Nach den vereitelten Anschlägen:Der Nachbar als Terrorist

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Die Bilder von den blauen Fässern und die Berichte der Polizei lassen keinen Zweifel daran, dass der Heilige Krieg nach Deutschland gekommen ist. Doch den Deutschen ist die Dimension dieser Gefahr nicht bewusst.

Annette Ramelsberger

Der Feind wohnt nebenan. Er geht in dieselbe Schule, er sitzt im selben Bus. Keine eingeschleusten Abgesandten Osama bin Ladens wollten den Terror nach Deutschland tragen, sondern fanatische Einheimische, sogenannte "home grown terrorists", wie das die Briten nennen und fürchten, seitdem sie bei den U-Bahn-Anschlägen 2005 zum ersten Mal auf diese Spielart des Terroristen stießen. Dort waren es junge Pakistaner, die in Großbritannien aufgewachsen und integriert waren und sich dann als Selbstmordattentäter in die Luft sprengten.

Nun hat auch Deutschland seine "home grown terrorists". Aus zwölf Kanistern mit Wasserstoffperoxid wollten sie tödliche Autobomben herstellen. Ein Arztsohn aus Ulm, ein Gymnasiast aus Neunkirchen, der Sohn eines türkischen Bauarbeiters aus Hessen, in der Bundesrepublik aufgewachsen. Die Bilder von den blauen Fässern, die Berichte der Polizei über die monatelange Observation der Verdächtigen lassen keinen Zweifel daran, dass der Heilige Krieg nach Deutschland gekommen ist.

Aber den Deutschen ist die Dimension dieser Gefahr nicht wirklich bewusst. Stattdessen dreht sich die Diskussion um ein, wenn auch wichtiges, Detail der Polizeiarbeit: die Frage, ob die Fahnder in Zukunft bei einzelnen Terrorverdächtigen heimlich auf deren Computer zugreifen dürfen, um zu sehen, was diese planen. Es ist eine technisch und personell enorm aufwendige Aktion, die allenfalls für acht bis zehn Fälle im Jahr einsetzbar sein dürfte. Aber manche erwecken den Eindruck, als solle jeder Computer in Deutschland ausspioniert und die Freiheit jedes Einzelnen beschnitten werden.

Die deutsche Öffentlichkeit hat auf die Aufdeckung des Terrorplans erschrocken reagiert, erstaunt, fast ungläubig. Das Gefühl, dass auch dieses Land vom Terror bedroht wird, ist noch nicht angekommen. Zum Glück ist hier noch keine Bombe hochgegangen, obwohl es vergangenes Jahr knapp war. Da hatten zwei Libanesen am Hauptbahnhof in Köln zwei scharfe Bomben in Nahverkehrszüge gestellt. Und sie hatten sie auch per Fernbedienung gezündet. Nur hatten sie einen kleinen handwerklichen Fehler gemacht.

Ein Fehler, der bis zu 80 Menschen das Leben rettete - so viele Tote hätte der Anschlag nach Testversuchen der Polizei fordern können. Auch das ist bisher nicht wirklich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gesickert. 81 Prozent der Deutschen fühlen sich einer aktuellen Umfrage zufolge sicher, nur 18 Prozent unsicher. Das kann man Gelassenheit nennen, vielleicht ist es aber auch der, verständliche, Wunsch, schlimme Entwicklungen nicht wahrhaben zu wollen.

Der Westen als Feindbild

Viele vertrauen auch noch immer auf die kollektive Lebensversicherung, die Bundeskanzler Gerhard Schröder für sie abgeschlossen hat - 2002, als er sich weigerte, mit den Amerikanern in den Irak zu ziehen. Doch den islamistischen Terroristen geht es nicht mehr nur um die Amerikaner im Irak - der Westen, seine Freiheit, seine Werte sind der Feind. Und Deutschland muss sich ernsthaft darauf einstellen, ebenfalls im Visier zu stehen.

