Nach den Wahlen:Sieger sehen anders aus

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Weil CDU und SPD jetzt alles andere brauchen als Grundsatzdiskussionen, reden sich Angela Merkel und Kurt Beck die Wahlergebnisse schön.

Nico Fried und Jens Schneider

Wenn so der Erfolg aussieht, dann scheint politischer Erfolg in diesem Herbst eine ziemlich bittere Angelegenheit zu sein. Als müsste sie einen eisig kalten Regen abtropfen lassen, stellt sich die Kanzlerin zur Mittagszeit mit reglosem Gesicht hinter ihr Mikrofon im Konrad-Adenauer-Haus. Sofort spricht sie von einem "großen Erfolg" in Mecklenburg-Vorpommern und bekundet eine gewisse Zufriedenheit auch über das Berliner Wahlergebnis. Dort stehe für die CDU mit Friedbert Pflüger ein "hoffnungsvoller Weg in Aussicht".

Muss schlechte Ergebnisse verkraften: Angela Merkel (Foto: Foto: Reuters)

Für einen Moment möchte man ihr zurufen, dass dies - Hallo, Frau Bundeskanzlerin! - in beiden Ländern die schlechtesten Ergebnisse der Partei in ihrer Geschichte sind. Aber das ist gar nicht nötig, weil leicht zu erkennen ist, dass Angela Merkel das selbst am allerbesten weiß, während sie mit ausdruckslosem Gesicht fast das Gegenteil behauptet. Ihr ganzer Auftritt an diesem Tag ist, immerhin noch nicht einmal ein Jahr nach der Übernahme des Kanzleramts, verblüffend illusionslos.

In dieser Hinsicht zeigt die große Koalition an diesem Montag nach der Wahl sogar eine bemerkenswerte Eintracht. Auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat seine Tagesration an Euphorie offensichtlich schon morgens mit den Blumensträußen weggegeben, die er den Ministerpräsidenten Klaus Wowereit und Harald Ringstorff überreichte. Als er später noch einmal alleine vor die Presse tritt, klingt seine Stimme auffallend belegt. Die wahrscheinlichste Erklärung für das tiefe Timbre dürfte Becks Talkshow-Auftritt vom Vorabend sein, bei dem er sich so dermaßen über den alt-grünen Renitenzler Werner Schulz aufgeregt hatte, dass man kurzzeitig befürchten musste, es könne vor den Augen von Sabine Christiansen zu Handgreiflichkeiten kommen.

Merkels irritierende Abstinenz

Ansonsten hatte Beck am Wahlabend selbst eigentlich recht heiter gewirkt, die Kanzlerin dagegen war schlicht vermisst worden. Nirgends war sie aufgetaucht, obwohl es doch um die Bundeshauptstadt und ihr politisches Heimatland Mecklenburg-Vorpommern ging, wo sie sich im Wahlkampf besonders eingesetzt hatte. Aus ihrer Partei wurde dazu erklärt, dass Kanzler eben nicht bei jeder Landtagswahl noch am Abend ihren Kommentar abgeben, und doch irritierte Merkels Abstinenz nicht nur Reporter.

Nun also, am Montagmittag, ist sie endlich da. Und sie versucht, aus diesem Ergebnis das Beste zu machen. Damit Friedbert Pflüger in Berlin von der Landespartei nicht in Frage gestellt wird, lobt sie sein mieses Ergebnis. Für Schwerin soll die Option auf eine Regierungsbeteiligung der CDU bekräftigt werden. Und für alle Fragen nach dem Bund bleibt sie bei ihrem Gestus der ausdruckslosen Unerschütterlichkeit. "Ich ziehe den Schuss, dass wir weiter arbeiten müssen", antwortet sie da. Und es fällt auf, dass Merkel an diesem Montag fast ein halbes Dutzend Mal Zuflucht in einem Begriff sucht, den ihr Vorgänger Gerhard Schröder, wenn auch viel später in seiner Amtszeit, wählte, als die eigene Partei ihn immer mehr bedrängte und die Wahlergebnisse immer hoffnungsloser wurden: Es ist das Wort von der Alternativlosigkeit.

So wie einst Schröder mit seiner Agenda 2010, spricht nun Merkel davon, dass es zu ihrem eingeschlagenen Kurs keine Alternative gebe. Die unpopulären Entscheidungen wie die Mehrwertsteuererhöhung seien alternativlos, und auch die Gesundheitsreform habe man anpacken müssen, alternativlos, "wir können die Arbeit ja nicht ewig liegen lassen". Fehlt eigentlich nur noch Schröders Lieblingssatz: "Wenn es einfach wäre, könnten es auch andere tun."

