Mordfall Lübcke:Rechtsextremist mit Waffenkarte

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Einem der Tatverdächtigen war der Besitz von Schusswaffen erlaubt, obwohl seine Gesinnung bekannt war.

Von Julian Feldmann, Lena Kampf und Nino Seidel, Kassel

Das Clubhaus des Schützenclubs 1952 Sandershausen in Hessen, wo der Verdächtige im Mordfall Lübcke Mitglied war. (Foto: Göran Gehlen/dpa)

Der wegen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke in Untersuchungshaft sitzende Markus H. durfte legal Waffen besitzen, obwohl er den Behörden als Rechtsextremist bekannt war. Zudem stellte Markus H. laut einer Zeugenaussage dem mutmaßlichen Mörder Stephan E. Waffen für Schießübungen zur Verfügung. E. sei ein "guter Schütze" gewesen, so der Zeuge aus dem Umfeld von H. Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR erlaubte das Verwaltungsgericht Kassel Markus H. 2015, eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung zu erhalten. Dem Urteil war eine juristische Auseinandersetzung zwischen ihm und der Stadt Kassel vorausgegangen, die Markus H. aufgrund seiner rechtsextremistischen Einstellung und Vorstrafe keine Waffenbesitzkarte ausstellen wollte.

Markus H. wurde Ende Juni vorläufig festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, Stephan E. bei der Beschaffung der Tatwaffe geholfen zu haben. Stephan E. soll den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Anfang Juni mit einem Kopfschuss getötet haben.

Der 43-jährige H. ist jahrelang in der rechtsextremen Szene in Kassel aktiv gewesen, unter anderem in der vom Verfassungsschutz beobachteten Kameradschaft "Freier Widerstand Kassel". 2006 wurde er vom Amtsgericht Kassel wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. H. hatte in einer Kasseler Gaststätte "Sieg Heil" gerufen und den Hitlergruß gezeigt.

H. beantragte im August 2007 erstmals eine Waffenbesitzkarte. Die Stadt Kassel lehnte seinen Antrag mit der Begründung ab, der Rechtsextremist erfülle durch seine Vorstrafe nicht die Voraussetzungen. Allerdings stellte die Stadt ihm 2011 eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" nach dem Sprengstoffgesetz aus. Diese Bescheinigung benötigt man etwa, um den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen in Lehrgängen zu erlernen. So könnte der von damaligen Gesinnungsgenossen als "Waffennarr" beschriebene Rechtsextremist mit Sprengstoffen in Berührung gekommen sein. Gleichzeitig konnte er sich in Kasseler Schützenvereinen zum Sportschützen ausbilden lassen und legte 2012 eine Sachkundeprüfung ab.

Im Juni 2012 beantragte Markus H. erneut eine Waffenbesitzkarte, wieder lehnte die Stadt Kassel den Antrag ab, diesmal mit der Begründung, H. würde sich "verfassungsfeindlich" betätigen. Die Stadt hatte beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Wiesbaden nach Erkenntnissen zu H. gefragt. Dort war bekannt, dass Markus H. sich in Foren oder auf Plattformen unter Pseudonym rechtsextremistisch äußerte. Er hat außerdem 2008 an einer Demonstration der rechtsextremistischen NPD teilgenommen und war 2009 als Teilnehmer einer Demonstration von Rechtsextremisten in Dortmund wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch festgenommen worden. Am 1. Mai 2009 hatten 400 Neonazis eine Kundgebung von Gewerkschaftern attackiert. Das Verfahren gegen Markus H. wurde allerdings eingestellt. Fotos, die SZ, NDR und WDR vorliegen, zeigen Markus H. zudem am Banner der Neonazi-Kameradschaft "Freier Widerstand Kassel" bei einem rechtsextremen Aufmarsch 2009 in Dresden.

Markus H. klagte gegen die Ablehnung und konnte den Rechtsstreit letztlich gewinnen. 2015 entschied das Verwaltungsgericht Kassel, dass dem Sportschützen H. eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung zu erteilen sei. H. sei zwar als Rechtsextremist bekannt, heißt es in dem Urteil, die behördlichen Erkenntnisse lägen aber mittlerweile länger als fünf Jahre zurück. Laut Auslegung des Waffengesetzes verfügen Rechtsextremisten in der Regel nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit zum Waffenbesitz. Die Erkenntnisse dazu dürfen aber nicht älter als fünf Jahre sein.

Eine Zugehörigkeit von Markus H. zum "Freien Widerstand Kassel" wurde vom Verfassungsschutz während des Rechtsstreits um die Waffenbesitzkarte nicht an die Stadt Kassel gemeldet. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern. Doch nach Informationen von SZ, NDR und WDR gehen Ermittler heute davon aus, dass Markus H. bis 2015 Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte. So soll Markus H. auch in den vergangenen Jahren keinen Hehl aus seiner rechtsextremen Überzeugung gemacht haben, sagte ein Zeuge aus dem Umfeld von H. der Polizei. Nach SZ-Erkenntnissen besaß H. drei Kurz- und zwei Langwaffen. Bei Durchsuchungen seien insgesamt 46 Schusswaffen bei Markus H., Stephan E. und einem dritten Tatverdächtigen gefunden worden, berichtete der Tagesspiegel.

Der Schützenverein "Schützenclub 1952 Sandershausen", in dem sowohl Markus H. als auch Stephan E. Mitglied waren, schloss die beiden am vergangenen Wochenende vorläufig aus. Der Vorsitzende Reiner Weidemann betont aber, Stephan E. habe lediglich Bogenschießen betrieben.

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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