Muslimische Politiker in der Türkei:Das sündige Risotto

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Risottogate-Skandal in der Türkei: Der kommissarische Innenminister und bekennende Muslim Osman Günes hat einen Gouverneur entlassen, weil der ihm beim gemeinsamen Dinner ein mit Wein gekochtes Reisgericht auftischen ließ. Eine Posse, die das Land zum falschen Zeitpunkt erwischt.

Kai Strittmatter

Der Minister hat Hunger? Man brate Zwiebeln in Öl, gebe Reis dazu, etwas Wasser, eine halbe Tasse Wein. Zum Abschmecken Sahne, etwas Parmesan und fertig ist - ein köstliches Risotto? Ja, das auch. Und ein handfester Krach obendrauf.

Wenn der Minister Osman Günes heißt und frommer Muslim ist. Dann hat die Türkei ihre "Risotto-Krise". Und die ist für manchen nicht ungefährlich: "Risotto verspeist Gouverneur", meldet die Zeitung Aksam.

Der Reihe nach: Der Gouverneur der Ägäis-Provinz Mugla, Temel Kocaklar, hatte im Juli die Ehre, den kommissarisch amtierenden Innenminister Osman Günes bewirten zu dürfen. Also führte er ihn aus in ein feines Restaurant. Das Risotto, das er dem Minister dort auftischen ließ, schmeckte diesem so sehr, dass er nach dem Rezept fragte.

"Ihr habt mich Unreines essen lassen!"

Der Oberkellner eilte herbei und referierte. Bis ihn der Minister entsetzt unterbrach: "Wein? Ihr habt mich Unreines essen lassen!" Wütend sei der Minister aufgestanden, erinnert sich der Koch, grußlos habe er das Lokal verlassen. Der Gouverneur aß weiter. Wenige Tage später verlor er sein Amt.

Die Presse hatte ihren Skandal. "Wie bitter", schrieb die rechte Zeitung Aksam, "dass wir nun schon in einem Land leben, wo man diskutiert ob ein Risotto eine Sünde ist". Auf der Stelle nahm sich das Who is Who der türkischen Theologie der Frage an und kam zu dem Ergebnis, dass der Minister übers Ziel hinaus geschossen sei: Unabsichtlicher Weingenuss sei keine Sünde.

Zudem: "Im gekochten Essen verliert Wein seinen Charakter und wird zum Lebensmittel", argumentierte die bekannte Theologin Beyza Bilgin. Die Entwarnung kam so recht nicht an - die Posse erwischt das Land zum falschen Zeitpunkt.

Mit Tayyip Erdogan hat die Türkei schon einen frommen Muslim als Premier, mit Abdullah Gül wird sie noch einen zum Präsidenten bekommen. Und so sehr Gül und Erdogan auch beteuern, sie hätten sich von ihrer islamistischen Vergangenheit verabschiedet, so sehr gibt es noch immer Leute, die ihnen misstrauen.

Wasser auf die Mühlen der AKP-Warner

Die Risotto-Geschichte ist Wasser auf die Mühlen der AKP-Warner, auch wenn Minister Günes dementiert: Er habe den Gouverneur nicht wegen des Risottos entlassen, sondern weil ein Gerichtsurteil vorlag, welches das Amt dem früheren Gouverneur zuschlug. Aber das Urteil lag schon seit Monaten vor - wieso erfolgte die Versetzung unmittelbar nach dem Essen?

Alkoholgenuss war stets ein politischer Akt in der Türkei. Republikgründer Atatürk trank mit Hingabe und gerne öffentlich, bis er an Leberzirrhose starb; die AKP-Führer trinken ebenso demonstrativ nicht. Die von AKP-Gegnern kolportierten Vorwürfe, Erdogan und seine Kollegen führten insgeheim einen Feldzug gegen den Alkohol, finden in der Statistik keinen Rückhalt.

Im Gegenteil: Suchtbekämpfer beklagten unlängst, unter der Regierung Erdogan sei der Alkoholkonsum der Türken dramatisch gestiegen. Der Verbrauch von Bier, Wein und Raki hat sich demnach seit 2003 verdoppelt. Auch dem sündigen Risotto scheint die Neugier nur zu nutzen: "Die Türken stürzen sich nun darauf", meldet Hürriyet - und druckt eine Liste der besten Italiener ab. Im selben Blatt bedauert ein Wirt in Ankara die religiösen Politiker: "In meinem Tiramisu ist Likör, in der Pilzsoße Wein, in den Kalamares Bier und im Fisch Wodka."

© SZ vom 25./26.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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