Ganz wie einst der Altkanzler behilft sich auch Merkel gerade zu einer Zeit mit dem Verweis auf die Alternativlosigkeit, da in der Partei jene immer selbstbewusster werden, die dann doch andere Wege zu sehen glauben. Vor allem der Urheber der Sommer-Unruhen in der CDU, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, fühlt sich ziemlich bestätigt in seiner Kritik und legt schon früh noch einmal nach, nachdem er noch vor zwei Wochen im CDU-Vorstand fast unisono höhnisch abgewatscht worden war. Nicht ohne ein leichtes Triumphgefühl stellt er fest, dass die von ihm angestoßene Debatte über das Profil der CDU die richtigen Ansatzpunkte geliefert habe. Noch einmal fordert er den Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit ein. Als Rüttgers die Vorstandssitzung dann als einer der ersten verlässt, hat er draußen für den Stand der Gespräche nicht mehr als eine wegwerfende Handbewegung übrig. Nein, zur Gesundheitsreform könne er nichts sagen, da läge ja noch nicht mal ein Papier vor, das zu bewerten wäre.

"Keine schöne Wahl"

An diesem Montag ist er nach einer wenig heiteren Sitzung des Vorstands - "war ja auch keine schöne Wahl", sagt ein Bundesminister - freilich nicht der einzige Länder-Chef, der dreinblickt, als ob für seinen Geschmack das Berliner Regierungsgeschäft zu sehr von Dilettanten und Tricksern bestimmt wird. Auffallend spöttisch ist etwa der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt, bei dem schon eine Menge passieren muss, damit er seinen Gestus des erbosten Schweigers aufgibt und sich öffentlich über eine Gesundheitsreform empört, die bisher nur als "Loseblattsammlung" vorliege. Auch andere im Vorstand können sich kaum vorstellen, dass die Sache noch in dieser Woche über die Bühne gehen wird. Die Kanzlerin sieht dagegen - wen wundert's - keinen Anlass zu Verzagtheit.

Gemessen an der Unions-Depression ist die Stimmung bei den Sozialdemokraten um zwei Stufen besser. Ganz besonders fröhlich schallt es während Becks Pressekonferenz immer wieder aus irgendeinem Büro ins Atrium des Willy-Brandt-Hauses. Vermutlich feiert jemand seinen Geburtstag, ansonsten müsste man das dauernde Gelächter wohl als Despektierlichkeit gegenüber dem Parteivorsitzenden werten, der sich redlich müht, aus einem sehr mäßigen Ergebnis mit allerlei mehr oder weniger nachvollziehbaren Erklärungen einen Erfolg zu machen.

Die Analyse scheint, gelinde gesagt, noch nicht sehr weit fortgeschritten zu sein. In Berlin habe die SPD viele junge Wähler gewonnen, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen viele aus der Altersgruppe 50 plus. Interessant sei das, sagt Beck, das müsse man sich genauer anschauen. Ah ja. Im übrigen argumentiert es sich für Beck nach seinen ersten Landtagswahlen als Bundesvorsitzender natürlich einfacher: Beide SPD-Regierungschefs bleiben im Amt. Das zählt. Und deshalb lässt er sich auch überhaupt nicht durch die Frage provozieren, ob es nicht zur Politikverdrossenheit beitrage, wenn man einen Ministerpräsidenten, der rund zehn Prozentpunkte eingebüßt hat, als Wahlgewinner bezeichne. Ringstorff habe den Regierungsauftrag, sagt Beck. Deshalb sei "der Terminus zutreffend".

Beck antwortet subtil

So richtig in Form plaudert sich Beck noch einmal, als er auf die große Koalition und ihr Dauer-Sorgenkind Gesundheitsreform zu sprechen kommt. Die SPD werde "ein verlässlicher Partner sein", verspricht Beck. Es ist ein Satz, der seinen Wert nicht unbedingt daraus bezieht, dass er die sozialdemokratische Stimmung zur Reform absolut korrekt wiedergibt, sondern einfach daraus, dass ihn Merkel an diesem Tag angesichts der Turbulenzen in ihrem Laden so nicht hätte sagen können. Noch subtiler antwortet Beck schließlich auf die Frage, ob er negative Auswirkungen der Wahlen auf den Koalitionspartner fürchte. "Nein", sagt Beck da ganz jovial, er erwarte keine negativen Auswirkungen - "zumindest nicht, was die Zusammenarbeit mit der Kanzlerin angeht". Und alles andere muss ihn ja auch nicht kümmern.

© SZ vom 19.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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