ist es stiller geworden um die Kaukasus-Republik. Vor vier Jahren noch war Grosny eine Trümmerwüste, ein Hiroshima, aber nun ist es aus Ruinen auferstanden mit Cafés und Boutiquen und einem Putin-Boulevard.

Doch der Krieg wirft lange Schatten, bis nach Moskau und Europa. Tschetscheniens irrlichternder Präsident Ramsan Kadyrow hat seine Macht rücksichtslos gefestigt, nun bastelt er brutal am Image, präsentiert Tschetschenien als Perle des Kaukasus, in die selbst einstige Kritiker zurückströmen. Flüchtlinge passen schlecht in dieses Bild. Klagen wegen Misshandlungen und Mord, die sich nicht mehr mit dem militärischen Ausnahmezustand rechtfertigen lassen, noch schlechter.

Russland hat sich um die Täter dieses Krieges so wenig gekümmert wie um die Opfer. Am liebsten würde es diese furchtbare Zeit vergessen. Solange vor den Toren des Kreml die Leichen von Anwälten und Journalisten abgeladen werden, die dieses Schweigen gebrochen haben, wird das nicht gelingen.

© SZ vom 21.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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