Nach dem Prozess:Auf Vorbehalt frei

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Ralf Wohlleben wurde vor einer Woche zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er hat bereits 80 Monate der 120 Monate Strafe abgesessen und damit zwei Drittel. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Eine Woche nach dem Urteil wurde der NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben aus dem Gefängnis entlassen - und nicht nur er.

Von Annette Ramelsberger, München

Nur eine Woche nach dem Urteil im NSU-Prozess sind alle Verurteilten außer Beate Zschäpe wieder auf freiem Fuß. Nach dem bekennenden Neonazi André Eminger, der noch am Urteilstag aus der Haft entlassen wurde, ist nun auch der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben wieder in Freiheit. Er wurde am Mittwochmorgen aus der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim entlassen, bestätigte eine Gefängnissprecherin. Das Innenministerium in Magdeburg erklärte, Wohlleben ziehe nach Sachsen-Anhalt zu Verwandten, rund 70 Kilometer von Jena entfernt, wo er jahrelang mit seiner Familie lebte. Seine Frau und die beiden Kinder sind schon nach Sachsen-Anhalt umgezogen.

Auch der wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilte Holger Gerlach ist weiterhin auf freiem Fuß, ebenso der Aussteiger Carsten Schultze, der wegen Beihilfe zum neunfachen Mord verurteilt wurde. Er ist der einzige, der seine Tat offen bereut.

Bei den Vertretern der Opferfamilien stoßen die Entscheidungen zur Freilassung von Wohlleben und Eminger nicht auf Erstaunen. Sie seien die logische Konsequenz aus dem relativ milden Urteil, betonte Sebastian Scharmer, der die Tochter des getöteten Mehmet Kubaşık aus Dortmund vertritt. Aber Scharmer erklärt auch, wie das Urteil und die Freilassung in der rechten Szene aufgenommen werden: "Das wird in der aktiven Neonaziszene in Deutschland weiter Applaus finden. Beide, sowohl Wohlleben wie auch Eminger, haben sich als Ikonen der Szene stilisiert, beide sind nun freigekommen, beide haben sich nie distanziert." Eminger hatte seinen Anwalt im Plädoyer erklären lassen, er sei "Nationalsozialist mit Haut und mit Haaren". Wohllebens Anwalt zitierte Hitler und Göring. Freunde von Eminger beklatschten das Urteil, Kameraden von Wohlleben, der Waffenbeschaffer des NSU war, traten mit "Freiheit für Wolle"-T-Shirts auf. In der Szene wurde für die beiden gesammelt. Auch der Verfassungsschutz Thüringen geht davon aus, dass Wohlleben als Held der Szene gefeiert wird.

Ganz ohne Gefängnis werden die Verurteilten aus dem NSU-Prozess aber nicht davonkommen. Sie sind nur auf Vorbehalt frei. Erst wenn der Bundesgerichtshof die Urteile bestätigt hat, geht der Weg der Strafvollstreckung voran. Dann erhalten die Verurteilten eine Ladung zum Strafantritt in der ihrem Wohnort nächstgelegenen Haftanstalt. Ralf Wohlleben, der bereits zwei Drittel seiner Strafe abgesessen hat (sechs Jahre und acht Monate von insgesamt zehn Jahren), kann dann einen Antrag stellen, die Reststrafe auf Bewährung auszusetzen. Die Entscheidung darüber trifft wegen des Staatsschutzdeliktes das Oberlandesgericht (OLG) München. Sollte das OLG positiv für Wohlleben entscheiden, dann, so sagt der Strafvollstreckungsexperte Scharmer, muss es aber zwingend ein forensisch-psychiatrisches Gutachten über Wohlleben einholen. Der Gutachter muss dann feststellen, ob Wohllebens Verhalten dafür spricht, dass er in Zukunft keine Straftaten mehr begeht.

André Eminger, der bereits mehr als ein Jahr seiner zwei Jahre und sechs Monate Strafe verbüßt hat, kann nach der Entscheidung des Bundesgerichtshof ebenfalls einen Antrag auf Bewährung stellen. Holger Gerlach muss knapp drei Jahre absitzen, einige Monate war er bereits in Untersuchungshaft. Und auch Carsten Schultze muss nach fünf Jahren Prozess und langer Zeit im Zeugenschutzprogramm noch einmal in Haft, allerdings in Jugendhaft. Er würde in Nordrhein-Westfalen in Haft kommen und hätte wohl angesichts seiner Aufklärungshilfe und der positiven Zukunftsprognose die Chance, schon nach der Hälfte der Strafe wieder auf freien Fuß zu kommen.

Nur Beate Zschäpe wird noch sehr lange in Haft bleiben. Sollte der Bundesgerichtshof ihr Urteil auf lebenslange Haft bestätigen, dürfte sie sicher noch die nächsten 20 Jahre hinter Gittern bleiben. Sie wird dann vermutlich in die Frauenhaftanstalt des Landes Sachsen kommen - in dem Land, in dem sie ihren letzten Wohnsitz hatte. Sie hat in Zwickau gelebt - wenn auch unter falschem Namen. Das ist den Behörden in diesem Fall aber egal.

© SZ vom 19.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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