Murat Kurnaz:Fortgesetzter Rufmord

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Im Fall des ehemaligen Guantanamo-Häftlings handelt die Politik nach dem perfiden Motto: Irgendwas wird schon hängenbleiben.

Hans Leyendecker

Im Talmud, dem Lehrbuch des Judentums, findet sich eine weise Aussage: ,,Wer einen einzigen Menschen rettet, rettet die ganze Menschheit.''

Diese Worte beziehen ihre Kraft aus der Einsicht, dass das Leben einzig und dieser eine Mensch das Universum ist. Im politischen Alltag heißt das: Wer über das Elend in der Welt räsoniert, aber das Einzelschicksal für gering erachtet, dem ist zu misstrauen.

Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily, hat in einem seiner altersstarren Ich-habe-recht-Interviews dieser Tage gesagt, er habe mit den amerikanischen Kollegen ,,nie über Einzelfälle'' geredet. Sein Ex-Chef, der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, hat den Namen des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz nicht einmal gekannt. Und Schröders Amtschef, der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, würde wieder so handeln.

Wer ist schon Herr Kurnaz aus Bremen? Ein Nichts, ein Niemand. Einen ,,Jungtürken'' nennen ihn Sozialdemokraten und jetzt soll er auch noch ein potentielles Sicherheitsrisiko sein. Deshalb müsse sich die Bundesrepublik überlegen, ob sie so einen einbürgert, sagt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Das Opfer wird nach der Rückkehr aus Guantanamo stigmatisiert. Es hat seine Unschuld noch einmal zu beweisen, obwohl die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn eingestellt hat und obwohl ihn auch amerikanische Behörden für unschuldig halten.

"Ich sehe keinerlei Anlass für eine Entschuldigung"

Dieser Kurnaz sei doch 2001 ,,unter sehr merkwürdigen Voraussetzungen nach Pakistan gereist'', sagt Rechthaber Schily und er kann dafür mit Beifall rechnen. Es ist ein geplanter Rufmord aus Trotz und Kalkül. Der Trotz wird (hoffentlich) gespeist durch das heimliche schlechte Gewissen, für ein Opfer nicht genug getan zu haben. Kalkül ist die Reihum-Verteidigung für einen SPD-Außenminister, der angesichts der politischen Konstellation in Berlin gar nicht in Not ist und dem die Genossen nur ersparen wollen, sich zu entschuldigen: ,,Ich sehe keinerlei Anlass für eine Entschuldigung'' (Schily).

Diese Selbstgerechtigkeit erinnert an den Fall des früheren Vier-Sterne-Generals Günter Kießling, dem 1983 angedichtet worden war, er sei schwul und der deshalb gehen musste. Der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) erklärte ihn zum Sicherheitsrisiko und verließ sich auf einen Gerüchtemix, den der Militärische Abschirmdienst gebraut hatte.

Weil sich die Hinweise als porös herausstellten, wurden fragwürdigste Zeugen gesucht, damit doch noch irgendetwas hängen blieb. Kießling-Verfolger aus dem politischen Apparat arbeiteten mit den Kopfjägern vom Boulevard zusammen. Das klingt in diesen Tagen seltsam vertraut. Aus dem Fall Kießling wurde am Ende ein Fall Wörner: Der General wurde mit einem ehrenvollen Zapfenstreich verabschiedet. Das kann der Bremer Kurnaz nicht erwarten.

Aber einen deutschen Pass sollte er, wenn er ihn noch will, schon bekommen.

© SZ vom 10.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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