Nach der Wahl in Iran:Digitale Schnellboote

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Mit Hilfe von Blogs und Twitter hat die Protestbewegung in Iran spontan eine Macht bekommen, die einzigartig ist. Soziale Medien bergen aber auch eine enorme Gefahr.

Andrian Kreye

Es sind heftige Tage in Iran, und wer sich die Mühe macht, die Vorgänge auf verschiedenen Kanälen des Internets zu verfolgen, der erkennt die Wirkung, welche die sogenannten sozialen Medien in einer solchen Krisensituation haben können. Im Zusammenspiel zwischen den Tagebuch-ähnlichen Blogs, den sozialen Netzwerken wie Facebook, dem Kurznachrichtendienst Twitter und den internationalen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern hat eine Protestbewegung in einem repressiven politischen System spontan eine Macht bekommen, die einzigartig ist. Die Gründe dafür sind ganz einfach.

Die Menschen fragen nicht nur auf der Straße - wie hier bei einer Demonstration in Berlin -, wo ihre Stimmen geblieben sind - sie stellen diese Frage auch im Internet. (Foto: Foto: Getty Images)

Zunächst einmal ist die Technologie der neuen Medien inzwischen so simpel, dass weder die Bedienung noch die Verbreitung ein Hindernis darstellen. Denn neue Medien werden erst dann gesellschaftlich relevant, wenn sie alltäglich geworden sind. Twitter ist per se ein banales Medium. Mit wenigen Zeilen kann man sich einem Netzwerk aus Menschen mitteilen, die diese Zeilen aufnehmen, weiterverbreiten und so das Netzwerk erweitern können. Die geringe Datenmenge weniger Zeilen hat den Vorteil, dass man sie auch ohne modernes Kabelnetz und sogar per SMS ins Internet stellen kann. Dieser simple Vorgang bedeutet jedoch einen gewaltigen Schritt in der Mediengeschichte.

Internet statt Telefon

Die Medien des 20. Jahrhunderts stießen mit einer Entweder-oder-Frage an ihre Grenzen. Entweder konnte man über weite Entfernungen hinweg ein Gespräch führen, wie mit dem Telegraphen, dem Telefon oder einer SMS. Oder man konnte mit Medien wie dem Fernsehen, dem Radio, dem Film oder der Schallplatte Gemeinschaftserlebnisse erzeugen. Man hatte also die Wahl zwischen einem interaktiven Kanal zwischen zwei Teilnehmern oder einer kommunikativen Einbahnstraße mit potentieller Massenwirkung. Die sozialen Medien und vor allem Twitter können nun beides. Sie erlauben gleichzeitig das Gespräch und die Gruppenbildung. Für eine Volksbewegung die ideale Voraussetzung.

Iran ist nicht der erste Fall, bei dem sich diese Qualitäten beweisen. Bei den Demonstrationen gegen den Welthandelsgipfel in Seattle im Dezember 1999 mobilisierte sich die Protestbewegung schon über Webseiten und Handyketten, die als eine Art langsame Vorform von Twitter die schnelle Reaktion einer nur lose organisierten Menge auf die starre Taktik einer Staatsmacht erlaubten. In den folgenden zehn Jahren fand nun besagte Entwicklung statt. Die Technologie wurde immer einfacher, dafür wurden ihre gesellschaftlichen Auswirkungen immer interessanter.

Während der Wahlen in Nigeria 2007 diente die Onlinezeitung Pambazuka News als virtuelle Zentrale einer informellen Wahlbeobachtung durch die Wähler selbst. Diese Strategie der basisdemokratischen Kontrolle wurde ein Jahr später von den amerikanischen Wählern übernommen. Nun erlebt diese Strategie in Iran ihre Feuertaufe. Jeder staatliche Übergriff wird dokumentiert und im In- und Ausland verbreitet.

Richtig oder falsch?

In Iran zeigt sich jedoch auch die Schwäche einer solchen digitalen Volksbewegung. In einem offenen Netzwerk können sich in einer emotional so aufgeheizten Situation wie in Iran eben nicht nur unbequeme Nachrichten und Appelle unbegrenzt verbreiten, sondern auch Gerüchte und Falschmeldungen. In Iran wurde verbreitet, dass drei Millionen Bürger auf den Teheraner Straßen demonstrierten, dass Oppositionsführer Mussawi unter Hausarrest gestellt worden sei, und dass der Leiter der iranischen Wahlbehörde die Wahlergebnisse für nichtig erklärt habe. Keine dieser Nachrichten entsprach der Wahrheit.

Das aber birgt gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern eine enorme Gefahr. Sicher sind uns die modernen, jungen Teheraner näher und sympathischer als die Fundamentalisten aus der iranischen Provinz. Was aber, wenn die Fundamentalisten nun doch zwei Drittel der Wähler stellten, und nicht nur ein Drittel, wie es sich im Internet darstellt? Was, wenn der Druck der Unruhen trotzdem so groß wird, dass das Regime fällt? Es wäre sicher zu begrüßen, wenn eine moderne Minderheit ein menschenverachtendes Mehrheitsregime vertreibt, doch es wäre eben kein demokratischer Vorgang, sondern der Putsch einer multimedial versierten Minderheit.

Da aber kommen noch einmal die alten Medien ins Spiel, denn die Situation in Iran könnte eine Blaupause für die Aufgabenverteilung der Medien im 21. Jahrhundert sein. Die - in diesem Falle ausländischen - Zeitungen, Agenturen und Fernsehsender können derzeit kaum frei recherchieren. Sie sind abhängig von den Berichten, die iranische Bürger von der Straße ins Netz heben.

In diesem Netzwerk aber funktionieren sie wie Mutterschiffe, um welche die neuen Medien wie digitale Schnellboote herumflitzen. Sie bündeln, verifizieren und verdichten die unzähligen Informationsbruchstücke, ordnen und analysieren, um so ein möglichst akkurates und verständliches Bild zu liefern. Auf diese Bilder wiederum beziehen sich die sozialen Medien und gewinnen so an Kontur. Welche der beiden Medienformen nun die bessere ist, spielt gar keine Rolle mehr. Beide können nicht ohne einander.

© SZ vom 18.6.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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