Nach der Landtagswahl:Wo es wehtut

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Die SPD ist einstellig in Sachsen. Wie soll es weitergehen? Ein Gespräch mit einem Bürgermeister.

Von Ulrike Nimz, Leipzig

Das Glas war nicht halb leer, sondern ganz leer bei der SPD-Party zur Landtagswahl in Sachsen, bei der die Partei so verheerend abschnitt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

An diesem Montag haben in Dresden Sondierungsgespräche von CDU, Grünen und SPD zur Bildung einer Regierung in Sachsen begonnen. Bei den Landtagswahlen erreichte die SPD nur 7,7 Prozent - ein historisch schlechtes Ergebnis. Dirk Neubauer ist Sozialdemokrat und seit sechs Jahren Bürgermeister der Kleinstadt Augustusburg. Ein Gespräch über Augenhöhe in der Politik und warum viele Bürger im falschen Film sitzen.

SZ: Herr Neubauer, Sie sind erst vor zweieinhalb Jahren in die SPD eingetreten. Haben Sie die Entscheidung je bereut - nach dieser Landtagswahl zum Beispiel?

Dirk Neubauer: Nein. Wir haben es ja kommen sehen. Ich glaube auch nicht, dass die Wähler zuallererst die Sachsen-SPD abgestraft haben. Da war viel Berlin im Spiel. Ein Satz, den ich im Wahlkampf oft gehört habe: Ihr seid im Bund nicht wählbar.

Der Wahlkampf in Sachsen war ganz auf den Spitzenkandidaten Martin Dulig zugeschnitten. Auf einem Plakat stand: "Wer Dulig will, muss SPD wählen." Die eigene Partei als Kröte, die man schlucken muss?

Martin Dulig steht in Sachsen als Gesicht für die SPD, seine Beliebtheitswerte sind gut. Nur hat das leider - wie bei der CDU übrigens auch - kaum auf die Partei durchgeschlagen. In Gesprächen habe ich immer wieder gemerkt, dass die Menschen noch zu wenig davon wissen, was die SPD in der Landesregierung geleistet hat. Wir haben beim Lehrermangel gegengesteuert, die Kitas werden besser finanziert, mehr Polizisten eingestellt. Wir sind ein wichtiges Korrektiv zu einer CDU, die in den vergangenen 30 Jahren Fehler gemacht hat.

Reicht das als Markenkern?

Wir müssen die arbeitende Mitte wieder erreichen. Was wir jahrelang gemacht haben, ist, die Leute in ein Kino zu setzen und immer denselben Film zu zeigen, und jetzt finden sie den Film scheiße und wollen ihr Geld zurück. Das liegt auch daran, dass sie den Film nicht selbst gedreht haben. Wir müssen dahin kommen, dass Menschen das Gefühl haben, dass sie ihr Leben beeinflussen können und auch müssen.

Hat Ihre Partei Fehler gemacht?

Wir sind noch immer zu sehr mit dem Zeigefinger unterwegs. Dieses unterschwellige Belehren des Wählers: Diese Partei darfst du nicht wählen. Das hat im Wahlkampf dazu geführt, dass die AfD nur noch präsenter war. Jetzt führt kein Weg an der Frage vorbei: Warum hast du so gewählt, was ist dein Schmerz?

Wo tut es denn weh?

Das Gefühl des Abgehängtseins hat viele Ebenen, nicht nur die wirtschaftliche. Ich habe mit Handwerksmeistern gesprochen, die mir sagten: Ich ersticke in Bürokratie. Viele Ältere stellen fest, dass sie irgendwann mal ausgesperrt wurden aus ihrem Leben. Weil sie ihre Biografie abhaken mussten, ihr Wissen nach der Wende plötzlich nicht mehr gefragt war. Das sitzt tief.

Rechtfertigt es, eine in Teilen rechtsextreme Partei zu wählen?

Auf keinen Fall. Aber meine Erfahrung ist, dass viele Menschen so entpolitisiert sind, dass sie sich die Frage nach den Folgen ihrer Wahlentscheidung gar nicht stellen. Ich habe Leute im Bekanntenkreis, die bei den Ausschreitungen in Chemnitz dabei waren, denen habe ich gesagt: Leute, ihr habt verdammt noch mal die Pflicht, euch zu informieren, bei wem ihr euch da einreiht.

Seit den Kommunalwahlen im Mai sitzen Sie auch im Kreistag Mittelsachsen . Bei der Wahl des fünften Vertreters im Planungsverband Chemnitz wurde ein AfD-Mann gewählt, wohl auch mit Stimmen der CDU. Ähnliche Fälle gab es in Görlitz, Pirna, Zwickau. Wächst da Schwarz-Blau von unten?