Je größer die Gefahr ist, desto kühler sollten die Argumente gewogen werden. Umso genauer sollte man prüfen, was die Sicherheit wirklich erhöht. Manchmal hilft es, das ganz konkret zu betrachten. Vor zehn Tagen ist ein Mann aus Pakistan nach Germersheim am Rhein zurückgekehrt, der als überzeugter Islamist gilt und von der Polizei seit langem als Gefährder geführt wird. Er war nach den Erkenntnissen der Geheimdienste gerade in einem Terrorlager, wo er den Umgang mit Sprengstoff gelernt hat. Der Mann besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Wie soll der Staat mit so einem Mann umgehen? An der Antwort auf diese Frage lässt sich erkennen, wo es bei der inneren Sicherheit wirklich hakt.

Natürlich sollte so ein Mann genau observiert werden, aber dafür fehlt ganz oft das Personal. Denn für eine lückenlose Observation sind 32 Polizisten notwendig, am Tag. Also wäre es zuallererst sinnvoll, die Kräfte von Polizei und Verfassungsschutz aufzustocken. Natürlich würde man so einen Menschen auch gerne davon abhalten, sein Wissen in Sachen Terror aufzufrischen - dafür ist es dann hilfreich, den Besuch von Terrorlagern unter Strafe zu stellen.

Es könnte abschreckend wirken, zumindest wenn der Terrorlehrling mit seinem Wissen nach Deutschland zurückkehren will. Und natürlich würde man auch gerne wissen, mit wem so ein Pakistan-Rückkehrer in Kontakt steht. Wenn er dazu nicht sein Handy benutzt, sondern über das Internet telefoniert, ist es jedoch technisch schwierig, ihn überhaupt zu verfolgen. Möglicherweise würde es in diesem Fall helfen, durch einen Online-Zugriff auf seine Computerfestplatte ein paar Details über sein Treiben zu erfahren.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum Schäubles ständiger Ruf nach Online-Durchsuchungen dennoch falsch ist.

Aber so ein Online-Zugriff ist nur ein Mosaikstein im großen Steinbruch der inneren Sicherheit. Eine Innenministerkonferenz deswegen fast platzen zu lassen, wie gerade geschehen, ist hysterisch.

Schäubles schrille Töne

Eine Hysterie, die mittlerweile den Ton angibt in der Debatte. Denn eigentlich sind CDU und SPD gar nicht weit voneinander entfernt. Aber die SPD fühlt sich vorgeführt von einem Innenminister, dem es mehr um die Profilierung der Union als um eine profilierte Sicherheitspolitik zu gehen scheint.

Wolfgang Schäuble hat in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, "Denkanstöße" nennt er das - vom Handyverbot für Terrorverdächtige bis hin zum abwegigen Gedanken, gezielt Terrorverdächtige zu töten. Gleichzeitig wollte er aber das Waffenrecht lockern und schon 18-Jährigen großkalibrige Waffen in die Hand geben. Eine Kakophonie schriller Töne, mit der Schäuble die Debatte ideologisch aufgeladen hat.

Schlimmer noch: Das Schäublesche Trommelfeuer hat das Misstrauen wachsen lassen gegen den Staat. Selbst bei gutwilligen Bürgern herrscht nun das Gefühl, als wollten die Behörden alles und jeden ausspähen. Das führt dazu, dass selbst längst überfällige und nachweislich sinnvolle Reformen wie die Anti-Terror-Datei und das Anti-Terror-Zentrum in Berlin unter Generalverdacht stehen.

Durch ständig neue Forderungen wird gar nicht mehr wahrgenommen, welcher Fortschritt schon erzielt ist. Denn hätte es dieses Zentrum schon vor 2001 gegeben, wäre die Hamburger Terrorzelle, die den Anschlag auf das World Trade Center plante, mit einiger Wahrscheinlichkeit entdeckt worden.

Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre Regierung einen Anschlag so gut und so lange wie möglich verhindert. Es wird den Eltern und Kindern der möglichen Opfer nicht reichen, dass ein Innenminister nach einem Anschlag sagt, er habe doch alles rechtzeitig gefordert. Schäuble muss sich daran messen lassen, was er tatsächlich durchgesetzt hat.

Die Bevölkerung kann hier auch von ihm den Willen zur Einigung erwarten. Es muss auf allen Seiten Kompromissbereitschaft geben - bei denen, die die Freiheit verteidigen wollen. Und bei denen, die Sicherheit stärken wollen. Wie sich das in Wählerstimmen niederschlägt, darf dabei keine Kategorie sein.

© SZ vom 8./9.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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