Mein Kritikpunkt in Richtung CDU war ein anderer: Ihr könnt nicht nach außen die klare Ansage eures Ministerpräsidenten stützen und dann hier still und heimlich dagegen arbeiten. Das ist ein Glaubwürdigkeitsthema. Durch reines Ausgrenzen werden wir aber auch nichts erreichen. Das zahlt nur auf der Protestseite ein.

In den vergangenen Monaten haben viele Politiker das Bürgergespräch wiederentdeckt. Der sächsische Ministerpräsident hat es zum Regierungsstil erhoben. Reicht das, um AfD-Wähler zurückzugewinnen?

Reden allein sicher nicht. Wir brauchen eine inhaltliche Auseinandersetzung und am Ende müssen wir die Leute davon überzeugen, dass wir die besseren Argumente und Konzepte haben. Ich war auf einigen AfD-Veranstaltungen: die gleichen Selbsthilfegruppen. Da steht einer vorn und sagt: Das ist alles Mist. Dann melden sich fünf Weitere und sagen: Stimmt, alles totaler Mist. Dann ist die Veranstaltung zu Ende.

Was, wenn die Leute keine Inhalte wollen außer "Ausländer raus?"

Wir dürfen die Menschen nicht unterschätzen. Dieses Wahlergebnis ist auch der Ruf: Schaut mal, wir haben eine Stimme. Viele von ihnen haben 30 Jahre lang die Erfahrung gemacht, dass ihre Meinung niemanden interessiert. Jetzt haben sie Aufmerksamkeit, und wir müssen uns auf die Gesprächsebene begeben, mühsam kleinste Fakten verhandeln und in konkrete Politik übersetzen. Ich hasse das Wort alternativlos, aber in diesem Fall trifft es zu. Wir sind an einem Punkt, wo die Leute uns nur noch das glauben, was sie sehen. Mit Versprechungen kommen wir da nicht mehr weit.

Es muss also in den kommenden Jahren ein ICE von Berlin über Görlitz in die Ukraine fahren, wie es der Ministerpräsident im Wahlkampf versprochen hat?

Das ist dann wohl so. Dieser politische Konjunktiv treibt ja selbst mich als relativ engagierten Zeitgenossen die Wand hoch. Wenn ich von etwas überzeugt bin, zum Beispiel, dass der Freistaat digitalisiert werden muss, dann schreibe ich in den Antrag nicht hätte, wollte, könnte, sondern: Wir müssen. Seit Michael Kretschmers Antritt hat sich da schon einiges geändert.

Zum Beispiel?

Es gibt eine andere Gesprächskultur. Beispielsweise wurden alle Bürgermeister von Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern eingeladen, um über Probleme zu reden, ohne Agenda von oben, offenes Mikrofon. So etwas habe ich lange vermisst. Nur haben 20 Monate vielleicht nicht gereicht, um das im ganzen Land bekannt zu machen.

Wenn Ausgrenzen die Wut schürt, wohin führt dann eine Kenia-Koalition?

All jenen, die sagen, nun hat die AfD bald 30 Prozent, ihr müsst die an der Regierung beteiligen, erkläre ich gern Demokratie: 70 Prozent wollen das nicht - auch das ist ein Wählerauftrag.

Wie wird die SPD wieder wählbar?

Ich würde der Bundes-SPD raten, ihr Heil in der Opposition zu suchen. Wir müssen uns sammeln, es sind Personalfragen zu klären. Wir haben viele gute Leute, die noch nicht sichtbar sind.

Welches Bewerberduo für den Bundesvorsitz der Partei ist Ihr Favorit?

Ich glaube Petra Köpping und Boris Pistorius wären die beste Lösung. Köpping hat viel Erfahrung auf kommunaler Ebene, eine wechselvolle Ost-Biografie, eine starke Stimme. Dann könnten wir ein so unsinniges Amt wie den SPD-Ostbeauftragten abschaffen. Wir hätten auch innerhalb der Partei Augenhöhe.

Das Prinzip Augenhöhe pflegen Sie auch als Bürgermeister. Sie haben das Internetportal "Mein Augustusburg" eingerichtet, wo Bürger sich mit Ideen einbringen können. Wie wird es angenommen?

19 Vorschläge gibt es in diesem Jahr. Darunter eine eigene Wetterstation, damit auch wir bei der ARD im Laufband auftauchen. Gerade sind wir dabei, alte Telefonzellen aufzukaufen, um darin öffentliche Bücherschränke einzurichten. Ich bin ein großer Fan der Idee, das flächendeckende Kümmern in ein Ermöglichen zu verwandeln. Mehr Vertrauen vom Freistaat gegenüber den Kommunen und mehr Vertrauen der Kommunen Richtung Bürger. Das ist der entscheidende Hebel. Wenn wir den nicht umlegen, haben wir das, was vor der Wahl alle befürchtet haben, nur um fünf Jahre verschoben.

© SZ vom 18.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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